Frau, Mann, Birke?

2. März 2024. Unter den Figuren dieser wilden Komödie sind eine Zwergsepia, ein Zentaur und eine pollenstreuende Birke. Oder etwa nicht? Was sind wir eigentlich und was definiert uns als Wesen? Diese Frage beschäftigt Kim de l'Horizon in diesem nun uraufgeführten Debüttext fürs Theater.

Von Tobias Gerosa

"DANN MACH DOCH LIMONADE, BITCH" am Schlachthaus Theater Bern © Yoshiko Kusano Press

2. März 2024. "Wir sind in einem Darkroom. Oder in einem Museum für hellenistische Plastik. Oder im ausgepumpten Magen des Universums". Kim de l’Horizon gibt im Stück "Dann mach doch Limonade, Bitch" genaue ungenaue Regieanweisungen. In diesem saunaheissen Raum jedenfalls soll glibbrige Magensäure steigen, bis sie die Bühne überschwemmt. Olivier Keller, der das Stück am kleinen Berner Schlachthaustheater uraufführt, lässt die Anweisungen im Dunkeln sprechen – was man nicht zeigen kann oder will, soll sich das Publikum vorstellen.

2021 wurde Kim de l’Horizons "Blutbuch" zum Grosserfolg mit Deutschem und Schweizer Buchpreis, davor schon war die nonbinäre Autorperson Hausautor am Theater Bern und noch früher 2020/21 nahm sie am Schweizer Drama-Förderungsprogramm "Dramenprozessor" teil. Doch erst jetzt kommt es zur Uraufführung des damals entstandenen oder wenigstens begonnenen Stückes mit dem Titel: "DANN MACH DOCH LIMONADE, BITCH" - in schreienden Majuskeln, doch ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Inhalt.

Ein Wettbewerb, oder was?

Die bedrohliche Magensäure gehört zum Schlunz, einer unheimlichen Offstimme, in dessen Magen wir uns befinden – oder auch nicht. Irgendwie ist sie gottgleich, man soll sie sich aber als allerschrecklichstes Monster vorstellen, das eine leuchtende Zwergsepia (die gleichzeitig eine ausgenutzte polnische Altenpflegerin aus der Provinz ist), einen Zentaur (ein Consultant mit Consulting-Sprech) und eine pollenstreuende Birke verschlungen hat. Warum? Das wissen weder das Publikum noch die Figuren. Es ist einfach so.

Verheissungsvoll wie ein Weihnachtsbaum leuchtet eine goldene Leiter leuchtet auf Dominik Steinmanns Bühne, die sonst nur aus einem t-förmigen Steg und einem kackbraunen Plastikwurm besteht, der sich im Laufe des Abends langsam aufpumpt. Wer raus will, muss da rauf. Das zumindest glauben die Figuren rasch zu merken. Und weil da Bühne und Publikum sind, muss das eine Competition sein.

Limonade Bitch 1 CYoshikoKusanopress uHimmelsleiter und Höllenwurm: Die Bühne von Dominik Steinmann © Yoshiko Kusano Press u

Fussball, ein Kampf der Pollen gegen die Leuchtbakterien oder eine Tanzbattle sollen also entscheiden. Doch dieser Handlungsfaden bleibt lose, da folgen sich Einzelnummern und wie zufällige Auf- und Abtritte, verbunden durch die Live-Tonspur Jojo Kunz’ am Kontrabass.

Hilf mir, Kim!

Die Regie betont diese Brüche durch komödiantisch wirkende, harte Schnitte, die die Aufmerksamkeit auf den Text an sich lenken. Der hat immer wieder viel Witz. Diego Valsecchi als Zwergsepia und Christoph Rath als Birke nutzen ihn mit Verve als komödiantischen Spielvorlage. Doch immer wieder bricht dabei mit großem Ernst de l’Horizons Hauptthema durch: Wer gehört dazu? Wie gehen die andern mit Andersartigkeit um? Und auch: Was ist, kann, muss, soll, dieser Körper eigentlich? Wie definiert er eine Person? Am expliztesten wird das bei Newa Grawits Zentaur deutlich, der sich einmal direkt an Kim wendet: "Du bist doch auch ein Zwitter, hilf mir!" 

An Kim? De l’Horizon hat sich selber beziehungsweise eine Figur mit demselben Namen ins Stück geschrieben, die den andern Figuren gegenüber behauptet, sie geschrieben zu haben, dann aber vom selbst erfundenen Monsterschlurz gleichzeitig gefressen worden zu sein.

Rettung ist möglich

Wie die Regie alle Darsteller*innen mit Hilfe eines Kinderpullovers das Kind Diego, Begleiter Kims, spielen lässt, gibt der Doppelbödigkeit noch eine zusätzliche Verfremdungsebene, die der etwas papieren wirkenden Idee durchaus guttut. Auch dass Silke Geertz Kim im violetten Samtanzug (Tatjana Kautsch setzt bei den Kostümen sonst auf bunte Fantasie) ganz ohne äusserliche Ähnlichkeit mit der realen Person spielt, passt zu Oliver Kellers Regieansatz: Der nicht der nicht illusionistisch sein kann bei diesem Text, wie auch die harten Schnitte gar nicht versuchen, eine lineare Handlung zu behaupten. So bekommt der Text mit seiner von lyrischem Ton bis zum Kalauer reichenden Spannbreite viel Raum viel Raum und eine konzise, theatralische Kraft

Wie die allesamt irgendwie fremden, andersartigen Figuren in dieser wilden, disparaten Komödie über das Nicht-in-den Körper-Passen sprechen oder die Frage, warum jemand denn überhaupt als Mann oder Frau gelesen werden muss, wird so zu einer tiefen, wie existenziellen Auseinandersetzung. Ob sich die Figuren schliesslich retten können? Die Antwort dieser Uraufführungsinszenierung ist eigentlich logisch.

DANN MACH DOCH LIMONADE, BITCH. Wo ist die goldene Leiter?
von Kim de l'Horizon
Uraufführung
Regie: Olivier Keller, Szenografie: Dominik Steinmann, Kostüm: Tatjana Kautsch, Dramaturgie: Patric Bachmann, Ton: Daniel Hobi.
Mit: Silke Geertz, Newa Grawit, Christoph Rath, Diego Valsecchi, Kontrabass: Jojo Kunz
Premiere am 1. März 2024
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

schlachthaus.ch

Kritikenrundschau

Weil der Regisseur Olivier Keller sich "auf ein fabulöses Ensemble verlassen" könne, werde einmal mehr deutlich, "dass Kim de l’Horizons Texte erst auf der Theaterbühne ihre ganze Ironie, ihre Musikalität, ihre lustvolle Albernheit entfalten", schreibt Lena Rittmeyer in der Zeitung Der Bund (4.3.24, €). Der Handlungsbogen des Stückes trage vielleicht nicht ganz bis zum Schluss. Aber die Inszenierung sei ohnehin vielmehr dafür gemacht, "sich in den präzise entworfenen Details zu verlieren".

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