Eine (mikro)ökonomische Weltgeschichte, getanzt - Pascal Rambert erarbeitet sein Laienchortanzprojekt am Hamburger Thalia Theater
Unsere Lieblingsdinge
von Katrin Ullmann
Hamburg, 26. Januar 2015. Am Ende von Pascal Ramberts "Eine (mikro)ökonomische Weltgeschichte, getanzt" greift Johanna Link zur Gitarre und singt: "Knockin' on Heavens Door". Ein Chor mit 50 Laiendarstellern stimmt mit ein. Es ist ein Gänsehautmoment. Nicht etwa, weil er berührt, sondern weil sich die ganze körpereigene Wahrnehmung sträubt gegen diese geballte Plumpheit, gegen diese schlimme Rührseligkeit, gegen dieses schlechte Pathos.
Eure Sorgen, eure Körper
Aber von Anfang: Pascal Rambert hat einen Abend konzipiert, in dem er die Weltwirtschaft und ihre Geschichte erklärt. 2010 hat er das in seinem eigenen Theater T2G in Gennevilliers gemacht. Dort ist er seit 2007 Intendant. Dort kann er machen, was er will. Er freut sich, erklärt er in dem an den Abend anschließenden Podiumsgespräch, dass er seine "Weltgeschichte" mit den Leuten des Pariser Vororts entwickelt hat – mit "ihren Sorgen, ihren Körpern" und er freut sich noch mehr darüber, dass sein Stück so erfolgreich ist, dass er es mittlerweile auch in den USA, in Japan erarbeitet hat und es demnächst auch in Ägypten auf die Bühne bringen wird.
Für die "Lessingtage – Um alles in der Welt", die vom 24. Januar bis 8. Februar am Thalia Theater ausgerufen sind, hat er es in Hamburg reinszeniert. Das heißt, er, der französische Tausendsassa (Regisseur, Choreograf, Dramatiker und Intendant) hat mit 50 freiwilligen Laien in drei Schreibworkshops Texte erarbeitet, die nun auf der großen Bühne des Hamburger Staatstheaters Raum finden. Unterfüttert ist das Ganze – sonst wäre der Stücktitel ja sinnlos – von einer Weltgeschichte der Ökonomie, als deren Autoren erneut Pascal Rambert und der Philosoph Éric Méchoulan verantwortlich zeichnen.
Diesen (Haupt)Text trägt Daniel Lommatzsch vor. Er spricht - wer hätte das gedacht? – von John Adam Smith, von Blaise Pascal, von Karl Marx und Muhammed Yunus. Er spricht von unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen, von der Kaufkraft des Geldes, von rituellen Tauschgeschäften und der Kraft der Krise. Lommatzsch behauptet zwar anfangs, er sei an diesem Abend "der rote Faden", doch es wirkt bald so, als glaube er sich selbst kein Wort und als verlaufe er sich selbst ständig im Text und in seiner Rolle des Conferenciers. Dabei macht er nicht mehr Strecke, als es das Auf-und-Abgehen an der vorderen Bühnenrampe hergibt.
Wie Fragezeichen im Wind
Unterbrochen wird diese Wirtschaftskunde für Anfänger entweder durch schrill überzeichnete Szenen aus der Historie (dargestellt von Franziska Hartmann, Johanna Link, Marie Löcker und Maria Magdalena Wardzinska) oder von ebenjenen 50 Menschen, die angestrengt versuchen, sich so wenig laienhaft wie möglich über die Bühne zu bewegen. Hin und wieder sacken sie in sich zusammen, summen oder wanken wie Fragezeichen im Wind.
So lange sie sich alle wie eine möglichst unauffällige Masse bewegen und nur pantomimische Gesten des Alltags (Zähne putzen, Jacke anziehen, fegen, Gitarre spielen) ausführen, ist ihre Bühnenpräsenz zwar nicht inhaltlich erhellend, aber auch nicht weiter störend. Als sie aber anfangen zu singen und zu summen, später selbst verfasste, recht mittelmäßige Texte lesen ("Ich greife bewusst nicht in diese Texte ein. Ich möchte da einen Moment der vollkommenen Freiheit schaffen", kommentiert Pascal Rambert später) und dann ihre Lieblingsdinge – Thermoskanne, Tigerente, Klapprad, Gießkanne, Vase, Regenbogenschirm, Einkaufsshopper, Skateboard, Schnorchel, Eieruhr in Hühnerform, blauer Ball und Kuschelente – auf der Bühne präsentieren, sucht man innerlich verzweifelt den nächsten Ausgang. Klar geht es jetzt um den subjektiven Wert von Dingen und eben nicht um ihren Marktwert. Das hat mittlerweile jedes Kind verstanden.
Politisches Theater, Utopie, Aufruhr – im Ernst?
Für Pascal Rambert ist das alles politisches Theater, da sich an einem Abend "unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Kontexten zusammenfinden". Das ist sein "Wunsch des Zusammenlebens", seine Utopie, so sieht für ihn "die Welt von morgen aus". Ja, es ist für ihn, und damit benennt er den Untertitel der diesjährigen Lessingtage, ein "Stück des Aufruhrs", eine Anstiftung zur Veränderung.
Tatsächlich aber ist es ein Stück zwischen Fremdschämen und schlechtem Bürgertheater, voller Banalitäten zu Wirtschaft, Krise und Geschichte. Weder pointiert formuliert noch neu fokussiert. Weder gekonnt noch getanzt. Der Besuch im Fach "Darstellendes Spiel" an einer beliebigen Hamburger Schule wäre höchstwahrscheinlich theatral vielschichtiger, die Rezeption einer ARTE-Sendereihe zum Thema Kapitalismus aufschlussreicher. Online gerade nicht verfügbar? Keine Sorge, wird bestimmt bald wiederholt.
Eine (mikro)ökonomische Weltgeschichte, getanzt
von Pascal Rambert und Éric Méchoulan
Regie: Pascal Rambert, Ausstattung: Pascal Rambert, Choreografie: Pascal Rambert, Chorleitung: Karin Pawolka, Dramaturgie: Susanne Meister.
Mit: Franziska Hartmann, Johanna Link, Marie Löcker, Daniel Lommatzsch, Maria Magdalena Wardzinska.
Texte: Hilke Bardua, Katrin Bätje, Dagmar Brehmer-Neumann, Kristof Danlowski, Mila Danlowski, Silke Dannenberg, Patric de Haan, Carsten Diederichsen, Birgit Grodtmann, Lars Hanebutte, Ines Hirschfeld, Karen Horwege, Hadjara Issaka, Mohamed Moustapha Issaka, Bernd Kalvelage, Inken Kirkerup, Julia Kossmann, Antonia Krämer, Ralf Kuhlemann, Maria Lanman, Klaus Lorenzen, Torsten Mendach, Janina Nielebock, Annette Noch, Sibylle Raasch, Ferdinand Rein sch, Ramona Richter, Ingrid Rögner, Amanda Babaei Vieira, Kaya Wittrock, Manon Wetzel, Karin Wolf, Sarah Wray, Andreas Wüst.
Chor: Wolfgang Ahrens, Till Andersen, Julia Becker, Sybille Förster, Sigurd Hartwigsen, Heiko Hillebrecht, AnneChristin Mente, Karin Pawolka, Anne Römer, Uta Sandrucci, Frank Schüler, Johann Steffen, Maren von Bülow.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.thalia-theater.de
Kritikenrundschau
Annette Stielike schreibt im Hamburger Abendblatt (28.1.15), Man erfahre in "Weltgeschichte" von "pazifischen Tauschritualen" und "dem Segen von Mikrokrediten". Das sei nicht "sehr tief gebohrt". Zur Illustration lieferten die Schauspielerinnen "ein paar launige Spielszenen". Rambert nehme die mögliche Peinlichkeit "Laien auf eine große Stadttheaterbühne zu stellen" bewusst in Kauf. Die Laien bewegten sich als "eine wogende Masse". "Tanzbewegungen", "Arbeitsverrichtungen", "Summen". "Die Idee der 'sozialen Skulptur' ist eine politische, im Theater noch immer revolutionäre." Das Einbrechen des Realen in den Kunstraum Stadttheater schaffe "besondere Zuschauernähe". Die 'künstlerische Qualität' allerdings lasse zu wünschen übrig, wenn "die Akteure Selbstverfasstes und bewusst Unredigiertes am Mikrofon lesen". Ein "konsequenter, aber leider nur halb geglückter Versuch einer Utopie".
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Die beiden - für mich - doch sehr negativen Kritiken und beider Äußerungen 'von Fremdschämen', sind für geradezu unverschämt.
Wie blasiert und hochnäsig können Personen nur sein, sich so Respekt- und Charakterlos über mutige Menschen zu urteilen, die sich voller Freude einer neuen, unbekannten Herausforderung gestellt haben.
Diese Spielfreude der Gruppe(wohl zw. 14 u.70J.), die Gemeinschaft Aller = Laiendarstellern, SchauspielerInnen und des Chores haben nicht nur mich und meine FreundeInnen berührt, auch die Menschen mit denen ich im Foyer sprach.
Auch dort zeigte sich ein positives Gänsehaut Gefühl, nämlich als die ganze Gruppe
"Knockin' on Heavens Door" intonierten.
Ich kann nur alle LeserInnen dieser Seite empfehlen, sich selbst ein Urteil zu bilden und eine der weiteren Aufführungen(zw. Feb. und April) im Thalia Gaußstr. zu besuchen.
C.Nachtigall
(Liebe Pina, es dauert manchmal einfach länger. Jetzt haben wir das Abendblatt zusammengefasst. Danke auf jeden Fall für den Hinweis - jnm)
Wenn schon "fremdschämen", dann für Kritiker, die ein derart vernichtendes und hochmütiges Urteil über an diesem Projekt beteiligte Menschen fällen.