Flutungen im Theater

16. April 2024. In der Reihe "kurz gefragt" kommen Expert:innen für Sachfragen zu Wort. Vor einiger Zeit erklärte uns Wesko Rohde von der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft, warum es im Theater so häufig zu Wasserschäden durch Brandschutzanlagen kommt. Ein Update vor dem Hintergrund der jüngsten Havarie im Berliner Ensemble.

Von Wesko Rohde

Die Unterbühne des Berliner Ensembles nach dem Wasserschaden vom 5. April 2024 © Ingo Sawilla / Berliner Ensemble

16. April 2024. Immer wieder verursachen Unfälle mit Sprinkleranlagen Wasser-Schäden an Theatern. Warum ist das so? Wesko Rohde von der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft klärte uns 2018 dazu auf. Jetzt gibt er ein Update.

Wesko Rohde, Sie haben sich nach einigen Jahren in der Redaktion gemeldet, um mitzuteilen, dass sie heute einige Dinge ganz anders sehen würden als noch vor sechs Jahren. Welche wären das?

Automatische Löschanlagen haben bis zum heutigen Tage noch nicht einen Brand auf einer Bühne verhindert, allerdings bald Schäden im Bereich von 100 Millionen Euro angerichtet. Spätestens jetzt sollte man darüber nachdenken, ob das die richtige Technologie für ein Theater ist. Bei den nötigen Gremien sehe ich keinerlei Einsicht, die sich aus solchen Vorfällen ergeben könnte, sonders stets die gleichen Sicherheitsfloskeln. Was könnte denn jetzt die Ursache gewesen sein, die zur Auslösung geführt hat? Dabei sind die Ursachen im Einzelnen gar nicht das entscheidende. Entscheidend ist, dass niemals ein Brand die Ursache eines solchen Ereignisses ist.

Dass Flutungen aber ganz erhebliche wirtschaftliche und organisatorische Auswirkungen auf die Theater haben, das ist inzwischen auf jeden Fall bestätigt. Wir können die Häuser nicht länger diesem Irrsinn aussetzen. Oder möchten Sie, das sich Oliver Reese in zehn Jahren wieder entschuldigt dafür, dass er seinen Spielplan nicht einhalten kann? Das BE erlebt ja schon den zweiten Vorfall innerhalb von zehn Jahren! Ich verstehe die Ruhe und Besonnenheit der Theaterleitung auch als Hinweis, dass man gar nicht wirklich weiß, was einem da zugemutet wird.

Wie sollten die Theater jetzt verfahren?

Diese Anlagen mit den automatischen Steuerungen müssen gänzlich aus den Theatern verbannt werden. Am besten muss man zum jetzigen Zeitpunkt alle diejenigen, die auf Automatik eingestellt sind, auf händischen Betrieb
umschalten und die Bauanträge oder internen Regeln ergänzend darauf abstimmen. Im Brandfalle würde die Feuerwehr eine solche Anlage auslösen und die Menschen hätten ausreichende Zeit, des Gebäude zu verlassen. Das ist ja auch das eigentliche Schutzziel. Die Menschen sollen im Brandfall aus den Theatern kommen. Die Werte stehen erst an zweiter Stelle. Aktuell ist es aber so, das es nicht brennt, wir komplett die Werte einer Bühne zerstören und eigentlich kein Ereignis haben, bei dem Menschen ernsthaft gefährdet wären. Die Ziele sind nicht im Blick derer, die die Regeln erstellen.

Die Theater sind durch gute Meldeanlagen bestens geschützt, es gibt bestens geschultes Fachpersonal und die Gebäude sind bekannt. Im Alarmfall ist das Haus in acht Minuten evakuiert, die Feuerwehr ist in spätestens zehn Minuten da und kann ihre Arbeit machen. Im BE lief das Wasser aktuell neun Minuten. Schöne theatralische Kette.

BE WasserschadenEin Vorhang aus Wasser: Screenshot einer Videoaufnahme aus dem Berliner Ensemble vom 5. April 2024 © Sebastian Zimmler via Berliner Ensemble auf X / Twitter.

Und bei Neubauten?

Bei Neubauten sollte man gründlich überlegen, ob Löschanlagen überhaupt notwendig sind oder ob die Sicherheitsketten – durch Meldesysteme –  auch ohne diese aufwendigen Anlagen funktionieren. In Gebäuden wohlgemerkt, die nur noch geringe Brandlasten aufweisen und schnell evakuiert sind. Ein individueller Realitätscheck – da gehen auch Brandschutzprüfer und die Feuerwehr mit. Die Beregnung wird eigentlich nur am eisernen Vorhang gebraucht, um die Gebäudeteile Bühne und Zuschauerraum voneinander zu trennen, sollte es dort zum Brand kommen. Brandschutzmaßnahmen können ein Drittel der Baukosten ausmachen. Und das in Gebäuden, in denen nichts brennt!

Kleinere partielle Löschanwendungen könnten – wenn es denn nötig wäre – in elektrischen Betriebsräumen installiert werden. Dann aber bitte Sprühflutnebelanlagen verwenden, die nicht den großen Schaden verursachen. Das bedarf allerdings der individuellen kritischen Betrachtung und der Frage: Ist es wirklich nötig?

Welche Änderungen an den Regeln wären denn notwendig?

Die Musterversammlungsstättenverordnung muss umgehend geändert werden. Das streben wir schon seit einigen Jahren an, aber die Mühlen der Bürokratie mahlen derart langsam, dass die Realitäten, sprich: Flutungen der Theater, immer wieder schneller vorkommen und wir immer wieder vor den selben Fragen stehen, Bedauern und Mitgefühl aussprechen, wo Handeln angesagt wäre. In den nötigen Gremien regt sich zu wenig. Von dort hört man nach solchen Ereignissen kein Wort. Man versteckt sich hinter der Anonymität der Institution. Das muss sich jetzt sofort ändern. Da muss die Politik auf die Gremien einwirken und muss sagen: "Schluss jetzt. Das geht so nicht!"

Ich bin zornig, weil dieses Verschleppen der Entscheidungen an Ignoranz grenzt und wir ein Déjà-vu nach dem anderen haben. Es stehen sich ja keine echten Konflikte gegenüber. Wir haben beschädigte Theater und verzweifelte Theaterleute, aber keine Brände. Hier ist kein Ursache-Wirkung-Prinzip, nur Wasser.

 

Wesko Rohde 1200 DTHGWesko Rohde ist geschäftsführender Vorstandsvorsitzender der DTHG. Er blickt auf mehr als 35 Jahre Theaterarbeit zurück, war Technischer Direktor, ist geprüfter Bühnen- und Beleuchtungsmeister und hat Erfahrungen in allen Bereichen der Theaterarbeit gesammelt. Aktuell kümmert er sich leidenschaftlich um die Verbandsarbeit in der DTHG, hat unter anderem das Green Book für Theater mit seinem Team ins Deutsche übertragen und begleitet als freiberuflicher Berater Sanierungsprojekte (denkmalgeschützter) Veranstaltungsbauten.

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Kommentare  
Wasserschäden durch Brandschutz: Fragen eines lesenden Laien
Naja, nicht nur die Theaterleute verzweifeln. Das Publikum auch. Und vor allem der Steuerzahler. - Würde sowas in "der" "freien" Wirtschaft passieren, würden Köpfe rollen (wenigstens Bauernopfer).

Fragen, die sich mir beim alljährlich irgendwo auftauchenden Sprinklermillionenschaden stellen:

1) Höre ich davon nur aus Theatern? Oder sind Bibliotheken, Museen, Skatklubs, Regierungs- und Parlamentssitze, Firmenzentralen genauso betroffen? Wird da anders verfahren?
2) Warum ist heutzutage die Sensorik derart "dumm"? Geht da nicht was mit Bilderkennung, IR-Kameras, ausgefeilten Rauchdetektoren, die nur smart gekoppelt anschlagen? (Wenn nicht, müsste das doch eine schöne kapitalistische Marktnische sein.)
3) Warum muss bei einem "Fehlalarm" minutenlang das Wasser rauschen? Kann man das nicht händisch unterbrechen? - Da sind doch wenigstens ein Feuerwehrmann (hin und wieder auch mal eine: -frau; aber darum geht es gerade nicht) im Publikum. Und es gibt jemandem am Inspizierendenpult. Und es gibt einen Bühnenmeister. Und eine Intendanzvertreterin. Was machen die denn, während pro laufender Minute eine Million Euro Schaden (meine Daumenregel; nicht verbindlich) anfällt. - Haben die Angst, dass sie haftbar gemacht werden, wenn sie den Hauptregler zudrehen und dann doch das Theater abfackelt? (In Kopenhagen und Paris brannten Börse und Kathedrale im Zuge von Baumaßnahmen.)
4) Warum wird nicht durch die (schlecht eingestellte) Brandmeldeanlage ein akustisches und visuelles Signal ausgelöst, das erst nach - sagen wir - 60 Sekunden die Sprinkler startet, sofern kein Autorisierter das quittiert? Also 60 Sekunden, in denen mehrere Menschen gegenprüfen können (Fehler 1. und 2. Ordnung!) und die Automatismen unterbrechen können. Und wenn da eben manuell nicht reagiert wird (oder der technische Alarm durch einen Menschen bestätigt wird), dann regnet es eben los. 60 Sekunden, in denen ein potentielles Feuer sich natürlich ausbreiten kann. Bei schwer entflammbaren Bühnenbildteilen aber eine vertretbare Zeit, wenn man damit technische Fehlalarme verhindert, oder?

Fragen eines lesenden Laien.
Wasserschäden durch Brandschutz: Es dauert
Naja, wenn völlig unerwartet und ungeplant die Sprinkleranlage los geht, muss ja erstmal jemand zum Haupthahn um das Wasser abzudrehen. Der befindet sich selten direkt neben dem Inspizientenpult sondern zB irgendwo unter der Bühnenebene und da steht nun mal nicht 24/7 einfach mal jemand daneben. Es kann also das ein oder andere Minütchen dauern und jede einzelne Minute kann enormen Schaden anrichten.
Wasserschäden durch Brandschutz: Rechnung
@2: Valider Hinweis, besten Dank. Ihre Hinweise beherzigend würde ich als Rechnungshof den Politikern folgende sehr sehr grobe Versicherungsrechnung vorlegen. Mittlerer Schaden pro Havarie: 1 Million Euro. Auftrittshäufigkeit pro Haus: 1x in 100 Jahren. Rechnerische Schadenshöhe pro Jahr: 10000 Euro. Und die kann man ja in ein Fernregelventil stecken. (Ich weiß, sowas kostet etwas mehr, aber die Rechnung oben ist ja auch gutmütig.) - Es ist ja nicht so, dass Stadtwerke, Industrieunternehmen und andere Profis (mit Brandschutzanforderungen) alle ihre Armaturen von Hand stellen. Dort hat man in den Regel ebenfalls keine "paar Minütchen" um in die Unterbühnen zu klettern. Jedenfalls nicht, wenn solche Schadenshöhen aufgerufen sind. - Ich sage das alles mit dem Vorbehalt des fehlenden tiefen technischen Einblicks in die Spezifika der Theater, aber mit ausreichend viel Kenntnis der übrigen Welt.
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