Eine Hotelbar in Tokyo - Sebastian Schug macht mit Tennessee Williams' Kammerspiel großes Theater auf kleinem Raum
Endstation Nirgendwo
von Andreas Wicke
Kassel, 7. Februar 2014. Im Mittelpunkt steht das Paar: Er ist Künstler, sie ist lebenshungrig. Er visioniert das absolute Gemälde, sie will Genuss, Gesellschaft, Glamour. Das Thema in Tennessee Williams' 1969 uraufgeführtem Drama "Eine Hotelbar in Tokyo" ist sicher nicht neu, aber die dichte atmosphärische Psychologisierung macht es dennoch zeitlos.
Miriam und Mark sind verheiratet, doch während sie in der Hotelbar sitzt und mit dem Barmann flirtet, ist er von seiner Kunst vollkommen absorbiert und arbeitet wie besessen im Hotelzimmer. Wenn er die Bar betritt, wirkt er nervlich deutlich angeschlagen und derangiert. Es kommt zum Streit, die beiden Welten sind unvereinbar. Schließlich bestellt sie seinen Galeristen nach Tokyo, der ihn von einer therapeutischen Behandlung überzeugen soll, doch auch er kann nicht vermitteln. Mark stirbt, und Miriam bleibt resigniert zurück: "Ich habe keine Pläne, ich muss nirgendwo hin", sind ihre letzten Worte.
Verraucht, verrucht
Nach Endstation Sehnsucht, "Orpheus steigt herab" und "Die Glasmenagerie" bringt Regisseur Sebastian Schug nun ein äußerst selten gespieltes Stück von Tennessee Williams in einer eigens bei Thomas Huber in Auftrag gegebenen Übersetzung auf die Studiobühne des Kasseler Staatstheaters. Auf die Frage, was seine Williams-Inszenierungen miteinander verbindet, antwortet Schug: "Leidenschaft". Die Hotelbar ist für die unterschiedlichen Formen von Leidenschaft und Sehnsucht der ideale Raum, dieser Ort unterliegt eigenen Gesetzen, vereinigt, was unvereinbar ist, Privatheit und Öffentlichkeit mischen sich.
Die Bühne ist ungewöhnlich realistisch ausstaffiert, genau so kann man sich eine Hotelbar in Tokyo vorstellen. Die Atmosphäre ist düster und intim, ebenso verraucht wie verrucht. Zwischenzeitig weiß man nicht, ob man im Publikumsraum eines Theaters oder eines Kinos sitzt, ob man einem Theaterstück oder einem Film folgt, bisweilen hat man das Gefühl, selbst in jener Hotelbar in Tokyo zu sitzen und voyeuristisch die Ereignisse und Eskalationen am Nebentisch zu beobachten.
Jackson Pollock und der Leopard
Diese Nähe stellt hohe Ansprüche an die Darsteller, nichts darf Geste, nichts darf Bühnengeschehen sein, nichts darf vergrößert werden – und das gelingt dem Ensemble bravourös. Eva Maria Sommersberg ist eine Frau, die gern jedes Mannes "Genitalien bearbeiten" möchte und ihre Hand dennoch kühl und bewegungslos zwischen die Beine des Barmanns legt. Diese Miriam ist eiskalt und faszinierend, trotzdem weiß man nie, ob sie nicht doch gleich explodieren wird. Sehnsüchte deuten sich an, aber jede noch so kleine Bewegung bleibt kontrolliert. Ihr Leopardenmantel ist längst nicht nur ein Kleidungsstück.
Für den Maler Mark hat Jackson Pollock Pate gestanden, Bernd Hölscher zeigt ihn in äußerster Gebrochenheit. Er will dem Lebenshunger seiner Frau entsprechen, kann seiner Kunst jedoch nicht entfliehen, kann seine Krankheiten nicht überspielen. Wenn er die Bar betritt, fällt er zu Boden. Der scheinbaren Hybris seiner Frau setzt er Zorn, Exaltation, Verzweiflung, kindliches Flehen entgegen, er wirkt aufgelöst und getrieben. Das Spiel von Sommersberg und Hölscher ist ganz eng aufeinander bezogen, jeder scheint mal in der stärkeren Position. Doch eine stringente Entwicklung gibt es nicht, die Emotionen ändern sich sprunghaft, das macht einen starken Reiz dieser Inszenierung aus.
Zwischen Harmonie und Hetze
Der Barmann und der Galerist wirken dagegen wie Neutralisatoren dieser energetischen Aufladung. Thomas Sprekelsen als Barmann wird zum Vertrauten, zum Therapeuten Miriams. Er ist immer in der Nähe und dennoch unerreichbar. Sprekelsen verleiht seiner Figur eine nahezu unkörperliche schwebende Leichtigkeit, nie weiß man, ob er denkt, was er sagt, was er haucht, immer nur lächeln … Im Gegensatz dazu ist Franz Josef Strohmeier als Freund und Galerist sehr körperlich, nimmt seinen Freund Mark immer wieder in den Arm, doch seine Körperhaltung verrät gleichzeitig Ablehnung. Seine berufsmäßige Verbindlichkeit wirkt ebenso unecht wie sein Jackett.
"Eine Hotelbar in Tokyo" ist ein Stück der Gegensätze: zwischen Mann und Frau, zwischen Kunst und Leben, zwischen asiatischer und amerikanischer Kultur, zwischen Leben und Tod, zwischen Harmonie und Hetze, zwischen Sehnsucht und Enttäuschung. Diese Gegensätze könnte man plakativ nach außen kehren, und Sebastian Schug und sein Ensemble tun gut daran, dieser Versuchung zu widerstehen. Die Inszenierung wendet die Kontraste nach innen und macht aus dem Stück ein Kammerspiel leidenschaftlich verzweifelter Sehnsüchte. Großes Theater auf kleinstem Raum.
Eine Hotelbar in Tokyo
von Tennessee Williams
Aus dem Englischen von Thomas Huber
Inszenierung: Sebastian Schug, Bühne und Kostüme: Christian Kiehl, Musik: Johannes Winde, Dramaturgie: Stephanie Winter.
Mit: Thomas Sprekelsen, Eva Maria Sommersberg, Bernd Hölscher, Sandra Kluge, Franz Josef Strohmeier.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-kassel.de
Die Zeit scheint aus Sicht von Juliane Sattler von der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (10.2.2014) über Tennessee Williams Spätwerk hinweggegangen zu sein und gerade deshalb in sie zu passen. Wenn auch in Tokio verortet, könne das 90-minütige Drama überall spielen, irgendwo und nirgendwo. "Wie zerbrechlich sind all diese Menschen und wie hoffnungslos einsam," schreibt die Kritikerin. Sebastian Schugs Inszenierung nehme "ganz langsam und fast nebenbei" an Fahrt auf und erreicht Sattlers Beschreibung zufolge enorme Intensität.
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