Mackie Messer. Eine Salzburger Dreigroschenoper - Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf verpoppen den Brecht-Weill-Klassiker bei den Salzburger Festspielen
Die Dreigroschenoper, die aus dem Popup-Buch kam
von Reinhard Kriechbaum
Salzburg, 11. August 2015. Drei Groschen. Darüber wären sie froh, die armen Teufel aus Rumänien, die jeden Tag im Salzburger Festspielbezirk auftauchen. Gut organisiert sind sie, und so kniet vor wirklich jedem Eingang einer oder eine von ihnen. Dass von den Reichen und Schönen einer schon die Geldbörse gezückt hätte, war in den vergangenen drei Wochen nicht zu beobachten. Smoking und Abendkleid schützen wohl vor Versuchung zur Wohltätigkeit.
Die Bettler in der Felsenreitschule sind von den Festspielen pingelig und detailverliebt ausstaffiert. Viel echter als die echten, armselig aufs Kostbarste. Man lässt sich in Salzburg ja nicht lumpen, schon gar nicht wenn's um Lumpenpack auf der Bühne geht. Julian Crouch, der englische Ausstattungszauberer (der seit drei Jahren auch für den Jedermann mitverantwortlich ist) hat aus dem Vollen schöpfen dürfen. Schon die Moritat am Beginn wird in jeder einzelnen Arkade der Felsenreitschule zum Schattenspiel, Wort für Wort mit Scherenschnittfiguren umgesetzt. Messer, Hunde, alles da, und der Haifisch hat nicht nur Zähne, sondern ist gleich im Fischschwarm unterwegs. Ein London aus viktorianischer Zeit in Form putziger Miniatur-Papphäuschen wird bei Bedarf blitzschnell herbeigetragen und wieder weggeräumt. Auch die Wohnung der Peachum sieht auch aus, als ob ein Falt-Bilderbuch aufgeschlagen würde in dieser absonderlichen Aufführung, die man schier nicht glauben würde, hätte man sie nicht mit eigenen Augen gesehen.
Gewechseltes Musikgewand
Und vor allem mit eigenen Ohren gehört. Versprochen ist ja eine besondere, eine "Salzburger“ Dreigroschenoper. Wer Sven-Eric Bechtolfs Fest-Schauspiel der letzten Jahre verfolgt hat, könnte das als gefährliche Drohung auffassen. Was Brecht angeht, haben wir's schnell: Es wird kreuzbrav und lautstark deklamierend "Dreigroschenoper" gespielt, mit kindlicher Naivität den Text entlang, mit prallen Personenkarikaturen so derb wie platt. Diese Komponente des Abends darf man wohl Sven-Eric Bechtolf zuschreiben, der sich selbst im Lauf des Frühjahrs als Co-Regisseur ins Team gebracht hat. Lustig soll's sein, wie meistens bei Bechtolf. Und kommt doch nicht vom Fleck.
Das darf man allerdings nicht ganz allein ihm ankreiden, da spielt schon auch die Musik arg mit. Die strenge Rechte-Wahrerin des Komponisten, die Weill Foundation, ließ ins Programmbuch schreiben: "Einmalige Experimentalfassung in der musikalischen Adaption von Martin Lowe." Der Engländer Martin Lowe, ein Musical-Spezialist vom Londoner West End ("Mamma Mia!“ war sein Meisterstück, in Salzburg ist er seit drei Jahren für die "Jedermann“-Musik zuständig), hat sich also über Weills Noten hergemacht. Melodien sind oft stehen geblieben, aber sonst ist nicht nur das Partiturgewand gewechselt, sondern die Art der Musik grundsätzlich. Jene von Lowe quillt dicklich aus dem Orchestergraben, sie ist überladen mit Schnörkseln und mit Blech-Verfettungen: Postmoderne und Pop-Banalitäten in fatalem Schulterschluss, der nur auf die Ohren drückt. Da heißt es dann: Verstärker aufdrehen, damit man die Schauspieler überhaupt hört. Schlecht zu verstehen sind die Songtexte, aber es kennt sie eh jeder. Irgendwelche Zwischentöne? Sie kommen, so vorhanden, akustisch unter die Räder.
Schauspieler, Subschauspieler und Statisten
Man darf die Schauspieler/Sänger fairerweise nicht verurteilen: Sie stehen auf verlorenem Posten. Peachum (Graham F. Valentine) wird uns als alter Jude vorgeführt, Sierk Radzei als larmoyant-verweichlichter Brown. Im raschen Wechsel zwischen naiv und keck kann Sonja Beisswenger ein klein wenig mehr aus ihrer Rolle herausholen als die anderen, die samt uns sonder oberflächliche, eindimensionale Typen bleiben. Das gilt für Sona MacDonald (Spelunkenjenny) ebenso wie für Pascal von Wroblewsky (Frau Peachum). Für die Bettlergruppe sowieso. Witzig schon, wenn Lucy (Miriam Fussenegger) mit Polly, beide in Krinolinen, um Macheath rangeln. Dieser Mackie Messer ist Michael Rotschopf. Man hat ihn, aus welchen Gründen immer, dazu angehalten, dieser Figur die Züge eines Dandys zu geben.
Gleich zwanzigköpfig ist das Team von Statisten und Sub-Schauspielern, es ist ja viel Raum zu füllen, die Pappwände sind zu bewegen, man muss über die Bühne und durch die Arkaden laufen, und gelegentlich sind ein paar überdimensionale Puppen zu bauen. Wenn der reitende Bote kommt und Macheath vor dem Galgen rettet, stülpen sich die zwanzig Pferdeköpfe über. Ein Rossballett hat ja noch gefehlt bis dahin. Die dann doch recht zähflüssig erzählte Bildgeschichte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein Theater bar jeder Gedanken, sondern nur Schüttwerk aus losen Einfällen ist. Kaum Publikumsreaktion zwischendurch, und ganz ohne Applaus ging's bei der Premiere in die Pause. Am Ende erstaunlicherweise Jubel, durchsetzt mit vielen nicht gar so lauten Unmutsäußerungen. Die Publikumsmehrheit scheint sich in der Luft marginalisierter Intellektualität im Schauspiel der Salzburger Festspiele inzwischen so recht daheim zu fühlen.
Mackie Messer. Eine Salzburger Dreigroschenoper
von Bertolt Brecht / Kurt Weill
Einmalige Experimentalfassung in der musikalischen Adaption von Martin Lowe
Regie: Julian Crouch, Sven-Eric Bechtolf, Musikalische Gesamtleitung / Orchestrierung: Martin Lowe: Dirigent: Holger Kolodziej, Bühne: Julian Crouch, Orchester: Ensemble 013
Mit: Graham F. Valentine, Pascal von Wroblewsky, Sonja Beißwenger, Michael Rotschopf, Sierk Radzei, Miriam Fussenegger, Gilbert von Sohlern, Martin Birnbaum, Martin Bermoser, Wolfgang Seidenberg, Johann Rosenhammer, Christian Fröhlich, Martin Vischer, Sona MacDonald, Steffen Schortie Scheumann.
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten
www.salzburgerfestspiele.at
Was man bei dieser Fassung der "Dreigroschenoper" höre, sei "liebevoll ausgestaltete Unterhaltungsmusik mit Sinn für Spieluhr-Ambiente, bisweilen auch eine nächtlich-geisterhafte Stimmung. Derweil aber ohne jeden Sinn für, geradezu mit Verweigerung gegen (...) das Scharfe, Sparsame, Brüske, Böse, Spröde der Weill-Musik", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (14.8.2015). Was hingegen auf der Bühne stattfinde, sei "insgesamt possierlich und etwas uncharakteristisch oder allgemeingültig, sieht aber sehr schön aus." Die "Dreigroschenoper" sei ja "ein seltsames, auch flüchtiges, disparates Stück." Crouch und Bechtolf hätten "das zu hundert Prozent begriffen. Bloß zeigen möchten sie es nicht."
Das Erstaunliche an dem Abend sei, dass er überhaupt stattfinde, schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (13.8.2015). Dem künstlerischen Leitungsteam gelang es, sowohl der Weill-Foundation wie auch den Brecht-Erben ein Placet für ihre Fassung abzuringen. Die Neuorchestrierung von Martin Lowe sei jedoch laut und armselig, Lowes kleistere "die Lieder zu mit Kitsch und Keyboard-Kleber". Auch der Gesang bringe keine Linderung, "Immerhin: Die Besetzung ist homogen zusammengestellt". Immerhin erzeugten Bechtolf und Crouch "mit einer bis an die Grenzen der Ödnis zerfasernden Sprechregie" eine Sehnsucht nach der jeweils nächsten Musiknummer, selbst wenn man dann wieder Lowes Anschlägen ausgesetzt ist.
Wenig begeistert ist auch Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.8.2015): "Man weiß nicht, soll man weinen oder soll man lachen? Diese Dreigroschenoper schwelgt geradezu in Superlativen", so beginnt seine Rezension über den Abend, "eine Collage aus einer gängigen Musicalinszenierung – 'Les Misérables' kommen in Betracht –, Puppentheater, Filmzitate". Fazit: "Frei nach Kästner: Im Toggenburger Stadttheater hätten sie an diesem Abend das Stück verstanden. Crouch erklärt uns den Brecht (und den Weill) nicht neu, er überfällt uns damit."
Lahme Kulinarik dominiere, so Ronald Pohl im Standard (13.8.2015). "Martin Lowe ersäuft Weills famos klappernde, keinerlei Ergänzung bedürftige Moritatenmusik in einer schauerlichen Klangsauce." Was fehlt, sei irgendeine Haltung, "ein Hinweis darauf, dass Brecht die Hierarchie der Welt auf den Kopf gestellt haben wollte, um zur Vernichtung der bürgerlichen Ordnung anzustiften." Man könne nicht alles haben, "aber ein bisschen mehr dürfte es in Festspiel-Salzburg schon sein. In den Jubel mischten sich unüberhörbar Buhrufe".
Die Salzburger Festspiele seien in ihrem Schauspielprogramm in rasanter Fahrt in Richtung Unterhaltungsbanalität unterwegs, ein Kurs, den es dringend zu korrigieren gilt, so Sven Ricklefs' Resümee des Abends im DLF Kultur heute (12.8.2015). "Die Inszenierung kommt ästhetisch daher, als sei sie gerade einem Buch von Charles Dickens entsprungen." Sähe und höre man im Londoner Westend, man würde das arrangierte Geschichtchen als notwendiges Übel für die schmissigen Hits in Kauf nehmen und seiner Wege gehen. "Doch die Salzburger Festspiele sind kein Musical-Theater für Heathrow-Touristen, zumal schon die letzte Schauspielpremiere mit Shakespeares 'Komödie der Irrungen' ebenfalls als Mitwipp-Musical über die Bühne ging."
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