Volksbühnen-Intendant Klaus Dörr tritt zurück
Mit Worten und Blicken
15. März 2021. Der Intendant der Berliner Volksbühne Klaus Dörr tritt von seinem amt zurück, nachdem Mitarbeiterinnen des Theaters gegen ihn Vorwürfe wegen Machtmissbrauch und "sexualisierter Grenzüberschreitungen" erhoben hatten. Das gab Dörr selbst über die Pressestelle des Theaters bekannt.
In der persönlichen Mitteilung heißt es: "Für die gegen mich erhobenen Vorwürfe übernehme ich als Intendant der Volksbühne Berlin die komplette Verantwortung und gebe mein Amt im Einvernehmen mit der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa auf. Ich bedaure zutiefst, wenn ich Mitarbeiter:innen mit meinem Verhalten, mit Worten oder Blicken verletzt habe. Ich bedaure, dass mir nicht gelungen ist, ein offenes und diskriminierungssensibles Klima zu schaffen, das Probleme rechtzeitig erkennt und es Mitarbeiter:innen ermöglicht, sich vertraulich mit ihren Fragen, Beschwerden und ihrer Kritik an die notwendigen und vorhandenen Stellen in der Volksbühne zu wenden." Dörr beende seine Tätigkeit für die Volksbühne nach Übergabe nicht abgeschlossener Projekte am Dienstag, den 16. März. Darauf habe er sich mit Berlins Kultursenator Klaus Lederer geeinigt.
Eine Gruppe aus zehn Frauen hatte Klaus Dörr Fehlverhalten vorgeworfen. In einem Artikel der Wochenend-Ausgabe der Berliner taz waren die Vorwürfe erstmals öffentlich geworden. Dem Artikel zufolge, hätten die zehn Mitarbeiterinnen des Theaters bei Themis, der Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt im Kulturbereich, eine Beschwerde eingereicht.
Themis hatte dem Bericht zufolge die Beschwerde der Frauen am 18. Januar 2021 an die Berliner Senatsverwaltung für Kultur weitergeleitet, den Arbeitgeber von Klaus Dörr. Drei Tage später habe ein vertrauliches Gespräch mit Vertreter*innen der Senatsverwaltung sowie dem Kultursenator Klaus Lederer stattgefunden. Außerdem soll am 2. März eine Anhörung bei der Senatsverwaltung für Kultur stattgefunden haben. Dörr hat die Vorwürfe nach Erscheinen des taz-Artikels als "halt- und substanzlos" verworfen.
Im Kulturausschuss
Auf einer Sitzung des Berliner Kulturausschusses am Dienstag stellte sich Klaus Lederer den Fragen der Ausschussmitglieder. Der taz-Artikel hatte eine Widersprüchlichkeit zwischen den Aussagen der Senatskulturverwaltung und denjenigen der ehemaligen Gorki-Chefdramaturgin Andrea Koschwitz nahegelegt, die Lederer vor Dörrs Ernennung zum Intendanten der Volksbühne von dessen Umgang mit Frauen berichtet haben will. Lederer betonte in der Sitzung, dass ihm keine konkreten Vorwürfe vorgelegen hätten, sondern lediglich am Rande einer Premierenfeier von einer Person Gerüchte zugetragen worden waren. Er habe diese daraufhin aufgefordert, Betroffene zu ermuntern, sich mit Konkretem an ihn zu wenden – was nicht geschehen sei. Auch habe sich eine Person telefonisch an die Senatsverwaltung gewendet, aber ebenfalls nichts Konkretes benannt. Gerüchte allein könne er nicht zur Basis von Entscheidungen machen, es brauche "belastbare Grundlagen", so Lederer. Kulturstaatssekretär Thorsten Wöhlert habe diese Gerüchte gegenüber Dörr im Gespräch erwähnt und klargestellt, dass es "eine Null-Toleranz gegenüber solchen Vorgängen" gebe.
Lederer versicherte, dass das Verfahren mit Dörrs Rücktritt "nicht beendet" sei, sondern dass man mit der Untersuchung der Vorgänge genauso weitermachen werde, "als wenn die Presse nicht geschrieben hätte". Einerseits wolle man "die konkrete Situation am konkreten Haus" bewerten und andererseits fragen, ob es "verallgemeinerbare Schlussfolgerungen" gebe, "die man dann auch auf andere Häuser übertragen kann".
(Volksbühne Berlin / miwo / ape)
Ein Statement des Ensembles der Volksbühne zu den Vorgängen findet sich in den Kommentaren #9.
* In einer ersten Fassung dieses Beitrags gab es Formulierungen eines Sachverhalts, die der gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Die Passage wurde entsprechend korrigiert.
Presseschau
"So verheerend das Ganze für das Image der Volksbühne seit dem Ende der Ära Castorf auch ist – ein großes Desaster für den künstlerischen Betrieb bedeutet dieser Rücktritt nicht", bewerten Christine Dössel und Christiane Lutz den Fall in der Süddeutschen Zeitung (16.3.2021). "Im Sommer übernimmt René Pollesch die Leitung des Hauses, will mit einem Team aus den unterschiedlichsten Künstlern und Komplizinnen dann Kunst frei von Hierarchien ermöglichen." Doch werfe der Vorfall erneut "ein Schlaglicht auf den von männlichem Dominanzgebaren und patriarchalisch-hierarchischen Machtstrukturen geprägten Theaterbetrieb, in dem Abhängigkeitsverhältnisse immer wieder ausgenutzt werden. Neue Strukturen sind im Theater, dieser letzten feudalistischen Bastion, bitter nötig."
"Dörrs Abgang ist am Theater hierzulande ein Novum, eine Warnung", kommentiert Rüdiger Schaper vm Berliner Tagesspiegel (16.3.2021). "Übergriffige Führungspersonen kommen nicht mehr einfach so durch. Metoo entfaltet starken politischen Druck. Das Thema ist präsent, und es hat Konsequenzen, wenn die Vorwürfe berechtigt und geprüft sind."
Klaus Dörr gehe "als geschlagener Mann vom Bühnenschlachtfeld", schreibt Manuel Brug in der Welt (16.3.2021). "Da hat einer die Zeichen der Zeit erkannt. Hoffentlich reißen sich jetzt die restlichen Theatermachos am Benimmriemen."
Es sei schwer, die einzelnen beanstandeten Situationen zu rekonstruieren und zu bewerten, schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (16.3.2021). "Die vielleicht wichtigere Aufgabe, die sich nach diesem für alle Beteiligten schadensreichen Vorgang stellt, lautet: Wie kann man solche Fälle verhindern? Wie soll man mit den Strukturen umgehen, die solche Vorfälle ermöglichen? Wie lassen sich Kontrollmechanismen verbessern, wie können Betriebsräte, Frauen- und Ensemblevertretungen ermächtigt werden, welche Modelle sind geeignet, eine Leitungskultur im Theater zu etablieren, die den Widerspruch zwischen der Begrenzung von Macht und künstlerischer Freiheit besser managt."
"Anders als in Karlsruhe, wo Intendant Peter Spuhler gleichfalls mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert wurde, zieht sich der Konflikt an der Volksbühne nicht endlos in die Länge", schreibt Hubert Spiegel in der FAZ (16.3.2021). "Aber ebenso wie in Karlsruhe, wo die Rolle der Kunstministerin Theresia Bauer umstritten ist, muss sich auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer unangenehme Fragen stellen lassen: Wann hat er von den Zuständen an der Volksbühne erfahren? Und ist es richtig, dass er bereits vor der Verpflichtung Dörrs gewarnt und auf dessen Neigung zu Machtmissbrauch hingewiesen wurde? Wir sind im dritten Akt, letzte Szene. Intendant: geht rasch ab. Vorhang: fällt nicht. Applaus: nicht zu hören. Stück: geht weiter? Nach der Sommerpause tritt René Pollesch seine Intendanz an der Volksbühne an."
In seinem Kommentar zur Causa in der Zeit befasst sich Tobi Müller mit der Rolle von Berlins Kultursenator Klaus Lederer (16.3.2021). Der Bericht in der taz, so Müller, lege auch nahe, dass Lederer vor Dörrs angeblichem Verhalten gegenüber Frauen vor seiner Ernennung gewarnt worden sei, von Andrea Koschwitz, einer Dramaturgin, die mit Dörr an zwei anderen Theatern zusammengearbeitet hatte. Er kenne die Frau nicht, habe Lederer gesagt. Bei einer Premierenfeier sei er einmal von einem Mitarbeiter der Volksbühne informiert worden, "es gebe Gerüchte." Im Gespräch mit Dörr vor dessen Ernennung allerdings, "sagt Lederer auch am Montag, und das ist überraschend, soll Lederers Nummer zwei, Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert, den damals künftigen Volksbühnenchef ausdrücklich gewarnt haben ... man kenne bei solchen Themen 'null Toleranz'“. "Reichten Gerüchte also zumindest," fragt Müller nun, "um sie gegenüber Dörr auszusprechen? Oder gab es mehr als Gerüchte? Die taz schrieb am Wochenende, Lederers Behörde habe gegenüber der taz angeblich Gespräche bestritten, die Lederer selbst oder sein Büro mit Frauen über Dörrs Verhaltensweisen vor dessen Ernennung geführt haben soll. Der offenbare Widerspruch in der Darstellung der Vorgänge ist (noch) nicht aufgelöst."
"Wie kann es sein, dass Menschen, die auf der Bühne Tyrannenmord, Auflehnung und Staatsstreich spielen, hinter den Kulissen eher zum angstvollen Abwarten neigen?", fragt Peter Kümmel in seiner Analyse zur Causa Dörr und Machtverhältnissen an staatlichen Theatern in der ZEIT (17.3.2021). Er antwortet mit der These: Die "Mee-Too-Dynamik" habe das Theater deshalb so spät erfasst, weil es sich in Misständen dieser Art lange eingerichtet habe. "Intendanten sind späte Fürsten", schreibt Kümmel und spielt auf feudale Strukturen an, die eine Anreizstruktur für Machtmissbrauch bieten. Der "Normalvertrag Bühne", sei, bei Licht betrachtet, "eine Einladung zur Verängstigung und Unterdrückung Abhängiger." Zur Untermauerung beruft er sich auf eine Studie von Thomas Schmidt, Professor für Theater- und Orchestermanagement: Von 2000 Theatermitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die in der Studie befragt wurden, berichteten 55 Prozent von Missbrauchserfahrungen – verbaler, körperlich-aggressiver, sexueller Natur, zitiert der Autor den Professor. Schlussendlich macht Kümmel einen kurzen Ausblick in die Zukunft der kommenden René-Pollesch-Intendanz an der Volksbühne und fragt leicht kryptisch nach den "Dämonen", die zusammen mit der Utopie des führungslosen Führungsstils an die Häuser kommen.
"Das Perfide an dieser Art von Mann ist, dass er sich die Schwachen aussucht. Die, die in der Beschäftigung am abhängigsten sind. Die Assistent:innen, Berufsanfänger:innen", so die Potsdamer Intendantin Bettina Jahnke im Interview mit dem Tagesspiegel (18.3.2021). "Ich habe ähnliches erlebt, gehörte aber schon immer zu den Frauen, die sich wehren konnten, eine große Klappe hatten. Das ist aber eine persönliche Konstitution. Man muss die Schwächsten der Schwachen schützen, deswegen finde ich es wichtig, die Stimme zu erheben."
"Es ist beschämend für mich, dass gerade am Theater das Thema des Missbrauchs nicht abreißt, sich vielmehr steigert. Gerade dort, wo seit 2.000 Jahren Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit gepredigt werden, wo gekämpft wird für Offenheit, Demokratie, Diversität, soll die Doppelmoral der Herr im Hause sein?", schreibt Sonja Anders, Intendantin am Schauspiel Hannover, in einem Gastbeitrag auf ZEIT Online (18.3.2021). "In meinen Augen hat das Theater vielmehr ein Strukturproblem. Sein Bau und seine Arbeitsweise scheinen zum Zerrbild des Systems geworden zu sein, das es auf der Bühne kritisiert. Ob wir es Patriachat oder Kapitalismus nennen, ist dabei fast schon egal. Die unterschiedlichen Formen von Diskriminierung sind sowieso untrennbar verbunden.
"Das Senken der Hemmschwelle ist Programm", sagt Opernregisseur Bernd Mottl über die Probenarbeit am Theater. Er ist einer von zwei Regisseuren, die Susanne Lenz für die Berliner Zeitung (22.3.2021) gesprochen hat, um Machtmissbrauch am Theater im Anschluss an den Fall Dörr an der Volksbühne zu untersuchten. "Mottl glaubt, einen guten Intendanten könne man auch daran erkennen, dass sein Spielplan divers ist, also dass viele unterschiedliche ästhetische Sprachen zu Wort kommen. Darin seien Frauen meist besser." Sein Regiekollege Christoph M. Gosepath sieht das Problem des begrenzten Arbeitsplatzangebots in der Branche: "Ich möchte eigentlich das Recht haben, eine Schauspielerin zu fragen, ob sie Bock hat, mit mir zu schlafen, und wenn sie Nein sagt, dann ist das natürlich okay. Aber wer als Schauspielerin oder Schauspieler in den gegenwärtigen Machtstrukturen heute Avancen abweist, geht ein Risiko ein."
Die Autorin des ersten Hintergrundberichts zum Fall, Viktoria Morasch, fasst in der taz (25.3.2021) zur eigenen Berichterstattung nach – und interviewt die "hfs Ultras", sechs Studierende einer ausschließlich mit Frauen besetzten Regieklasse an der "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch". Auf Instagram hat sich die Gruppe mit den Betroffenen der Causa solidarisiert. "Unsere Erfahrungen decken sich mit den in der taz geschilderten Zuständen. Wir wurden aus Imagegründen ans Haus geholt und im Weiteren wurden uns seitens der Direktion Steine in den Weg gelegt. Wir haben die Volksbühne unter Dörr als einen extrem unangenehmen Ort wahrgenommen, an dem Machtzentrismus, Machismus, Irrationalismus und Kunstfeindlichkeit den Ton angeben", zitiert die taz aus dem Statement der Gruppe. Im Interview beschreiben die Studierenden ihre Erfahrungen mit "Femwashing" – also der Instrumentalisierung ihrer rein weiblichen Besetzung für Marketingzwecke – und kollektivem Arbeiten als Gegenstrategie zu kompetitiven Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen.
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Ich hätte gern nachhaltige Beweise! Nicht nur die Berichte über die Übergriffe. Und halt, liebe Mitmenschen, jeder Angriff auf Menschen, Frauen als auch Männer, muss Folgen haben! Jede Übergrifflichkeit ist ein Verbrechen, wenn es eine ist.
Es dürfte doch kein Problem sein, übergriffige Mails als solches zu dokumentierten. Gibt es solche Mails von Herrn Dörr? Ich habe nur gehört, dass über solche Mails der Freundin, dem Freund berichtet wurde. Gilt das als Beweis? "Ich habe gehört?"
Und was sagen Blicke. Wer schaut wie? Vorsicht zwischen Wertschätzung und Anmachen muss unterschieden werden. Darf man, liebe Männer und Frauen, liebe Transmenschen auch einfach einmal charmant sein? Ich bin verheiratet und liebe meine Frau! Darf es daneben nicht auch ein wenig Flirten geben?
Nun gut, das darf es nicht geben, denn das kann schon als Übergriff gewertet werden. Ich halte mich dran liebe Mitmenschen. Aber ich verlange das auch von den Frauen!
Nein kein Rollenbild dahingehen, die Frauen sind schuld. Nein, sie sind es nicht. Ich weiß, es sind die tradierten Muster und da haben immer Männer die größeren Chancen. Darum, lasst und das Gender-Kriegsbeil doch einfach einmal begraben. Gehen wir fair miteinander um. Das dürfte im Fall Dörr doch nicht so schwer sein, wenn etwas wahr daran ist, zeigt seine Mails. Ich will mich nicht in die Leier des armen Mannes, der von schlechten Schauspielerinnen angeklgt wird, begeben. Da gibt es echt diese Männerschweine! Doch schlachtet nicht die falschen Schweine. Ich kenne Dörr nicht, bewundere aber seine Arbeiten für das Theater. Wer meint, er sei ein schlechter Mensch, sollte es beweisen. Der Artikel in der taz hat es nicht getan. Der Rücktritt ist aus meiner Sicht kein Eingeständnis, wie die Autorin der taz es heute auf Radio 1 meinte, sondern es ist eine weise Entscheidung des Intendanten Dörr. Getroffene Hunde bellen, aber sie treten nicht zurück.
Das bedarf einer genauen Aufarbeitung! Ich hoffe, alle sind bereit.
Ich wünsche mir nur, dass in diesen (fraglos nötigen) Veränderungsprozessen sensibel vorgegangen wird, sodass weiterhin das Ziel im Vordergrund steht und nicht die Frage aufkommt, ob - wenn sich die taz auf nicht abgeschlossene Vorgänge stürzt und die Akteure in dieser Form aktiv sind - auch Machtmissbrauch in die andere Richtung stattfindet.
Aber ich möchte zu bedenken geben, dass sich Öffentlichkeit hilfreich auswirken kann.
Beispielsweise in Karlsruhe, denn dort kam erst wirklich Bewegung in die Angelegenheit, nachdem Dinge öffentlich benannt worden sind.
Wenn man bedenkt, dass der dortige Intendant zumindest offiziell immer noch auf seinem Stuhl sitzt, bis er denn im Sommer gehen muss, darf man aus meiner Sicht durchaus die Frage stellen, wie die Verantwortlichen ohne öffentlichen Druck weiter verfahren wären.
Unsere Branche krankt an veralteten Machtstrukturen.
Wir fordern eine transparente Debatte und gründliche Auseinandersetzung, wie künftig Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung in unserem Arbeitsfeld verhindert werden können. Wir sind tief erschüttert und durchlaufen einen Lernprozess – mit Klaus Dörrs Rücktritt darf dieser Diskurs nicht enden.
Es sieht aus wie bei der Hartmann Burg, wo sich nach seinem Abgang die bis dahin von ihm Profitierenden schnell noch positionierten. Da gab es "kritische" Fernsehinterviews von Menschen die man vorher doch im Wesentlichen affirmativ erlebt hatte.
Solidarität mit KollegInnen als EnsemblespielerIn zu bekunden kommt daher etwas heuchlerisch rüber...
Wie in jedem anderen Betrieb braucht es einen funktionierenden Aufsichtsrat, der seine Funktion ernsthaft wahrnimmt. Je mächtiger einzelne - desto wichtiger. Dazu sollte ein Gremium gebildet werden, das sich richtig darum kümmert, und in dem die verschiedenen beteiligten Gruppen (zB Kommune, Mitarbeiter_innen, Zuschauer_innen) repräsentiert sind.
Wir halten fest, dass Peter Spuhler in persona sexuelle Belästigung *nicht* vorgeworfen wird, soweit mir bekannt. Die Sachlage ist eine andere. Hier alles eilfertig zu verrühren wird den Situationen nicht gerecht. Probleme gibt es viele, aber nicht alle sind identisch.
Nein, sexuelle Belästigung wird Peter Spuhler nicht vorgeworfen.
Wohl aber unter anderem Machtmissbrauch sowie das "unter dem Deckel" halten einer als Vergewaltigung angezeigten und inzwischen vor Gericht als Nötigung verurteilten Straftat.
"Ich glaube, dass wir (Frauen) nicht so anfällig sind für Status- und Machtgebaren. Frauen gehen anders mit Macht um, pflegen ein anderes Miteinander, eine andere Führungskultur. Da ist die sexuelle Komponente nicht so ausgeprägt, wie das schnell bei Mann und Frau passiert."
Stimmt zur Hälfte und zwar die zweite ...
Aus eigener Erfahrung kann ich sehr wohl sagen, dass die erste absolut NICHT stimmt. Es gibt da leider leine Ausnahmen per Geschlecht, sondern nur per Charakter...
Solange man nicht in den Vorgang der Rollen- und Jobvergabe eingreifen kann, wird sich nichts ändern...Abhängigkeiten bleiben
Das kommt bei Jahnke auch ganz anders rüber als bei der reflektierten und besonnenen Sonja Anders, in einem Tonfall des ICH WEISS WIE ES GEHT heraus, dass sich selbst einer Aktivistin die Haare sträuben, die harte Schule der Bühnenvereins-Kader lässt grüßen.
Über dessen Politbüro-Manier unter Bolwin, Zehelein und Khuon muss ohnehin dringend gesprochen werden.
Lieber Journalist, Sie haben sicher recht eine große Genauigkeit im Verwenden des Worts "Recherche" einzufordern. Die taz hat sicher einiges recherchiert und dann die Geschichte aufgeschrieben. Ob das schon eine vollgültige Recherche ist, lasse ich mal dahingestellt.
Was mir aber völlig fehlt beim Feuilleton ist die Selbstkritik. Wie lange haben Kulturjournalist*innen diese Künstlerintendanten abgefeiert, wie lange wurde da weggeguckt, wenn es um innerbetriebliche Probleme ging, wenn die Kunst nur "gut genug" war? Keine Selbstkritik, nirgends. Ich vermute einfach, dass die Analogie zwischen Intendanz und Chefredakteur*in einfach eine ungesunde Nähe bedeutet hat. Starsystem trifft auf Starsystem und sieht überhaupt nicht, wo beim Nachbarn die Probleme liegen. Absurde Abhängigkeit von oftmals kritikunfähigen Mächtigen ist doch der Normalfall... Das ist es, was ich meine. Die Kulturpolitik lässt sich gerne ahnnungslos und desinteressiert wie sie ist vom Feuilleton beraten in ihren vielen unseligen Entscheidungen und da hat das Feuilleton einfach total versagt über Jahrzehnte hinweg. Und damit bleiben die furchtbaren Intendanz und Generalintendanzstrukturen weiterhin unangetastet zu Lasten der vielen und zum Nutzen der wenigen.