Premiere von Monster Truck in Leipzig untersagt
Schweinkram
Leipzig, 29. April 2015. Die Premiere der neuen Arbeit des Performancekollektivs Monster Truck, "Welcome to Germany", ist vom Schauspiel Leipzig aufgrund künstlerischer Differenzen abgesetzt worden. Streitpunkt ist eine rund zwanzigminütige Szene, in der live auf der Bühne wortlos ein totes Schwein zerteilt wird. Die Szene findet im Kontext eines Volksfestes in einer Art Wirtshaus statt.
Die Szene habe er erstmals in der Endproben zu Gesicht bekommen, erklärte Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiels Leipzig, gegenüber nachtkritik.de. Die ursprünglich für den 23. April 2015 geplante Premiere wurde daraufhin auf den 29. April 2015 verschoben. Es sollte geprüft werden, ob an dieser Stelle "nicht ein anderes Bild gefunden werden könnte." Was genau in der Szene erzählt werden sollte, hätte sich ihm "inhaltlich nicht erschlossen", sagt Lübbe. "Und in dem Probengespräch mit Monster Truck wurde deutlich, dass es auch innerhalb der Gruppe Diskussionen über Inhalt und Darstellung der Szene gab." Umso mehr denke er, dass solch eine Bildsprache "vordergründig" und "nicht zwingend" sei.
Nach ihrer Rückkehr aus München, wo Monster Truck mit zwei Arbeiten (Regie und Dschingis Khan) beim Festival für junge Regie "radikal jung" in München gastierten, habe die Gruppe für ihre auf heute angesetzte Premiere vorgeschlagen, die Schweine-Sequenz zu zeigen und von einer Intervention (per Aufsteller oder eingelesenem Text) begleiten zu lassen, in der sich das Schauspiel von der Szene hätte distanzieren können. Das sei für das Haus nicht infrage gekommen. "Wir sind Koproduzenten dieser Arbeit. Wenn ich eine Arbeit mache, möchte ich die auch nach außen vertreten können", so Lübbe.
Realpräsenz und künstlerische Freiheit
Sahar Rahimi von Monster Truck beschreibt die strittige Stelle gegenüber nachtkritik.de als "zurückgenommene, stille Szene", in der es "überhaupt nicht um Drastik gegangen sei". Der Schweinekörper selbst sei präpariert worden, um einen möglichen "Ekeleffekt" zu vermeiden. Als "ein Stellvertreterkörper" verweise der Schweinekadaver auf den verdrängten Gewaltzusammenhang der chilenischen "Colonia Dignidad", die als deutsche Exklave und Folterstätte des Pinochet-Regimes Thema des Abends ist. "Der Schweinekörper hat eine Realpräsenz. Es war klar, dass wir das Zeichen nicht illusionstheatermäßig durch ein anderes Zeichen ersetzen konnten", so Rahimi. Es sei eine Frage der "künstlerischen Integrität" gewesen, die Arbeit nicht zu verändern.
Enttäuscht zeigt sich Monster Truck von der Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Leipzig im Rahmen des dortigen Residenz-Programms. "Die Residenz sollte ja eigentlich ein Ort fürs Experimentelle sein. Aber es zeigt sich, dass man in seiner künstlerischen Freiheit beschnitten wird." Es habe "keine inhaltliche Auseinandersetzung" über die Arbeit geben; die Probe sei einfach abgebrochen worden. "Es ging um Kulturpolitik, darum, dass man in der Stadt nicht aneckt", sagt Rahimi.
In Leipzig gab es bereits 2013, zum Abschluss der Intendanz von Sebastian Hartmann, Streit um die Zerlegung von Tierkörpern auf der Bühne. Beim Orgien- und Mysterienspektakel 3 Tage Spiel des Wiener Aktionskunst-Veteranen Hermann Nitsch wurde dem Theater vom Veterinäramt die Live-Schlachtung von Tieren untersagt. Die Stadtverwaltung verhinderte eine geplante Abschlussprozession der Aktionisten mit einer gekreuzigten Schweinehälfte durch die Leipziger Innenstadt. Die damaligen Vorgänge spielten "in der Stadt für einige Leute noch eine Rolle", hätten aber auf seine Entscheidung keinen Einfluss gehabt, so Lübbe.
Monster Truck werden "Welcome to Germany" jetzt am 7. Mai 2015 in den Sophiensaelen in Berlin herausbringen. Die stellten sich in einer Pressemitteilung demonstrativ hinter die Künstler: "Der aktuelle Vorgang spiegelt einen Umgang mit KünstlerInnen, freien Gruppen und künstlerischen Arbeitsprozessen wider, der nicht auf Augenhöhe stattfindet."
(chr)
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Seit wann wurde und wird Theater so legitimiert? Ich denke nicht, das es im Sinne von Kultursubventionen ist, Menschen in dem zu bestätigen was sie hören wollen. Es sei denn das Ziel ist letztendlich ein müdes Kopfnicken zu erhalten und niemandem vor den Kopf gestoßen zu haben. Kunst muss Grenzen ausforschen, sonst ist sie keine.
Wer das allerdings als "verschrecken" zählt, sollte vielleicht selber reflektieren warum er verschreckt ist.
Gehe heute Abend in die Sopheinsäle, da läuft die Leipziger Residenzpoduktion HENRIKE IGLESIAS! Hoffentlich ohne Schwein..
Mal im ernst, das hat so nen ollen Opa wie Castorf wirklich besser drauf. Selbst Peymann eckt mehr an...
Außerdem wirkt das eher wie ne Gießener Verzweiflungstat; da hat man sich wohl mal vorgenommen richtig auf die Kacke zu hauen...
"Kill your Darlings" Monster Truck vielleicht gehts dann wieder Berg auf!
Als Zuschauer hätte man sich nun gerne selbst ein Bild gemacht von der Sache gemacht.
Wir fragte einst der Metzger beim Wurstschneiden so schön: Darfs ein bißchen mehr sein?
Im Theater geht's genau andes herum.
Herr Lübbe hat dieses Projekt, meiner Ansicht nach, zurecht abgesetzt - und dabei auch nicht leichtfertig.
Egal, ob Monster Truck in München abgeräumt hat - mit dem Projekt hätte es zwar Aufsehen, aber keinen wirklich relevanten und guten Theaterabend gegeben.
Mal sehen, wie sie den Abend nun weiterentwickeln.
Ich war auch dabei gewesen. Und dankbar, dass mal ein Intendant Eier gezeigt hat und sich eine Probe an seinem Haus ansieht und unterbricht. Herr Hartmann ließ seinerzeit "Das Nazistück" rauskommen und nahm es dann, nachdem es ein Skandal war und er sich dann auch mal ansah, schnell vom Spielplan. NACH der Premiere… Schon vergessen?
(...) Lübbe unterbrach und diskutierte sehr lange mit den Monster Truckern, (...) Lübbe machte konkrete Vorschläge, von Monster Truck kam NICHTS!!!
Jetzt zu sagen, dass sei eine kulturpolitische Entscheidung und Zensur finde ich beschämend von Monster Truck. (...) In Berlin muss ich GOTT SEI DANK nicht mehr dabei sein.
Hoffentlich zeigen sie dort den Abend, den sie in Leipzig gezeigt hätten. Nach den Äußerungen hier von der Gruppe glaube ich aber, dass sie in Berlin einen anderen Abend zeigen werden und es dann heißt, Leipzig sei zu doof für ihre "Kunst". Jetzt zeigt ihr mal Eier.
Entscheidungsmacht! Es wäre interessant die künstlerischen Inhalte zu erfahren. Denn wenn die Szene oder da das gesamt Projekt oberflächlich ist, dann würde ich auch nicht meinen Namen dafür
hergeben wollen. Ich denke es
geht da um
eine inhaltliche Entscheidung, die weniger die Zuschauer betrifft.
Nicht dass Lübbe das Schwein verbietet (dösig) oder das MonsterTruck das Schwein zerlegen will (uninteressant) ist der Skandal, sondern dass offensichtlich die Kommunikation zw. Leitung und Produktion nicht funktioniert. Was will Lübbe eigentlich mit dem Besuch einer Endprobe erreichen? Wieso ist er nicht während des Prozesses über das Konzept informiert? Besucht er keine Bauproben, keine konzeptionsproben? Gibt es kein Gremium in dem zur Sprache kommt: wir brauchen für die endproben und die Vorstellungen jeweils ein Schwein...
Wozu gibt es denn einen Intendanten, wenn er offensichtlich kein Interesse hat sich m Vorfeld einer Premiere zu informieren, Probleme zu antizipieren und Lösungen zu finden, die gleichermaßen in Ordnung sind für Haus und Produktion?
Aber das ist woanders auch nicht anders, solange Intendanten glauben sie selbst seien Künstler, und darin noch von allen bestärkt werden, wird das auch so bleiben...
deshalb glaube ich den meisten deutschen theatern nix mehr von ihren inhalten, denn eine vielzahl von theatern wird lieblos und fahrlässig geleitet. ABER dann mit dem finger auf probleme in der gesellschaft hinzuweisen ist verlogen, besonders wenn im eigenen haus kommunikation, fürsorgepflicht und transparenz keinen festen platz haben.
Lieber Herr Steckel, die Inversion Ihrer Aussage ist wahr: Einige großartige Künstler waren Intendanten. Zumeist Regisseure, aber nicht nur.
Nur halte ich es für ein Missverständnis zu glauben, dass man nur weil man (z. B.) als Regisseur in seinen Produktionen Großes leistet auch in der Lage ist, ein Haus zu führen.
Die Aufgaben eines Intendanten sind meiner Ansicht nach zumeist nicht künstlerisch, sondern sie bestehen darin, Zusammenhänge zu schaffen, in denen künstlerische Arbeit möglich wird (auch die eigene).
Mir ist es in dem hier besprochenen Zusammenhang gleichgültig, was Enrico Lübbe als Regisseur draufhat. Meiner Ansicht zeigt diese Premierenabsage: Führungsversagen.
Wenn es hier überhaupt einen „Skandal“ gibt, dann den, dass hier eine Gruppe die als Hätschelkind der freien Szene gelten darf, es scheinbar unglaublich nötig hat sich als Provokateure zu inszenieren.Und das wohl deswegen, weil man Provokation eben gerade nicht mit Subventionen und Öffentlichkeitsarbeit produzieren kann. Entweder sie entsteht oder nicht. Das kann man nun mal nicht konstruieren.
Die frage ist doch letzten Endes wem nützt das hier alles: doch nur Monster Truck!
Die Gruppe frickelt sich da auf ganz komische Weise eine Grundsatzdebatte über den Autonomieanspruch der Kunst zurecht und instrumentalisiert dafür diesen "betriebsinternen Popelskonflikt“. Jeder weiß das das ganz übliche Prozesse im Theaterbetrieb sind. Wogegen sich die Kunst auch wehren muss. Keine Frage. Aber das passiert tausendmal pro Jahr und darauf kann man andere Antworten finden. Und das ist das was ich letzten Endes so verschoben finde. Und wenn man dann woanders hin schaut (z.B Zentrum für politische Schönheit, Milo Rau, etc), dann schrumpft diese „Schweinehälften Angelegenheit! Doch wieder ganz schnell auf ihre normale Größe zurück und ist wirklich auch nicht weiter der Rede wert.
Wenn Monster Truck das mit dem Tierkadaver wenigstens gegen den Willen der Intendanz durchgezogen hätte, dann hätte es vielleicht einen Provokationspotential gehabt, aber so weit will man dann wohl seine Komfort Zone doch nicht verlassen.
Ich fande Monster Truck bis dato eigentlich immer ziemlich gut, sonst würde ich mich ja hier gar nicht so ereifern, aber das ist einfach nur noch Bullshit.Sorry!
Dieses Argument zählt hier finde ich auch nicht,weil es ja hier gar nicht um die Schweinehälfte geht, sondern doch wohl eher um kunstfeindliche Strukturen im staatl. subventionierten Kulturbetrieb.
Wenn man die kritisieren will, dann sollte man das wirklich auf anderem Wegen tun oder bzw. radikaler und entschiedener.
Und der Eindruck der hier für mich letzten Endes entsteht ist, dass die Gruppe einen Konflikt provozieren wollte und als sie dann gemerkt haben, dass es eng wurde plötzlich doch einen Rückzieher gemacht haben. Anstatt es dann aber dabei zu belassen oder es richtig durchzuziehen (Intendanz austricksen od. Boykott) hat man sich schließlich wie ein beleidigter Schuljunge aufgeführt, dem das Spielzeug geklaut wurde! Und jetzt heult man sich bei Nachtkritik darüber aus wie böse die Stadttheatermenschen bzw. der Kulturbetrieb ist. Man hätte es ja auch einfach unter den Teppich fallen lassen können, anstatt sich in der Öffentlichkeit selbst zu bemitleiden.Das grenzt wirklich schon fast an Larmoyanz!Da hätte ich Monster Truck einfach mehr Haltung zugetraut.
Wären sie nicht so mit Preisen behangene „Nachwuchskünstler“ hätte es erst recht keinen interessiert. Der Intendant hätte ihnen die Pistole auf die Brust gedrückt und gesagt friss oder stirb. Nach dem Motto sei froh, dass du überhaupt die Residenz hast. Und gerade deswegen hätte da meiner Meinung nach Monster Truck auch eine gewisse moralische Verpflichtung gehabt:Wenn sie das Fass schon aufmachen, dann aber bitte richtig!
Stattdessen missbrauchen sie diese Problematik, um sich selbst das Label „kritisch und provokativ“ anzuheften.Sie hätten damit ein klares Zeichen setzen können, aber diese Nummer nimmt man ihnen einfach nicht richtig ab. Der tatsächliche Konflikt bleibt ihm Raum stehen, während sich Monster Truck damit nur mal kurz einparfümiert um ihre „Aktie“ nach oben zu treiben. Sie hantieren hier mit einem Problem, dass uns wirklich alle betrifft. Egal ob Off Szene oder Stadttheater. Unter welchen Bedingungen wollen wir in Zukunft Theater produzieren? Und was machen sie draus? Ne „PR Nummer“ in eigener Sache!. Das macht mich wirklich sauer! Ich unterstelle ihnen nicht eine direkte Absicht. Aber das ist das doch das was bleibt! Und bezeichnend ist doch, dass es gar nicht mehr um das eigentliche Problem der künstlerischen Autonomie an sich geht, sondern nur um Monster Truck als LABEL für provokantes Theater. Das ist das doch das fatale. Das ist nämlich das vielleicht einzig interessante an dieser „Debatte“: die freie Szene gibt sich kritisch, provokativ und subversiv, aber nur solange wie es ihnen von Vorteil ist, wird’s unangenehm zieht man sich aus der Affäre.
zur Absetzung von Welcome to Germany am Schauspiel Leipzig
Wir waren ehrlich komplett überrascht, dass das gemeinsame Projekt abgebrochen wurde. Tote Tiere/Lebensmittel auf einer Theaterbühne im 21. Jahrhundert sind ein Mittel von vielen wie Nacktheit, Videotechnik oder Styroporkulissen. Das hatte von unserer Seite nichts mit „Ekelästhetik“ oder Provokation zu tun. Wir arbeiten seit seligen Giessener Zeiten mit toten Tieren auf der Bühne. Das Schwein des Anstoßes wurde schon vor Wochen kommuniziert und die Dramaturgie des Hauses betreute interessiert den Probenprozess. Wir hatten ein paar alternative Vorschläge angeboten, die jedoch abgelehnt wurden. Die Szene mit dem Schwein wegen willkürlicher Machtausübung rauszuschmeißen, war letztendlich mit unserem Verständnis von Kunstfreiheit nicht vereinbar. Niemand muss so eine Szene gut finden, aber von künstlerischer Autonomie im Residenzprogramm des Schauspiel Leipzig zu sprechen, ist mehr als scheinheilig.
Wir hätten das Stück gerne in Leipzig gezeigt, vorallem um darüber mit dem Publikum zu sprechen.