Kabale und Liebe – Claudia Bauer nimmt Schiller endlich mal wieder todernst
Liebe in den Zeiten des Krieges
von Otto Paul Burkhardt
Stuttgart, 28. März 2009. Was tun mit "Kabale und Liebe"? Umfrisieren, weil die Zwänge der heutigen Zeit – ohne die Standesgrenzen von anno 1784 – ganz anders aussehen? Womöglich den Ball flach halten, weil Schillers Extrempathos – gefühlte 100 Mal "Ha!", "Bube!" und "alle Donner!" – so nicht mehr vermittelbar ist?
Regisseurin Claudia Bauer, die in Stuttgart bereits mit eigenwilligen Setzungen auffiel (Shakespeares "Sturm", Arthur Millers "Auferstehungsblues"), hält den Ball keineswegs flach. Im Gegenteil, sie zeigt das Scheitern der Liebe zwischen dem Adelssprössling Ferdinand und der Bürgerstochter Luise so, wie es ist: als todernste Sache. Sie aktualisiert nicht, sondern belässt die Tragödie in ihrer Zeit. Kurz, Claudia Bauer inszeniert "Kabale und Liebe" als Studie über Terror und Gewaltverhältnisse, politisch, sozial, privat – so gesehen durchaus im Schiller'schen Sinn.
Juchhe, auf nach Amerika!
Stark der Einstieg (vorgezogen aus dem zweiten Akt): Auf der weiten, kreisenden, zappendusteren Drehbühne schildert der am Boden liegende Kammerdiener (Bernhard Baier) die Schrecken der Zwangsrekrutierung von 7000 Landeskindern als Soldaten nach Übersee, imaginiert höchst eindringlich, dass der Landesvater diese Menschen wie Vieh verkaufte und Aufmüpfige niederschießen ließ: "Wir ... sahen ihr Gehirn aufs Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe, auf nach Amerika!" So stellt die Regie von vornherein klar, worum es geht: nicht nur um die vielzitierte voraussetzungslose Liebe, sondern auch um Liebe in einer von Kriegen traumatisierten Zeit.
Danach spielt man den Schiller durchaus in Reifrock oder Kniehose. Aber in leicht gekürzter Fassung und geraffter, entrümpelter Sprache. Doch deshalb noch lange nicht in cooler Pathosferne. Im Gegenteil, Schillers Übertreibungen werden voll ausgespielt, weil sie doppeldeutig sind: Sie zeugen von überfluteten Gemütern, haben aber teils auch entlarvenden Charakter.
Aussteigen aus Hofleben und Reifrock
Zum Beispiel bei Ferdinand (Christoph Gawenda), dessen Liebesbekundungen zur Bürgerstochter Luise vielleicht von Herzen kommen, aber ebenso eine Form von erweitertem Narzissmus sind – weshalb er sich gerne mit ausgebreiteten Armen an seinen eigenen Wortfindungen berauscht und dabei auch schon mal von der Bühne ins Zuschauerparkett stürzt.
Kein Wunder bei seinem sozialen Umfeld: Sein Vater, der Präsident von Walter (Jörg Lichtenstein), will ihn mit harter Hand in eine standesgemäße Ehe mit Lady Milford zwingen – und das in scharfem Kommandoton ("nicht so schmachtlappig"). Hofmarschall von Kalb (Florian von Manteuffel) trägt eine giftgrüne Weste und hat panische Angst vor "Gassenkot". Einzig Lady Milford (Susana Fernandes Genebra) hat bald keinen Bock mehr, einem abgeneigten Ferdinand hinterherzulaufen. Sie steigt aus dem verlogenen Hofleben aus – sinnfälligerweise auch aus dem monströsen Reifrock.
Doch der bürgerliche Stand der Familie Miller ist bei Claudia Bauer ebenfalls kein Milieu, in das man sich hineinwünscht. Ihr Vater Miller (Boris Koneczny) schimpft über den unstandesgemäß adligen Schwiegersohn in spe, ganz im Gegensatz zu seiner aufstiegsorientierten Frau (Rahel Ohm), die ständig schmachtend und augenverdrehend von der Liebe trällert. Tochter Luise (Minna Wündrich) sitzt da lieber stumm zwischen ihren kleinkarierten, peinlichen, aber irgendwie lieben Eltern – eine Träumerin, die längst anderswo zu Hause ist und lächelnd in die Ferne schaut. Klar, dass der zwar demselben Stand angehörende, aber eiskalte Sekretär Wurm (Benjamin Grüter) bei ihr keine Chance hat.
Ein Brief auf nackter Haut
Bis die Gewalt der Verhältnisse durchschlägt: In der Stuttgarter Inszenierung sogar ziemlich drastisch – den erzwungenen Liebesbrief an Hofmarschall von Kalb schreibt sich Luise direkt auf den halbnackten Leib. "Nehmen Sie", sagt sie zu Wurm und bietet nicht nur das Schreiben, sondern gleich auch noch ihren Körper an, um ihre inhaftierten Eltern freizukaufen.
Gut, die finale Limonadenszene, in der Ferdinand sich und Luise vergiftet, ist lang und zäh geworden. Auch der einzige Ausfallschritt der Regie – wenn Bernhard Baiers Kammerdiener als Drag Queen Annie Lennox' "Sweet Dreams" zerpflückt ("some of them want to use you, some of them want to get used by you") – wirkt im verknappten, aber letztlich texttreuen Umfeld seltsam isoliert. Doch übers Ganze gesehen zeigt Regisseurin Claudia Bauer ziemlich dicht am Schiller-Original entlang, wie Gewalt und Terror alle Verhältnisse durchdringen. Bis zwei Liebende sich umbringen und feststellen müssen, dass sie selbst in dieser letzten freien Entscheidung zu manipulierten Opfern geworden sind. Da ist es nur konsequent, wenn die Regie in einem Punkt von Schiller abweicht – eine staatstragende Versöhnung des Präsidenten mit Sohn Ferdinand findet nicht statt.
Kabale und Liebe
von Friedrich Schiller
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Hendrik Scheel, Kostüme: Daria Kornysheva. Mit: Jörg Lichtenstein, Christoph Gawenda, Florian von Manteuffel, Susana Fernandes Genebra, Benjamin Grüter, Boris Koneczny, Rahel Ohm, Minna Wündrich und Bernhard Baier.
www.staatstheater.stuttgart.de
Mehr lesen über Claudia Bauer? Hier finden Sie die Nachtkritiken zu Auferstehungsblues (bei den Ruhrfestspielen in Marl, Mai 2008) und Vor der Sintflut (am Staatstheater Stuttgart, März 2008).
Schillers Sweet Dreams
Claudia Bauer, meint Nicole Golombek in den Stuttgarter Nachrichten (30.3.), habe in Schillers "Kabale und Liebe" ein "Stück Unterhaltung" gesehen, "ein gut geöltes Laufwerk voller Emotionen", demgegenüber sie "auf Totalverweigerung" setze, das Politische suche und die Rollenbilder, Gewalt, Projektionen in den Beziehungen ausstelle. Dabei trage sie dick auf, setze "Einfälle und V-Effekte, wie man sie an jedem Stadttheater sieht, das auf sich hält". So reihe sich im "flotten Wechsel zwischen Nahkampf und Distanzkrampf" eine Äußerlichkeit an die nächste. Wenn Luise den Brief an ihren fingierten Liebhaber auf ihren Körper schreibt, sei dies "bestes Vorzeigediskurstheater" und erspare "mühevoll präzises Ausleuchten der Untiefen der Figuren". Dabei reagiere Minna Wündrichs Luise "ganz wunderbar fassungslos" auf ihre Vergiftung, Christoph Gawenda habe "Talent für zwei zum rasenden Liebhaber", und Jörg Lichtenstein sehe man "gebannt" zu, wie er lässiger Vater ist und doch zugleich Zynismus, Machtgeilheit "in einem scharfen Wort, einer herrischen Geste verrät". Es hätte also "ein großer Abend werden können".
Die "realen emotionalen Energien" würden ebenso wie die "klischierten tragikomischen in jeder Phase der Inszenierung auf zündende Weise freigesetzt", schreibt hingegen Thomas Krazeisen in der Eßlinger Zeitung (30.3.). Dabei tue die Regisseurin eigentlich nichts anderes, "als mit kühlem Kopf dem heißen Wahnsinnsodem" in Schillers Stück "aufmerksam zu lauschen", ohne "unnötige psychologische Vermutungen" oder "krampfhaft aktualistische Bezüge" zu formulieren. Modellhaft lasse Bauer das "ausnahmslos starke Ensemble" die "zeitenthobenen Grundmuster einer Liebe" herauspräparieren, die am Ende "weniger an politischen Konditionen oder moralischen Konventionen" als an "ihren pathologischen Verabsolutierungen" scheitere. Tyrannisch geriere sich hier nicht nur die Aristokratie, sondern auch das Bürgertum à la Miller. Bauer zeichne die Figuren mit detailgenauer Personenregie, wobei Ferdinands "regressiv-aggressive Fixierung auf ein Beziehungsideal, das aus der Heiligen Luise eine todgeweihte Hure macht, sobald sie sich seinen unreifen Besitzansprüchen entzieht", als das gezeigt wird, was ihn von der Geliebten, von sich selbst und vom Vater abtrennt.
Nicht zuletzt Bauers Inszenierung bezeugt für Roland Müller von der Stuttgarter Zeitung (30.3.), dass Schiller uns heute immer noch viel zu sagen hat. Die Regisseurin komme ganz ohne Schnickschnack aus; alles, was sie braucht, sei "ein schmales Reclamheft, eine kluge Strichfassung und eine Truppe von Darstellern", die sich "mit Leidenschaft" in das Trauerspiel werfe. Schon die Kammerdiener-Ouvertüre über die Zwangsrekrutierung der Soldaten sei stark. Im Nu stecke Bauer das Feld ab, auf dem sich das Schiller'sche Drama bewegt, zoome dabei "von der Totalen einer absolutistischen Gesellschaft runter auf die Mitglieder" und "von der staatlichen Gewalt runter zu den privaten Gefühlen, die von eben dieser Gewalt überrollt werden". Ferdinand, bei Gawenda "ein sehr heutiger Lover", sei dabei "weniger in seine Geliebte als in die Liebe selbst verliebt". Wündrichs Luise lasse sich dagegen "mit ihrer resoluten Körperlichkeit nicht in den jenseitigen Äther sperren, den Ferdinand für sie vorgesehen hat. Im Gegenteil: die Regie betont ihre absolute diesseitige Fleischlichkeit noch". Am Ende aller Intrigen erscheint sie "auch faktisch das Objekt, als das Ferdinand (...) sie schon immer in seiner glühenden Fantasie gesehen hat". So werde hier mit Schiller "die Liebe selbst als unmenschlich" gezeigt.
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