Generationen vereinigt Euch!

von Hartmut Krug

Cottbus, 3. Oktober 2008. Das Cottbusser Theater feiert seinen einhundertsten Geburtstag mit einer fünftägigen Festwoche. Am 1. Oktober waren morgens die Kinder der Cottbusser Grundschulen und abends Gäste aus dem öffentlichen Leben mit Bundespräsident Horst Köhler an der Spitze eingeladen. Da die 1992 zum Staatstheater ernannte Cottbusser Bühne eines der wenigen ostdeutschen Theater ist, das noch alle Sparten besitzt, werden sich das Opernensemble mit Wagners "Die Walküre" und das Ballett mit einer Uraufführung vorstellen.

Das Schauspiel zeigte gleich eine mehr als vierstündige Stück-Trilogie, die der neue Schauspieldirektor Mario Holetzeck inszenierte. Drei Stücke, ein Thema: Träume vom Glück. Jedes Stück zeigt eine andere Generation. Es geht um Selbstfindung und Selbstverwirklichung, um die Überprüfung des gelebten Lebens oder um den Entwurf von Zukunftshoffnungen.

Jugendliche Posen finden für die Selbstdarstellung

Andri Beyelers "the killer in me is the killer in you my love" zeigt die im doppelten Wortsinn tastende Suche von Jugendlichen nach Nähe und Liebe. Drei Jungen, zwei Mädchen und ein Sommer im Schwimmbad. Es geht um ein unsicheres Körpergefühl, um neue Bikinis und erste Zigaretten, um die Suche nach Identität und Selbstdarstellung, um erste Küsse und erste seelische Verletzungen. Beyelers Stück scheint zwar erzählerisch einfach, doch es ist sehr kunstvoll gebaut, lebt vor allem aus seiner verknappend soghaften Sprache und zeigt zugleich sprachliches Formbewußtsein wie psychologische Sensibilität

Regisseur Mario Holetzeck bringt seine Schauspieler vor allem in Bewegung. Sie toben auf Rollerskates herum, sind lautstark und setzen ihre Körperlichkeit mit Kraft ein. Wo beim Autor unter den Versuchen der Figuren, sich ihrer selbst sicher zu werden und zugleich die richtigen Posen für ihre Selbstdarstellung gegenüber anderen zu finden, immer auch deren große Unsicherheit deutlich bleibt, setzt sich in Holetzecks Inszenierung das schauspielerische Markieren von jugendlicher Coolness durch. Nur konsequent, dass die monologischen Selbstvergewisserungen der Figuren hier, an der Rampe gesprochen, eher direkt ans Publikum adressiert werden.

Wie geht es mit 40 weiter mit dem Leben?

Für die Verknüpfung der drei Stücke hat sich der Regisseur einiges einfallen lassen. Es gibt eine "Crossover-Cellistin", die in allen Stücken auf der Bühne sitzt und das Geschehen musikalisch grundiert. In allen Stücken huschen die Darsteller der jeweils anderen Generationen auch kurz durch die Schluss-Szenen, und das Lied "Non, je ne regrette rien" erklärt uns auch in jedem Stück überdeutlich Haltungen der älteren Personen. Jürgen Kirners ausnehmend hässliches und noch nicht einmal übermäßig funktionales Bühnenbild gibt eine durch die Drehbühne leicht veränderbare Einheitsszenerie wieder. Es zeigt Betonwände und Betonstreben eines unfertigen Gebäudes, durch dessen eine Wand ein Klavier hinauskippt.

Bei Dominik Finkelndes "Die Nebensächlichen" wird der Raum gezeigt, aus dem es herauskippt. Es ist das Atelier oder das Wohnzimmer einer Malerin, in der sich eine neunköpfige Gruppe von Vierzigjährigen versammelt. Am Ende des Studiums und am Anfang eines Berufslebens stehend, hatten sich die Freunde regelmäßig als "Club der Lebensphilosophen" getroffen und über die Welt und ihr zukünftiges Leben philosophiert. Wenn man sich jetzt zur Verabschiedung einer Frau trifft, die als Ehefrau nach Amerika gehen will, brechen alte Wunden auf, und alle Lebenslügen und Beziehungsprobleme werden offenbar.

Gruppenporträt der Malerin

Dominik Finkelnde befrachtet seine Figuren mit sehr viel Bedeutungen, es wird von einem alten Mordversuch berichtet und ein neuer gezeigt, und ein Mann unternimmt einen Selbstmordversuch, "um etwas zu fühlen". Natürlich ist das Gruppenporträt, das die Malerin endlich enthüllt, von schonungsloser, entlarvender und fast alle empörender böser Wahrhaftigkeit.

So muss man sich eingestehen, nicht nur keine Ideologie, sondern auch keine Orientierung gehabt zu haben. Man hat nichts Großes erreicht und "gehörte nun mal zu den viel zu Vielen. Wir wollten gerade nicht die viel zu Vielen sein und wurden genau wie sie…" Auch hier zeigt sich Mario Holetzeck vor allem als kraftvoller Regisseur, der seine Darsteller in Spielfreude und äußerliche Deutlichkeit treibt.

So setzt die Gruppe sich immer wieder Tiermasken auf oder versammelt sich zu einer Abendmahl-Szene, und Beziehungskämpfe und -kräche werden lautstark und handgreiflich ausgetragen. Finkeldes Stück, ein im Einverständnis des Autors für die Uraufführung im Trilogie-Rahmen gekürztes Auftragswerk des Cottbusser Theaters, wirkt in dieser Fassung und Inszenierung wie ein vergröberter Botho Strauß. Dass es mehr ist, müsste eine andere Inszenierung zeigen. Das Publikum jedenfalls zeigte seine verständliche Freude an der spielerischen Plakativität der Inszenierung mit viel Zwischen- und kräftigem Schlussapplaus. Der sich nach dem dritten Teil, nach Lutz Hübners "Blütenträume", zu einem wahren Jubelorkan steigerte.

Lebensläufe und das große Glück

Hübners vor einem Jahr in Essen uraufgeführtes Stück über Menschen der Generation 55+, die einen Flirtkurs an der Volkshochschule besuchen, um aus ihrer Einsamkeit in eine wie auch immer geartete Zweisamkeit zurück zu finden, ist ein pointensicheres Stück mit wunderbaren Rollen. Die Cottbusser Darsteller werfen sich in ihre sozial und psychologisch durchaus begründeten, aber zugleich klischierten Rollen mit soviel schauspielerischer Lust und komödiantischer Verve, dass man den Jubel des Publikums verstehen und das Theater ob seines tollen "alten" Ensembles nur bewundern kann.

Auch Hübners Stück ist gekürzt worden. Die Erfahrungen und Lebensläufe der Figuren werden weniger entwickelt als zitiert, und so sind Hübners Figuren in Cottbus beides, erkennbare Klischees und Typen wie auch wiedererkennbare, realistische Figuren. Trotz mancher Einwände gegen diese "Trilogie der Träume": der neue Schauspieldirektor Mario Holetzeck hat es mit seinen Inszenierungen immerhin geschafft, das in den letzten Jahren eher demotivierte Ensemble ebenso zu begeistern wie das Publikum. Soviel Jubel nach einer Schauspielpremiere in Cottbus gab es wohl noch nie.

 

Trilogie der Träume
(the killer in me is the killer in you my love von Andri Beyeler, Die Nebensächlichen (UA) von Dominik Finkelde, Blütenträume von Lutz Hübner)
Regie: Mario Holetzeck, Bühne: Jürgen Kirner, Kostüme: Susanne Suhr, Musik: Hans Petith, Susanne Paul, Video: Geertje Jacob.
Mit: Ariadne Pabst, Johanna Emil Fülle, Oliver Seidel, Jan Hasenfuß, Roland Schroll, Johanna Emil Fülle, Amadeus Gollner, Ariadne Pabst, Johanna-Julia Spitzer, Kai Börner, Rolf-Jürgen Gebert, Gunnar Golkowski Kathrin Victoria Panzer, Gabriele Lohmar, Hans-Peter Jantzen, Michael Krieg-Helbig, Heidrun Bartholomäus, Susann Thiede, Michael Becker, Erika Kerner, Thomas Harms.

www.staatstheater-cottbus.de

 

Kritikenrundschau

Der neue Cottbuser Schauspieldirektor Mario Holetzeck habe die drei Stücke seiner "Trilogie der Träume" "zu einem sehr heutigen Abend ... verwoben. Mit leichter Hand und durchaus schlüssig", meint Martin Stefke in der Märkischen Allgemeinen (6.10.2008). In Andri Beyelers "The killer in me ..." lasse Holetzeck etwa keinen Zweifel daran, "wie schwer es Jugendlichen fällt, cool zu sein. Ja, diese Coolness ist harte Arbeit." Leider aber überzögen Regisseur und Ensemble im Falle von Dominik Finkeldes "Die Nebensächlichen" "die ohnehin mit Problemen und Katastrophen überfrachtete Vorlage um das Treffen einer Gruppe 'guter Freunde' doch zu arg."

 

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