Unusual Weather Phenomena Project - An der Zürcher Gessnerallee bekämpft Thom Luz mit seinem musikalischen Miniaturentheater den Donner der Welt
In der Wolkenwaschanlage
von Christoph Fellmann
Zürich, 10. März 2016. Er hätte es gerne gehabt, das Wetter hätte auch mal über uns geredet. Dabei war William R. Corliss ein Physiker; nur eben, dass ihm im Verlaufe seiner Arbeiten der Glaube an die Naturgesetze abhanden kam. Ungültig seien sie, meinte er, und blieb folglich auch der Feier fern, an der ihm 1988 in London ein Anerkennungspreis der königlichen Gesellschaft für Geografie hätte übergeben werden sollen. Und hier nun, an dieser edel gerahmten Leerstelle, setzt der neue Theaterabend von Thom Luz ein, dieses skurrile, betörende "Unusual Weather Phenomena Project". Es ist die erste freie Arbeit des Zürchers seit dem gefeierten "When I Die", das drei Jahre nach der Premiere immer noch auf Tournee ist. Die Uraufführung geht in seiner Heimatstadt über die Bühne der Gessnerallee.
Und wie in "When I Die" geht es auch diesmal um eine wissenschaftlich verbürgte, wenn vielleicht auch etwas spinnerte Person. Erzählte Luz damals über Rosmary Brown, die in langen nächtlichen Geisterséancen bisher unbekannte Musik von Franz Liszt, Franz Schubert oder Wolfgang Amadeus Mozart channelte, so widmet er sich diesmal nämlichem William R. Corliss (1926–2011), der Berichte über seltsame Naturphänomene sammelte und zu rund dreißig Büchern zusammenfasste, die zum Beispiel "Mysteries of the Universe" oder "Strange Life" hießen. Corliss fand nicht nur, das sei "eine sinnvolle Art, das Leben zu verbringen" – nein, der amerikanische Wissenschafter wurde für sein "Handbuch über seltene Wetterphänomene" (1974) schließlich auch bekannt.
Potzblitz: ein singender Ritter!
Als dieser Corliss auf der Bühne nun nicht erscheint, um seinen Preis nicht entgegenzunehmen, da spielen sich eine Musikerin und zwei Musiker in Frack gerade ein, auf Posaune, Geige und Trompetengeige, und dazu rauschen verwaschene Stimmen von einem Spulentonband. Anstelle des Jubilars erscheint ein Ritter, nicht irgendeiner, sondern der, der 1358 vor den Toren von London vom Blitz getroffen wurde, nachdem er ausgeritten war, um die nahenden Gewitterwolken zu bekriegen. Keine besonders sinnvolle Art, das Leben zu verbringen, denkt man, gerade auch unter Berücksichtigung des metallenen Mannskleids – bis man erfährt, dass der Ritter den Blitzschlag in einer Art von Wachkoma über- und noch mehrere hundert Jahre lebte. Nun spielt das kleine Orchesterchen, und der Ritter singt mit Georg Friedrich Händel über den ach lieblichen Schatten der Natur.
Klingt selber spinnert? Muss es. Denn dieser Abend spielt im Zwischenreich der Parawissenschaft, in dem die Ratio jenem armen Menschen gleicht, der in dem Haus ohne Türen eingesperrt lebt, von dem auf den Texttafeln einmal erzählt wird. Wir sehen eine Wolke, die mit Nebel abgespritzt wird und als Ballerina zurückkehrt. Wir hören ein Keyboard, das Mondphasen spielt, und einen A-cappella-Chor, dem die Lieder und Sprachen durcheinandergeraten. Wir sehen Wetterballone steigen und hören die "seltsamen Naturgeräusche", die sie auf Tonbändern hinter sich her und durch die alten Abspielgeräte ziehen. Es ist eine verspulte Musik voller Leerstellen und eigenartiger Echos, die Martin Hofstetter an den Geräten eingerichtet hat – ein flüchtiges Wetterklingen, das Mara Miribung, Michael Flury und Mathias Weibel an ihren Instrumenten subtil anreichern und umspielen.
Das Tic-tic-tic der Tonbandrollen
Wie sich diese unkonkrete Musik immer wieder materialisiert und verdichtet, das ist die Sensation dieses Abends. In fast schon psychedelischen Verläufen zieht sie einen tief hinein in dieses Universum der unwahrscheinlichen Phänomene, der seltsamsten Erscheinungen, des aufwärts fallenden Regens, der vierfachen Sonnenuntergänge oder verrückten Jahreszeiten. Und doch glaubt man immer auch, im unendlichen Tic-tic-tic der Tonbandrollen, den Wahnsinn leise anrollen zu hören. Und jeden einzelnen Menschen zu sehen, der im Bestreben, das Leben auf sinnvolle Weise zu absolvieren, die unwirklichsten Dinge anstellt. Einen Theaterabend komischem Wetter zu widmen, beispielsweise. Und das alles nur, um dann doch als Ritter in Unterwäsche dazustehen und, während schon der Donner zu hören ist, eine Hymne in den Himmel zu schicken: Evelinn Trouble singt ein zum Sterben schönes "Chorpus Christi Carol" von Benjamin Britten.
Sage noch einer, das Wetter habe nichts zu sagen über uns Menschen.
Unusual Weather Phenomena Project
von Thom Luz
Uraufführung
Regie und Bühne: Thom Luz, Kostüme und Licht: Tina Bleuler, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Sounddesign: Martin Hofstetter. Mit: Evelinn Trouble, Mara Miribung, Martin Hofstetter, Mathias Weibel, Michael Flury.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.gessnerallee.ch
"Wenn auch seine Retro-Ästhetik hübsch aussieht, so ist Thom Luz' Experiment über verblüffende Wetterphänomene dennoch gescheitert. Die Hommage an einen skurrilen Physiker macht noch kein Theaterstück", so fasst die Neue Zürcher Zeitung (14.3.2016) die Besprechung ihrer Autorin Katja Baigger prägnant zusammen.
Wie bei seinen vorgängigen Arbeiten zeige Luz dem Betrachter ein offenes Kunstwerk, das dieser mit eigenen Assoziationen zu ergänzen hat, beschreibt Mathias Balzer in der Südostschweiz (12.3.2016) den Abend. Gegen Ende verselbstständige sich die maschinell erzeugte Wettersymphonie und das Orchester ziehe sich zurück, als ob die Kunst Schutz suchte vor den wirklichen Wundern dieser unerklärbaren Welt. "Uns draussen Gebliebenen bleibt Staunen. So betörend kann Nicht-Verstehen sein."
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