Losing my religion

29. Oktober 2023. Der Teufel ist zurück. Und ein amerikanischer Dramatiker- und Drehbuch-Star, den man auf hiesigen Bühnen nur noch selten sieht: David Mamet. An diesem Abend kommt das Böse in Person einer Dame vorbei, die Mamets Figuren in kapitalistischer Frömmigkeit zur schlechtesten Version ihrer selbst führt. Ein Genuss.

Von Martin Thomas Pesl

"Die Masken des Teufels" von David Mamet in der Regie von Johannes Lepper am Staatstheater Wiesbaden © Karl und Monika Forster

29. Oktober 2023. Wer hätte das gedacht? Er lebt noch. Und schreibt. So lange war von David Mamet in unseren Breiten nichts zu hören, dass man den Dramatiker und Drehbuchautor, der in den Neunzigern mit "Glengarry Glen Ross" und "Oleanna" das amerikanische Theater revolutionierte, instinktiv den (oft toten) Klassikern zurechnete. Da taucht im Spielplan des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden die deutschsprachige Erstaufführung seines neuen Werks auf: "Die Masken des Teufels", im Original "The Christopher Boy's Communion".

Anti-Method, Anti-Realismus

Und los geht das Googeln. Es ergibt, dass das mittlerweile sogar nur der vorletzte Mamet ist. Vor wenigen Wochen kam "Henry Johnson" in des Autors Wahlheimat Kalifornien raus, Hollywood-Star Shia LaBeouf soll darin "dynamite" gewesen sein. Auch die Uraufführung der "Communion" 2020 war mit William H. Macy starbesetzt. Mamet führt gern selbst Regie, darauf bedacht, dass sein ungeschöntes "Mametsprech" richtig rüberkommt und dass die Spieler:innen aufhören, irgendwelche Charaktere interpretieren zu wollen (im Wiesbadener Programmheft finden sich Auszüge seiner Anti-Method- und Anti-Realismus-Fibel).

Aus der Recherche geht aber auch hervor, dass Mamet zuletzt durch erzkonservative Ansichten und Lob für Trump aufgefallen war. Und dass einige späte Arbeiten, etwa über den Harvey-Weinstein-Skandal, nicht so gut ankamen. Das macht seine Abwesenheit gleich weniger erstaunlich, dafür umso bemerkenswerter, dass sich jetzt Regisseur Johannes Lepper an "Die Masken des Teufels" traut.

Mrs. Charles, der Teufel

Im Sinne des Autors dürfte er eh nicht viel machen. "Die Handlung ist die Pointe", proklamiert Mamet. Nun also, die Handlung: Der Schüler Michael hat seine jüdische Freundin bestialisch vergewaltigt und ermordet. Der Polizist, der ihn in flagranti erwischt hat, konnte damit nicht umgehen und beging Suizid. Seine Kollegen monieren in einer Bar den Zustand des allzu liberalen Rechtssystems, und Michaels Mutter Joan will ihren Sohn im bevorstehenden Strafprozess freikriegen, koste es, was es wolle: Die gute Katholikin (und eingeschworene Antisemitin) beschwört dabei erst einen Winkeladvokaten, dann ihren zu wenig gewissenlosen Mann, den Pater und schließlich eine Mrs. Charles, die nichts weniger ist als der Teufel.

Mamet2 Karl und Monika Forster uFeucht-fröhlicher Abgesang aufs Rechtssystem: Tobias Lutze, Rainer Kühn © Karl und Monika Forster

Komplex ist das nicht. Es dient als Rahmen für Streitgespräche und Tiraden, das Wälzen von Argumenten und das Hinstellen von Wahrheiten. Paradoxerweise erscheint das Stück dadurch im deutschsprachigen Bühnengeschehen umso unkonventioneller, auch weil Lepper und sein Team sehr wohl etwas machen: Dem geforderten Antirealismus tragen sie Rechnung, indem sie den gesamten Abend in der Bar des ersten Teils ansiedeln. Bloß hat es darin geregnet, der Boden ist ganz nass – simpel, aber unbehaglich.

Die personifizierte Wutrede

Vor allem aber passt das Stück bestens zu diesem Ensemble. Im ersten Drittel brilliert Tobias Lutze in der Rolle des Polizisten Hollis als personifizierte Wutrede. Bevor er daran erinnert, dass sein Vater im Job noch Schlagstöcke einsetzen durfte, drischt er mit einem improvisierten solchen auf einen Barhocker ein. Man hätte den Täter einfach abknallen sollen. Präventive Polizeigewalt? Geht natürlich gar nicht! Dennoch holt uns Lutze, scharfen Geistes und weniger betrunken als sein erratisch stotterndes Gegenüber (Rainer Kühn), mühelos auf seine Seite.

Noch krasser verhält es sich bei Anne Lebinskys Joan. Wie sie ihren Mann (Martin Plass) niederschreit und ihren Judenhass schamlos vor dem – jüdischen – Anwalt (Felix Strüven) ausbreitet, ist maximal abstoßend. Doch auch da zieht der dramatische Effekt: Wenn sich Joan später aus Raison zusammenreißt und den salbungsvollen Schmafu ihres Priesters (Kühn) über sich ergehen lässt, wenn sie schließlich vor Mrs. Charles (Lutze) ganz kleinlaut wird, tut sie einem fast leid.

Mamet1 Karl und Monika Forster uZwiesprache mit dem feinen Beelzebub: Anne Lebinsky, Tobias Lutze © Karl und Monika Forster

Aber nur fast, denn siehe da, der Pakt hält: Am Ende ist nix gewesen, alles eitel Wonne, und das harmonische Ehepaar freut sich auf die titelgebende Kommunion des Christopher-Jungen, ein Ereignis im Kalender der Kirchengemeinde. Nur wird Joan nicht hingehen, sie musste dem Glauben abschwören.

Dass Mamet seine Themen Gerechtigkeit und Religion sehr US-spezifisch abhandelt, lassen Michael Eberths mundgerechte Übersetzung und ihre souveräne Darreichung durch das Ensemble vergessen. Es dominiert Staunen über den Genuss, auf einer Bühne übelste Dinge vertreten zu hören. Nicht frontal diskursiv – Blicke ins Publikum sind auffällig rar –, sondern von einer Figur gegenüber einer anderen. Altmodisch ist das und gleichzeitig erfrischend. Wer hätte das gedacht?

 

Die Masken des Teufels
Von David Mamet, Deutsch von Michael Eberth
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Johannes Lepper, Bühne: Doreen Back, Kostüme: Sabine Wegmann, Licht: Steffen Hilbricht, Dramaturgie: Wolfgang Behrens.
Mit: Rainer Kühn, Anne Lebinsky, Tobias Lutze, Martin Plass, Felix Strüven.
Premiere am 28. Oktober 2023
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-wiesbaden.de

 

Kritikenrundschau

"An sich hat Mamet ein Stück über bedingungslosen Durchsetzungswillen geschrieben, alles andere ist nur (allerdings etwas schwerwiegende) Dekoration", so Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (30.10.2023). Lebinskys Spiel sei "kalt und gut", sie gebe gibt sich keinerlei Mühe, eine Mutterliebe in die Handlung zu bringen, die sich dort nicht befinde. "Aber auch beim Zuschauen kann man Schwierigkeiten haben, dieser verwickelten Dokumentation menschlicher Egozentrik psychologisch viel abzugewinnen. Das Unbehagen ist freilich eingeplant und wird in Wiesbaden auch ordentlich zelebriert."

In der Allgemeinen Zeitung / Wiesbadener Kurier (31.10.2023) schreibt Birgitta Lamparth, dass der Bühnenrealismus immer mehr Risse bekomme, sich ins Surreale drehe. Auc wenn vieles seltsam verkürzt bleibe, sei es "ein guter, wenn auch bizarrer Theaterabend. Einer, der viele Fragen aufwirft und über den man lange diskutieren kann. Vor dem Hintergrund antisemitischer Aktionen seit dem neuen Nahostkonflikt ist er erschreckend aktuell."

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