Autorenblog: Als Du schliefest
17. Mai 2011. Nach dem anti-naturalistischen Manifest Der Biberpelz nun ein anti-psychologischer Ibsen: Herbert Fritsch erweist sich mit Nora oder ein Puppenhaus als Meister des Formalen und genialer Eklektizist. Im Schnelldurchlauf sampelt er visuelle und literarische Zitate über den Ibsen-Stoff. Kristine Linde und Anwalt Krogstad versinken im Kuss aus "Vom Winde verweht". Finger krümmen sich "Nosferatu"-artig, und auf der glanzpapierfarben ausgeleuchteten Spielfläche wird zombiehaft gelurcht, dass es eine Freude ist. Unterlegt ist das alles mit verzerrt hallender Melodramenmusik, die Suspense à la Hitchcock suggeriert. E. T. A. Hoffmanns Coppelia wackelt puppenhaft über die Szene, und Nora trägt zum Tüllkleidchen der verzogenen Göre das rote Haar von Munchs lüsterner Vampirin. Ihr Geschlecht zieht die Männer magisch an – schwarzes Loch, "Vagina dentata".
Psychoanalyse und Trash-Horror, Figuren als Triebmaschinen, ein Tanz der Scheintoten aus dem Bürgertheater. Hier liebt man mit "Leib ohne Seele". Klar, das nervt zwischendurch. Und das Begehren, das unter der bürgerlichen Oberfläche gärt, nach Außen zu kehren, ist sicher auch kein neuer Ansatz. Aber so konsequent und schlüssig? So ganz ohne Sentiment, einfach nur als Mechanik?
Außerdem knallt der Ibsen: wenn Helmer seinen sterbenden Freund Dr. Krank abwertet zum "bewölkten Hintergrund für unser sonniges Glück", dann hab' ich das zum ersten Mal gehört – Text und Konzept gleichauf.
Und dann der Bühnenraum als Metapher: Der glänzend schwarze Boden um die schimmernde Spielfläche ist das schwarze Wasser, in das sich Nora stürzen möchte, nachdem Helmer von der gefälschten Unterschrift erfahren hat. Im Hintergrund mimen Helmer und "Dr. Krank" eine Schlittschuhfahrt. Für Krogstad ist das Spielquadrat ein rettendes Floß auf feindlicher See. Selten war das Unbewusste von solch radikaler Schwärze und Theater sich so sehr seiner Mittel bewusst. Am Schluss brennt der Weihnachtsbaum und das Über-Ich schwebt ein: drei schwarzgekleidete Gestalten im Bühnenhimmel, die nachsichtig mahnend "Nora, Nora, Nora" rufen und wieder abfahren. Großartig! Endlich einmal kein laues Theater! Herbert, pack' die Strahlenkanone aus.
(Elena Philipp)
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