Einsam lehnen am Bekannten - Am Theater Konstanz übt Sascha Hawemann mit Felicia Zeller Kritik an einer Generation, die fürs Kämpfen zu besoffen ist
Der Aufbruch liegt im Suffkoma
von Elisabeth Maier
Konstanz, 3. Juni 2015. Ihre schriftstellerische Berufung habe sie durch die Maus Frederick aus dem gleichnamigen Kinderbuch gefunden, die das Sammeln von Gedanken schnöder Arbeit vorzog. Das behauptet die Schriftstellerin in Felicia Zellers "Einsam lehnen am Bekannten". Den selbstironischen Prosaband der in Stuttgart geborenen Autorin, die in Neukölln lebt, hat der ehemalige Ostberliner Punk und Regisseur Sascha Hawemann für das Theater Konstanz dramatisiert. 2011 hatte Regina Gyr das Ganze als "performativen Großstadt-Tingel-Tangel" im Heimathafen Neukölln uraufgeführt.
Kampftrinken statt Kreativität
Aus den kurzen Erzähltexten, für die Zeller 2009 den Heidelberger Clemens-Brentano-Preis bekam, komponiert Hawemann eine gelungene Partitur von Monologen und Dialogen und kitzelt dabei genüsslich den Wortwitz der Wahlberlinerin heraus. Im Sprinttempo peitscht er die drei Schauspieler durch das rhythmisch grandios getaktete Sprechkonzert und baut dabei auf choreographisches Körpertheater. Ausstatterin Regina Fraas stellt drei schlichte Schauräume aus Metallstangen auf die Bühne, die sich im Raum verschieben lassen. Da tanzen und turnen die Spieler im kalten Neonlicht. Ihre Kostüme sind schrill und bunt. Joggingklamotten, wie man sie in Neukölln trägt, gehören ebenso dazu wie ein mit rosa Tutu kombinierter Anzug – Fraas jongliert mit Klischees, um sie gleich wieder zu zerschneiden.
Turnen im Neonlicht: Jana Alexia Rödiger, Alissa Snagowski, Jonas Pätzold © Ilja Mess
Zellers verbale Attacken auf die eigene Identitätskrise setzen die Schauspieler stark in Szene. Kampftrinken ersetzt der Schriftstellerin mit Schreibblockade die Kreativität. Das zelebrieren die drahtige Alissa Snagowski und Jonas Pätzold in einem mitreißenden Workout – Bierflaschen sind ihre Sportgeräte. Mit einem Säugling will die Schreiberin die eigene Leere füllen. "Wenn ich Kinder hätte, dann käme ich auch zu nichts", stöhnt Snagowski. Zellers zugespitzte Dialogpartien spielen die Akteure sich zu wie Bälle in einem fesselnden Tennismatch. Manches sprechen sie im Chor. Und beim Vergleich der Discounter-Angebote raunt sogar das Publikum mit.
Die Dramaturgie konzentriert sich auf die zentralen Figuren: Felicia mit vervielfältigten Identitäten, Freundin Petra und der Freund jagen durch die Yuppie-Metropole Berlin. Dazu verkörpern die Schauspieler Großstadtrollen, die schemenhaft bleiben. Während Jana Alexia Rödiger als Petra zu Höchstform aufläuft, entgleitet ihre versoffene Mutter einer kinderreichen Familie in die Groteske. Da überspannt die Regie den Bogen.
Eine Gesellschaft, die ihren Halt verliert
Dennoch verortet Hawemann die künstlerische Identitätskrise überzeugend im politischen Diskurs. Wie tief Zeller in ihren Prosatexten über eine Gesellschaft nachdenkt, die ihren Halt verliert, zeigt ihre Auseinandersetzung mit Medienbildern. Das unterstreicht die Inszenierung mit Videos auf der Großleinwand. Das brennende Donezk im Bürgerkrieg, die einstürzenden Zwillingstürme in New York oder Bilder von den roten Fahnen der Revolution von 1968 im aufgewühlten Berlin sind mehr als wohlmeinender politischer Ballast.
Zellers Erkenntnis, dass die "Künstler und Keramiker von 40 bis 60 Jahren", die im Geiste des Aufbruchs nach Berlin kamen, heute im Suffkoma liegen, trägt Alissa Snagowski zum Schluss vor – und ist dabei unendlich einsam. Das bringt Zellers ironische Weltsicht auf den Punkt: "Wenn sie aufwachen, haben sie wenigstens eine Fahne." Da weiten sich die Neuköllner Geschichten der Autorin zur hellsichtigen Kritik an einer Generation, die den Mut zum Kämpfen mit Bier ertränkt.
Einsam lehnen am Bekannten
von Felicia Zeller
Fassung von Sascha Hawemann
Regie: Sascha Hawemann, Ausstattung: Regina Fraas, Dramaturgie: Thomas Spieckermann.
Mit: Jana Alexia Rödiger, Alissa Snagowski, Jonas Pätzold.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, ohne Pause
www.theaterkonstanz.de
Über "eine starke Inszenierung" berichtet Manfred Jahnke für die Deutsche Bühne Online (5.6.2015). Zellers Geschichten "führen die Selbstbespiegelung einer künstlerischen Intelligenz vor, die sich in den eigenen Unzulänglichkeiten suhlt", schreibt der Kritiker. "Die grotesken Übersteigerungen der Vorlage setzt Hawemann in ein ungeheures Spieltempo um, die die disparaten Geschichten mit ihren verschiedenen Formaten vom Erzählen bis zum Monolog mitreißt", wobei die Schauspieler*innen "die ständigen Brüche und schnellen Rollenwechsel bravurös meistern".
In "stürmischen Monologen und vor Witz sprühenden Dialogen" werde hier ein Bild vom "neuen Trend-Stadtteil Berlins", Neukölln, gezeichnet: "lebendig und frech", so schreibt Selma Badawi im Südkurier (5.6.2015). Regisseur Sascha Hawemann demonstriere "ein geradezu blendend grelles und lästig lärmendes Neukölln"; dabei "jagt ein Scherz den nächsten". Kleine Gebrauchsanweisung: "Wer versucht, der Reizüberflutung standzuhalten, wird zu viel finden. Mit lockerer Einstellung jedoch lässt sich das verrückte Durcheinander auf der Bühne amüsiert betrachten."
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