Mit Rechten reden?

13. Dezember 2023. Der US-Autor Paul Grellong, sonst oft fürs Fernsehen aktiv, hat ein Stück über die Verkommenheit des Universitätsbetriebs geschrieben. Das Eisen, das er anfasst, ist heiß: Es geht um Antisemitismus und Holocaustleugnung. Frank Behnke wagte die deutschsprachige Erstaufführung.

Von Henryk Goldberg

"Wer Wind sät" am Staatstheater Meiningen © Christina Iberl

13. Dezember 2023. "Ich bin doch einer von den Guten!", insistiert der Mann im karierten Anzug, da sind wir noch ganz am Anfang. Und ahnen doch schon, was wir eigentlich erst später entdecken sollen: Er ist es nicht.

Auch Paul Grellong, der Autor, ist keiner von den wirklich Guten, wenigstens nicht fürs Theater. Fürs Fernsehen ist er einer von den sozusagen Mittleren, Mitautor von Serien wie "Scorpion" oder "Hawaii Five-0". Das ist Handwerk im vorgegeben Rahmen, im Zweifel entscheidet der Showrunner. Hier, bei seinem Stück "Wer Wind sät", das die Meininger jetzt zur europäischen Erstaufführung brachten, war er von der Leine los.  

Der Deal mit dem Nazi

Eine gesellschaftskritische Story, die aber auch ein bisschen thrillig sein sollte, mit einigen Twists, wie das Fernsehen sie liebt. Nämlich Charles, Professor in Harvard, lädt einen rechten Nationalisten und Holocaust-Leugner zum Vortrag an die renommierte Universität. Natürlich, es geht um die Meinungsfreiheit, die Charles verteidigt wie nur einer.

Tatsächlich, aber das wissen wir jetzt noch nicht, hat der Professor mit dem Nazi einen Deal gemacht: Der Auftritt gegen das Tagebuch eines Deutschen aus dem Umfeld von Rudolf Heß. Denn Charles, der Segler mit seinen Modellschiffchen, benötigt etwas frischen Wind für die Karriere. Amy, die Dekanin und Jüdin, will ihn überreden, den Auftritt abzusagen und hat schon ein wenig intrigiert deshalb. Außerdem hat sie, aber das wissen wir jetzt ebenfalls noch nicht, dem Professor manchmal Dinge geraten – wie etwa den Betrugsversuch eines Studenten oder den sexuellen Missbrauch einer Studentin wegen Prominenz der Eltern nicht so furchtbar hoch zu hängen.

Wegen dieser Mails will Charles sie erpressen, allerdings hat sie, das wissen jetzt weder er noch wir, diese Mails illegal von seinem Rechner entfernen lassen, wozu die beiden Doktoranden Maggie und Lucas beigetragen haben. Während Charles mit dem Nazi speist, erhält der eine Amy von Maggie abgepresste Nachricht mit der Absage und als vor dem Tor eine protestierende Studentin erschossen wird, da fliegt das alles auf. Und damit das alles einen Thrill bekommt, hat Grellong die Szenen zeitversetzt gebaut, so dass die Demaskierungen – der Deal, die Erpressungen – erst später offenbart werden.

Verroteter Uni-Betrieb

Ich halte diesen Text für eine Ärgerlichkeit, nicht nur aus Gründen der Ästhetik, nicht nur weil der US-Amerikaner Story und Figuren auf dem Reißbrett entworfen hat, das wäre nur langweilig. Vor allem, weil hier ein wichtiges, ein zunehmend wichtiges Thema versenkt und verspielt wird. Muss man Rechtsradikalen, muss man Antisemiten ein Podium bieten um der Meinungsfreiheit willen? Und wenn sie 30 Prozent der Wähler haben wie in Thüringen? Hier in Grellongs Harvard aber geht es nicht um die Meinungsfreiheit, es geht darum, wie verrottet der universitäre Betrieb ist. Nichts als Intriganten und Opportunisten.

Eskalation auf dem Podium: Marcus Chiwaeze, Matthis Heinrich © Christina Iberl

Die Gefährdung des offenen Diskurses kommt heute eher aus den Reihen einer aggressiven studentischen Meinungsführerschaft. Wir hören, nicht auf dieser Bühne, von Studenten, die schreiend den Saal verlassen, weil sie vor einer Shakespeare-Vorlesung keine Triggerwarnung betreffend die Grausamkeiten des elisabethanischen Theaters erhielten. Studentinnen, die einen Vortrag verhindern, in dem eine Dozentin die These behaupten wollte, es gäbe nur zwei Geschlechter.

Es war wohl die drängende Aktualität des Themas "Meinungsfreiheit", die Diskussion der Grenzen eben dieser Freiheit, die den Schauspieldirektor Frank Behnke dazu bewog, sich dem Textangebot des Verlages nicht zu verschließen. Mag sein, dass dieser Abend als ein Diskussionsanlass dienlich sein kann, wenn dabei vom Theater schnell abgesehen und auf die Welt hingesehen wird. Aber im Theater sollte doch auch ein wenig um etwas anderes gehen: Um Theater.

Panoptikum universitärer Selbstversorger

Und das begibt sich hier, sozusagen, deutlich unter sein Niveau. Frank Behnke, der hier schon erfolgreich "Julius Caesar" mit den "Politikern" von Wolfram Lotz so intelligent wie artifiziell zusammenspannte, gibt den tragenden Figuren, und damit seinen Schauspielern, keine Chance. Der Charles von Stefan Willi Wang ist als Figur schon am Ende, kaum dass er begonnen hat. Das ist nicht eine Minute eine Figur, mit der sich auch nur der Anflug einer ernsthaften Auseinandersetzung verbinden könnte, ein eitler Pfau, der sich prüfend das Haar richtet. Nach dem Tod der Studentin ist er so demonstrativ zerfallen wie er vordem aufgeblasen war. Eine, auch ästhetisch, jämmerliche Erscheinung, tauglich höchstens als Demonstration der Gefahren übermäßigen Alkoholgenusses.

Lucas (Matthis Heinrich), Doktorand immerhin, ein Huschelchen, ein hemmungsloser Opportunist. Maggie, auch Doktorandin, führt sich bei Amy auf wie ein von der eigenen Progressivität berauschtes Erstsemester. Nur die Dekanin (Anja Lenßen) und Charles Freund Baxter (Marcus Chiwaeze), Jüdin sie, Afroamerikaner er, werden als Figuren nicht preisgegeben, aber auch sie haben vom Autor so gut wie kein Spielmaterial. Meinungsfreiheit? Ein Panoptikum universitärer Selbstversorger. Wer Wind sät. Hier wurde ein wichtiges Thema nun ja: vom Winde verweht.

Wer Wind sät
von Paul Grellong
Deutsch von Anna Opel
Regie: Frank Behnke, Bühne, Kostüme, Video: Pascal Seibicke, Dramaturgie: Cornelius Benedikt Edlefsen.
Mit: Stefan Willi Wang, Marcus Chiwaeze, Anja Lenßen, Matthis Heinrich, Emma Suthe, Larissa Aimée Breidbach, Enno Hesse.
Premiere am 12. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden 5 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-meiningen.de


Kritikenrundschau

"Dieses Stück besteht aus lauter Finten. Letzten Endes ist es selbst eine", schreibt Michael Helbing in der Thüringer Allgemeinen (14.12.2023). Es hantiere mit der Frage, ob man Rechtsextremen im Dienste der Meinungsfreiheit eine Bühne geben muss, es hantiere sogar mit Karl Poppers Paradoxon, wonach eine tolerante Gesellschaft Intoleranz nicht tolerieren darf. "Aber das sind nur Vorwände und Schutzbehauptungen. Die Figuren steigen in den Diskurs nicht ein, um was zu klären, eher, um anderes zu verschleiern." Regisseur Frank Behnke setze auf die Aufstieg-und-Fall-Symbolik der großen Treppe. "Ansonsten inszeniert er konsequent auf den Zeilen der durchaus gut gebauten Dialoge und selten dazwischen oder darunter. Kaum Zwischenraum, kaum Spielraum." 

 

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