Muttertiere flüchten nicht

13. Januar 2024. Aus den Tiefen der Steinzeit scheinen sie gekommen, aber ihre Weisheiten klingen ganz heutig: die "Mütter!" von Anna-Elisabeth Frick. Leidende und Lachnummern sind sie. Aber sie haben genügend Werkzeuge, um auch die nächste Generation Kinder groß zu kriegen.

Von Falk Lörcher

"Mütter!" von Anna-Elisabeth Frick in Potsdam © Thomas M. Jauk

13. Januar 2024. Die besten Ratschläge fürs Muttersein kommen bekanntlich von Fremden, von Männern oder aus Erziehungsratgebern: "Wenn Ihre Kinder Sie ein bisschen triggern, einfach was anders machen" oder "Wenn man sich fürs Mutter-Dasein entschieden hat, muss man's auch ordentlich machen". Danke.

"Mütter!" heißt dieser Abend, und es ist nach ihrer Sybille-Berg-Inszenierung In den Gärten oder Lysistrata Teil 2 die zweite Arbeit von Regisseurin Anna-Elisabeth Frick in der Reithalle, der kleinen Spielstätte des Potsdamer Hans-Otto-Theaters. Dieses Theaterprojekt hat keine dramatische Vorlage, sondern bietet eine breite Collage rund um das Thema Mutterschaft, in die persönliche Erfahrungsberichte von Müttern, Fakten aus der Zeitung und literarische sowie popkulturelle Referenzen einfließen – von Hannah Arendt bis zu Disneys "Bambi".

Das Kinderzimmer als Steinzeit-Höhle

Viele der Textfragmente laufen vom Tonband, während fünf "Muttertiere" mit roten Perücken, Klett-Brüsten und Eierstöcken auf dem ganzen Körper sowie einem langen Schwanz – reptiloide Übersäugetier-Hexen-Wesen – die Bühne bevölkern (fantasievoll kostümiert von Mariam Haas).

Diese Bühne gleicht einer Mischung aus Kinderspielplatz, Steinzeit-Höhle und Feenwald, auf der sich haufenweise Eierkartons und Eierschalen stapeln. In der Mitte befindet sich ein hoher Thron aus braunem Stoff mit langen Pelzsträhnen, an den Seiten hängen riesige Stoffzotteln an Perlen- und Metallketten von der Bühnendecke, irgendwas zwischen Bärenfell und Handtasche. Am Anfang noch recht ordentlich, verfällt die Bühne (von Sophie Lichtenberg) immer mehr ins Chaos, bis sie einem unaufgeräumten Kinderzimmer gleicht.

Muetter2 1200 ThomasM.JaukReptilien oder Feenwesen? Die Mütter von Anna-Elisabeth Frick in Potsdam © Thomas M. Jauk

Mutter sein beginnt mit dem Kinderkriegen. Stoffpuppen, manche mit, manche ohne Gesicht, werden nacheinander von der Bühnendecke zu den auf dem Boden sitzenden Müttern heruntergelassen. Das erste Muttertier wickelt das Kind liebevoll in ein großes Tuch ein, das zweite packt es etwas weniger liebevoll in eine umgedrehte Aldi-Tüte, die an Lars Eidingers peinliche Designertasche erinnert.

Das dritte Muttertier trägt ein – nennen wir's mal – "Muttergeschirr": ein Klettergurt, an dem allerlei nützliche Gegenstände befestigt sind, unter anderem eine Sprühflasche, Schnuller, ein Babyfläschchen und ein Stethoskop, außerdem trägt es fünf Ferngläser, mit denen es das frisch geborene Kind ausgiebig untersucht, während die vierte Mutter mehrere Anläufe braucht, um ihr Puppenkind überhaupt erst zu fassen zu bekommen.

Tier fünf verhält sich unterdessen karikativ kinderlos und schwadroniert von "Satin-Bettwäsche, nackt wie ein Seestern lieg ich da", über "Weiß ja gar nicht, wer das ist von meinen ganzen Lovern, mir eigentlich auch egal!" hin zu "Kennt Ihr eigentlich Gua Sha? So ein Stein ist das" ... Schließlich fängt es an, mit einem kleinen Plüschhund zu spielen, während die anderen ihre Babys umsorgen.

Dein Dinkel ist durchgekaut

"Sagt mal, habt ihr etwa meine Mäntel aus dem Schrank geholt" – nach einem kurzen Laternenlauf rennen die Tiere – nun als Kinder – in einem kurzen Impro-Teil über die Bühne. Sie zerren meterlange Pelzmäntel hinter sich her und beginnen, mit dem etwas verlegenen Potsdamer Publikum zu interagieren, tauschen etwa ihre Jacken mit denen der Menschen aus der ersten Reihe.

Die Dramaturgie des Abends hangelt sich lose entlang am Leben eines Kindes, das zu Beginn noch schreiendes Baby ist, dann groß wird, bis es schließlich erwachsen ist und auszieht.

Muetter3 1200 Thomas M Jauk uImmer den Kopf oben halten: Laura Maria Hänsel und ihre Mitspieler in der Fantasiewelt von Bühnenbildnerin Sophie Lichtenberg und Kostümbildnerin Mariam Haas © Thomas M. Jauk

Stück für Stück konstruiert Anna-Elisabeth Frick ihr breites Bild von Mutterschaft; mal geht es um Hormone, Entfremdung vom Kind oder das Dasein als Alleinerziehende, mal um Überforderung oder mütterliche Fluchtgedanken. Mit der Debatte um die Sinnhaftigkeit von Erziehungsratgebern, Haushaltsführung und die Suche nach einer Identität neben dem Muttersein tastet sich Frick an den feministischen Diskursen der 1970er Jahre entlang. Dabei dringt sie jedoch nicht allzu tief vor und bleibt eher beim hinlänglich Bekannten, etwa wenn es um die Vereinbarkeit und Mutterschaft und Beruf geht. Einige der Texte oder zeitgeistigen Witzchen wirken austauschbar: Die gluten- und zuckerfreien Klischee-Dinkelcracker aus der Kita sind durchgekaut.

Gut rumgewackelt

Dennoch ist der Abend oft kurzweilig und es ist durchaus amüsant, den Textpassagen aus dem Off zu folgen, die durch die verspielten Tiere auf der Bühne, die mal rumwackeln oder schreien, mal Kind, mal Tier, mal Mutter, oder alles zusammen sind, kommentiert werden. Dabei schält sich eine klare Positionierung in Fricks Collage nicht heraus. Was sind die Perspektiven? Warum das alles? Mutterschaft ist mehr als nur ein Kind haben, ja gut. Und jetzt?

 

Mütter!
von Anna-Elisabeth Frick
Regie: Anna-Elisabeth Frick, Bühne: Sophie Lichtenberg, Kostüme: Mariam Haas, Choreographie: Ted Stoffer, Dramaturgie: Christopher Hanf.
Mit: Laura Maria Hänsel, Janine Kreß, Mascha Schneider, Hannes Schumacher, Paul Wilms.
Premiere am 12. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.hansottotheater.de

Kritikenrundschau

Der Abend mache Spaß, und die Inszenierung schaffe es, "Klischees zu thematisieren, ohne sie eins zu eins abzubilden", schreibt Lena Schneider im Tagesspiegel (14.1.24). Dennoch wolle er "nicht so richtig abheben". Das liege womöglich an dem "Spagat", den er versuche: "Hier die Lust an Performance, dort die dokumentarisch ausgerichtete Soundschiene" – die im Übrigen auch dafür sorge, "dass das Ganze einen ganz schön didaktischen Charakter bekommt."

"Vor lauter Leben bleibt die Reflexion auf der Strecke – so wie im wahren Leben meistens auch", bilanziert Karim Saab in der MAZ (13.1.24, €). Unvermittelt würden zwar auch Zitate von Sheila Heiti oder Hannah Arendt ion den Abend eingestreut, so der Kritiker. "Aber die Regisseurin überlässt sich dem Stoff und liefert eigentlich keine Gedanken, sondern nur starke Bilder."

Der Abend poche auf "Vielfalt jenseits aller Ideologie, wie eine gute Mutter zu sein hat", so Barbara Behrendt auf rbb Kultur (13.1.24). Dennoch hätte sie sich gewünscht, dass nicht "unzählige Themen einfach nur angerissen" würden, argumentiert die Kritikerin: Diese bloße Aneinanderreihung von Themen bleibe intellektuell letztlich leider etwas unbefriedigend. Nichtsdestotrotz sei Frick eine "talentierte Regisseurin" mit einer großen "szenischen Fantasie", die "starke Bildwelten" entwickele.

"Eine Reise der zarten Verfremdung" hat Katja Kollmann erlebt und schreibt in der taz (7.2.2024): In einer Uterus-Welt spielten Fabelwesen Mutter-Kind-Situa­tionen aus der Menschenwelt nach. "Der kreischende humorgetränkte Draufblick auf der Bühne führt zu kurzen, erlösenden Lachern im Publikum." Was die Aussagekraft vieler Beiträge angeht, könnten sie auch in einem „Mütterchat" stehen, so Kollmann. "Es bleibt im Privaten." Am Ende bleibe vor allem das Bild der gemütlichen Riesenvulva aus dem Bühnenbild im Gedächtnis hängen.

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