Genesis. Die Bibel, Teil 1 - In Zürich suchen zehn Personen einen Autor und finden bloß Stefan Bachmann und die Bibel
Josef und die glorreichen Sieben
von Thomas Rothschild
Zürich, 14. September 2012. In seltener Einmütigkeit halten gläubige Juden und gläubige Christen die Bibel für einen nicht nur verbindlichen, weil kanonisierten, sondern auch literarisch bedeutenden Text. Wessen Urteil nicht vom Dogma getrübt ist, weiß, dass etwa die Epen Homers oder "Tausendundeine Nacht" erzähltechnisch wie sujetmäßig der Bibel weit überlegen sind. Sei's drum. Wenn sich Stefan Bachmann dazu entschließt, die Heilige Schrift aus der Kirche ins Theater zu bringen, spielen Kriterien der Erzählung und erst recht des Glaubens ohnedies keine Rolle mehr. Dann gilt die Frage: ist, was auf der Bühne zu sehen ist, sehenswert? Vermittelt es eine neue Erkenntnis, ein visuelles Erlebnis (wie die zahlreichen Bibel-Verfilmungen), bereitet es Vergnügen, fügt es der Lektüre des Buchs der Bücher etwas hinzu? Denn kein anderes Buch wurde in der Menschheitsgeschichte häufiger gelesen. Selbst Brecht antwortete bekanntlich auf die Frage nach seiner Lieblingslektüre: "Sie werden lachen: die Bibel."
Man könnte ja das 1. Buch Moses, die Genesis, tatsächlich als Literatur, als Fiktion von der Erschaffung der Welt lesen, gäbe es nicht Idioten wie George W. Bush, die ihm den Status wissenschaftlicher Wahrheit zusprechen. Wollte das Theater den Eindruck erwecken, dass es sich dieser Auffassung anschließt, dann dürfte man das Unterfangen im Schiffbau, der Nebenbühne des Zürcher Schauspielhauses, mit Fug und Recht antiaufklärerisch nennen. Der zeitgenössische Kontext nimmt dem Text seine Unschuld.
Papierschiffchen
Bachmann, der als Intendant in Basel Theatergeschichte schrieb, ab nächster Spielzeit das Schauspiel Köln leiten wird und zuletzt Schlagzeilen machte, als ihm gegen das Votum der Berufungskommission, der Studenten und der Nobelpreisträgerin, deren "Winterreise" er inszeniert hatte, eine Professur am Max Reinhardt Seminar als Nebenjob zur Kölner Intendanz verweigert wurde, verzichtet zunächst komplett auf Dialog. Ein Erzähler – ist er ein Mormone? oder doch eher Billy the Kid? – liest, an einem Notenpult sitzend, den Bibeltext. Wenn Gott zornig ist, brüllt er, wenn Adam sich für den Sündenfall rechtfertigt, also auf Eva herausredet, raunzt er, ganz wie im Schulfunk der fünfziger Jahre. Zu sehen gibt es wenig: die Arche Noah als Papierschiffchen in einer Wasserlache, den Erzähler mit heruntergelassener Hose, wenn er davon spricht, dass sich Noah entblößt.
Das geht so eine Stunde – von mehr als fünf Stunden, die der Abend brutto dauert. Dann, der Turmbau von Babel ist eben errichtet, kommen die übrigen Schauspieler hinzu. Sie dürfen sich auf dem Erdhügel, mit dem Simeon Meier die ganze Bühnenfläche bedeckt hat, austoben. Der Erzähltext wird auf mehrere Sprecher aufgeteilt, die Dialoge werden als solche realisiert. Dabei fällt doch auf, dass Gott für einen Allwissenden ziemlich viele Fragen stellt.
Bilderbogen
Einzelne Szenen werden im Stil eines naiven Bilderbogens umgesetzt, stilisiert und fragmentarisch. Aber Bachmann vermeidet die Ikonographie religiösen Kitsches. Etwas drastisch fällt die Szene aus, in der nackte Männer blutig beschnitten werden. Das mag aktuell sein, ist aber wenig geeignet, Sympathien für dieses Ritual zu wecken. Für die im letzten Moment abgewandte Opferung Isaaks wird ein Kleinkind auf die Bühne geholt. Man kann nur hoffen, dass es nicht mit einer starken Fantasie ausgestattet ist.
An manchen Stelle entsteht der Eindruck, der Schweizer Regisseur habe dem Publikum eine Atempause gönnen wollen: Der Knecht Abrahams spielt auf einer papierenen Panflöte nach, was ihm die Musik aus den Lautsprechern vorgibt; der Erzähler am Mikrophon darf das Plärren von Neugeborenen endlos wiederholen, wenn Lea und Rahel, die, umrahmt von ihren Mägden und Laban starr auf halber Höhe stehen, während Jakob im Schlamm liegt, um die Wette dessen Kinder auf die Welt bringen. Auch echte Schafe treten auf. Die Namensreihen der Geschlechterfolgen verselbständigen sich zu konkreter Poesie und dienen der Erzählung als Interpunktion.
Lippensynchron
Im zweiten Teil, der Josefslegende, hat sich Bachmann vollends zu einer illustrierten Erzählung entschlossen, bei der die Darsteller die Dialoge mit Lippenbewegung simulieren, während der Vorleser sie spricht. Jetzt haben sich die Figuren des Alten Testaments endgültig dem Western anverwandelt. Nur Josef darf zunächst Latzhose und lange Haare tragen, ehe er in Ägypten zum Popstar wird. Für das lange Ende sitzt das Ensemble an einem Tisch und isst dem hungrig gewordenen Publikum etwas vor. Die Jazzfans mögen betrübt an das versäumte Konzert von Benny Golson denken, der gleichzeitig im Saal nebenan spielt. Kurz: das große Theatererlebnis, das man im Vorfeld erwarten durfte, ist es nicht geworden. Es lässt die Muskeln spielen, aber der Ringkampf bleibt aus.
P.S.
In zwei Wochen gibt es am Münchner Volkstheater eine Uraufführung. Der Titel: "Moses". In drei Monaten übersiedelt die Inszenierung nach Basel, keine hundert Kilometer von Zürich entfernt, wo das Schauspielhaus so für "Genesis" wirbt: "Kein anderer Text hat eine größere und längere Wirkung entfaltet als das erste Buch Mose. Drei Weltreligionen bekennen sich zu ihm: Judentum, Islam und die Christenheit." Bahnt sich da was an? Wird angesichts attackierter Juden und Muslime die Einheit der Gläubigen beschworen? Als in Wien kürzlich ein Rabbiner angepöbelt wurde und die Polizei grinsend zusah, erklärte der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich, "für die gläubigen Christen" sei jede "Form des Antisemitismus" ein "Verrat des Glaubens an Gott". In Österreich dürfe es "keinen Platz für Antisemitismus" geben. "Man kann nicht Christ sein, wenn man die Wurzeln des Evangeliums im Bund Gottes mit dem jüdischen Volk leugnet." Bedarf es solcher Begründungen, bedarf es der Bibel, um einzufordern, was zu den selbstverständlichen Grundlagen einer Zivilisation gehört, die diesen Namen verdient? Sind Juden und Muslime nur schützenswert, wenn und weil sie mit den Christen "gemeinsame Wurzeln" haben?
Vielleicht ist das Zusammentreffen der Spielpläne mit den Ereignissen auf der Straße nur ein Zufall. Wenn man aber daran glaubt, dass Kunst, also auch Theater, auf gesellschaftliche Zustände reagiert, ist das neue Interesse an der Bibel eher beunruhigend. Es verweist auf eine Wirklichkeit, der mit Theater vielleicht doch nicht beizukommen ist.
Genesis. Die Bibel, Teil 1
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Max Küng, Licht: Markus Keusch, Dramaturgie: Barbara Sommer, Lukas Bärfuss.
Mit: Christian Baumbach, Timo Fakhravar, Fritz Fenne, Marek Harloff, Simon Kirsch, Niklas Kohrt, Julia Kreusch, Michael Neuenschwander, Jörg Ratjen, Susanne-Marie Wrage.
Dauer: 5 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.schauspielhaus.ch
Kölner Premiere am 1. November 2013
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Max Küng, Licht: Markus Keusch, Video: Christoph Menzi, Dramaturgie: Barbara Sommer, Lukas Bärfuss.
Mit: Nikolaus Benda, Larissa Aimée Breidbach, Stefko Hanushevsky, Marek Harloff, Benjamin Höppner, Gerrit Jansen, Simon Kirsch, Niklas Kohrt, Melanie Kretschmann, Guido Lambrecht, Michael Neuenschwander, Jörg Ratjen, Annika Schilling, Bela und Robin Bachmann.
www.schauspielkoeln.de
Cornelia Ueding begeistert sich in der Sendung "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (15.9.2012) für Textfassung und Regie dieser fünf Bibelstunden: "Die Balance auf dem schmalen Grad zwischen Hollywoodfilm und Western-Mython, Monty Python, Oberammergau und Josephs-Roman erweist sich als pfiffig, hintergründig, ja sogar amüsant". Genealogien und Geschlechterregister seien "virtuos und bis zum Exzess zungenbrecherisch reproduziert oder unglaublich geschickt integriert" worden und seien "absurd komisch oder auch knallhart politische Besitzansprüche signalisierend" zur Wirkung gekommen. Dabei wurde "das Gottesprinzip als theatralischer Coup ausgeleuchtet" und ein Gott gezeigt, der "sein Volk", seine Akteure "unter einen enormen Druck" setze, ihnen aber zugleich auch "enorme Möglichkeiten" offeriere. In all dem zeige "das Bühnengeschehen auch die Fragwürdigkeit und Perfidie aller religiösen Machtmachenschaften auf".
Etwas unfertig wirkt dieser Bibel-Abend, der gleichsam eine "Kosmogonie des Theaters selber" biete, noch auf Andreas Klaeui von der Neuen Zürcher Zeitung (17.9.2012). Die Anfangsstunde aber sei "einer seiner großen, glückhaften Momente", denn hier werde in den genealogischen Aufzählungen "pure musikalische Lust" entfaltet und in Erinnerung gerufen, "wie viel Erzählen mit Zählen zu tun hat, mit Sichversichern und Festhalten". In dieser "repetitiven Eindringlichkeit des Textes, in der archaischen Wucht der Bilder, in dem rhythmischen Sog der Sprache stellt sich hier eine Poesie ein, die alles bereits einlöst, was später streckenweise nurmehr als Absicht zu erkennen ist, nämlich den Bibeltext aus seinem von drei Religionen verminten Rezeptionsumfeld herauszulösen und ihn unverstellt, neugierig, als einen mythischen Text zu lesen, wie eine griechische Sage."
Genau konträr sieht Torbjörn Bergflödt im Südkurier (17.9.2012) die langen Aufzählungen an diesem Abend: "Es gibt starke Textpassagen, poetische Bilder. Es kann sogar spannend werden und auch mal komisch. Aber schon kommen sie wieder, diese buchhalterischen Protokolle oder gar diese nicht enden wollenden, wie in Lautgedichte kippenden rituellen Aufzählungslitaneien." Zur Frage, ob die Bibel also bühnentauglich sei, lässt sich der Kritiker "ein etwas mattes Jein entlocken". Besonders im "Nach- und Miteinander von szenischer Lesung und Spiel" macht er "eine Schwäche des Abends" aus. "Denn irgendwie müssen hier laufend Dinge herbeiassoziiert und facettiert, dramatisiert und portioniert werden, die man als Kopfkino beim Lesen wohl doch zwangloser geliefert bekäme."
Auch nur teilweise überzeugt schreibt Alexandra Kedves im Tages-Anzeiger (17.9.2012): "Bachmann behandelt die Genesis, diese heilige Schrift der drei großen monotheistischen Weltreligionen, wie Milo Rau die historischen Dokumente in seinem kritischen Polittheater: nicht als Steinbruch, nicht als beliebige Stoffansammlung, sondern als Ausstellungsstück, als etwas, das ganz von selbst spricht, für sich oder gegen sich, wenn man es nur lässt; als etwas zum Anschauen, nicht zum Abschleifen." Allerdings reichere er die Darbietung auch mit Witz an und bringe "eine Menge Tricks in Anschlag", vom "verrückten Panflöten-Karaoke übers Cartoon-Zitat bis zur Stummfilm-Persiflage". So sei der Abend "eine Art Castorf-Theater ohne Collage und mit mehr Humor." Dann folgt das Aber der Kritikerin: "Trotzdem hätte sich der schwache Zuschauer Striche gewünscht. Und trotzdem wars teils fragwürdig, wie die Regie heiligen Eifer, religiösen Ernst und bissige Karikatur zusammenführte, so unentschieden, so schwankend, wie es säkulare Agnostiker – also wir, das typische Theaterpublikum – es eben sind."
Obwohl man "einiges über Inhalte, Erzählstrukturen und Gottesbild des Pentateuch" erfahre, sei dieses Bibel-Stück nicht "religiös empfunden, theologisch durchdacht oder gar göttlich erhaben", schreibt Martin Halter für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.9.2012). "Es schwankt vielmehr unentschlossen zwischen Oberammergau und Ironie, szenischer Lesung und Erzähltheater." Es gebe "Wechsel zwischen naiven Spielszenen, Nacherzählung und Karaoke-Playback", und das "kleingläubige Volk", d.h. die Zuschauer, seien "dankbar für jede kleine Einlage, die das episch kolossale göttliche Spiel auf Menschenmaß herunterbricht". So wird die Länge des Abends zum Kritikpunkt: Auch "die Heilige Schrift kann auf dem Theater durch Kürzungen nur gewinnen."
"Es geschieht heutzutage nicht allzu häufig, dass das Theater sich so rigoros unter das Wort stellt, wie Stefan Bachmann und sein elfköpfiges Ensemble es hier in diesem Textmarathon tun", schreibt Klara Obermüller in der Welt (19.9.2012). Doch abgesehen von rein physischen Ermüdungserscheinungen habe sich das Risiko, das sie damit eingegangen sind, gelohnt. "Gebannt von der magischen Kraft dieser Sprache, folgt man der leidenschaftlichen Beziehungsgeschichte von Gott und den Menschen, staunt ob der Brisanz der göttlichen Verheißung gegenüber dem Volk Israel und stellt entsetzt fest, welch unheilvolle Auswirkungen diese bis in die heutige politische Situation hinein hat." Stefan Bachmanns Bühnenfassung sei zwar weder modern noch innovativ. Und der Erzählgestus lasse den Darstellern wenig Raum, ihr Können zu beweisen. Sie wirkten verloren in Simeon Meiers gewaltiger Wüstenszenerie. "Und doch wagen sie es, ihrem Gott die Stirn zu bieten. Darin liegt das besondere Verdienst von Bachmanns Bibel-Projekt: dass es dem Text vertraut und die Schöpfungsgeschichte, so, wie die Bibel es tut, als Beziehungsgeschichte erzählt, in der Mensch und Gott in Dialog miteinander stehen."
"Das alte Testament ist, da kann man die neuen Bibelstürmer gut verstehen, großes Theater", schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (20.9.2012). Bachmann habe kein Bibelwort verändert, inszeniere über lange Strecken schauspielerisch reduziertes Lesetheater und überrasche immer wieder mit grandiosen Projektionen auf dem Berg der Schöpfung. "Später, wir sind mit der Josefslegende endgültig in einer überzeitlichen Familiensaga angekommen, ist der von seinen Brüdern nach Ägypten verschacherte Sohn Jakobs des Pharaos liebster Finanzminister" – und plötzlich werde es ganz lebendig. "Bachmann packt den Popregisseur aus und lässt Josef einen alttestamentarischen Popstar im Glitzerröckchen sein." Da es schon kurz vor Mitternacht sei, lasse sich das als Weckruf deuten. "Dann geht es nach draußen, und man fragt sich, wie das nach Zürich nun weiter geht." (Damit spielt Berger auf den eingangs von ihm konstatierten Trend zur Bibel-Inszenierung an: Auch Nicolas Stemann, Ulrich Rasche und Simon Solberg machen sich in dieser Saison an biblische Texte). Stefan Bachmann sei zweifelsohne der Bibel-Erstbesteiger der Saison, habe den Verheißungen der Genesis aber zu andächtig gelauscht. "Für kommende Gipfelstürmer ist da noch Luft nach oben."
Stefan Bachmann habe mit leichter Hand eine Welt erschaffen, "vertraut, bizarr, zwingend – und unerwartet kurzweilig" schreibt nach der Kölner Premiere der rundumerneuerten und neu besetzten Inszenierung Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (4.11.2013). Am Ende jubele im das "jetzt wieder bibelfeste Publikum" zu. Der Ton der Inszenierung schwanke in den über 5 Stunden, die sie dauere, "zwischen Mysterienspiel und Daily Soap, Oberammergau und Morricone-Märchen. Es bleibt sogar Zeit für Stefko Hanushevksys ausgedehntes Panflöten-Solo im Vollplayback". Bei "Der Streik", Bachmanns ersten Kölner Premiere, oszillierte Bachmann dem Eindruck des Kritkers zufolge "ganz ähnlich zwischen fabulierendem Furor und sanfter Parodie". Doch was Bos dem Regisseur bei seiner Dramatisierung von Ayn Rands romanhafter Kampfschrift "als Unentschlossenheit auslegen musste", hier passt es aus seiner Sicht: "erfasst ganz wunderbar die Widersprüche und Wiederholungen, Abschweifungen und Auslassungen der Quelle."
Texttreue sei Trumpf an diesem fast sechsstündigen Abend, der 2012 in Zürich uraufgeführt für Köln aber noch einmal verfeinert worden sei, schreibt Hartmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau (4.11.2013). Trotzdem könne man sich vom Kolossalschwulst des Bibelschinkens kaum weiter entfernen als Bachmann in seiner "bewußt kargen" Sprachtheater-Version, die Wilmes' Eindruck zufolge sehr reich an Zwischentönen ist. Langsam baue die Inszenierung ihre archaische Wucht auf. Markant schäle Stefan Bachmann auch viele Einzeldramen des Konvoluts heraus, wobei wenn es zwischen Deklamation, Stillleben, starken Bildern, furiosen Darstellern und prallem Theater auch einige Durststrecken gebe.
Als "Paradebeispiel für gutes Sprechen" beschreibt Christiane Enkeler in einem Radiogespräch im WDR (3.11.2013) ihren Eindruck von der Inszenierung.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 10. Oktober 2024 Berlin: Neue Teamleitung fürs GRIPS Theater ab 2025
- 10. Oktober 2024 Literaturnobelpreis für Han Kang
- 08. Oktober 2024 euro-scene Leipzig: Kritik an Einladung palästinensischer Produktion
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
- 04. Oktober 2024 Internationale Auszeichnung für die Komische Oper Berlin
- 04. Oktober 2024 Kulturschaffende fordern Erhalt von 3sat
- 04. Oktober 2024 Deutscher Filmregisseur in russischer Haft
neueste kommentare >
-
euro-scene Leipzig Arnas Kinder
-
euro-scene Leipzig Kuratorische Unwucht
-
euro-scene Leipzig Tendenziös
-
euro-scene Leipzig Versuch einer Antwort
-
euro-scene Leipzig Was übersehen wird
-
Kultursender 3sat bedroht Regionalprogramme einsparen
-
Neumarkt Zürich Klage Harte Strafen verhindern
-
euro-scene Leipzig Nachfrage
-
euro-scene Leipzig Alle oder keiner
-
Schiff der Träume, Berlin Immer wieder beeindruckend
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Heinrich Jakob
Hier geht es nicht mehr um Geschmack- nur noch um Geschichte.
Kein Kritiker kann das beschreiben - denn alle Kritiker sind arrogant , ignorant und stolz.
Was man an Sätzen wie" sie essen dem hungrigen Publikum was vor"- und "hätte sich der schwache Zuschauer Striche gewünscht" sehen kann- wer so etwas schreibt, ist in den eigenen Befindlichkeiten verstrickt und sieht nicht klar, worum es geht!
Herzlichen Glückwunsch Stefan Bachmann und seinem grandiosen Ensemble.
Ich komme wieder!!!
Wolfgang Herrndorf beendet seinen Roman "Sand" mit dem Verweis auf die Bundeslade mit den hölzernen Gesetzestafeln aus dem 5. Buch Mose (10, 1 ff. u.a.) und somit auf das Thema der Versöhnung zwischen den drei Weltreligionen, welche er zuvor im Hinblick auf deren politische/ideologische Instrumentalisierung kritisch-ironisch hinterfragt hatte.
Constanza Macras bezieht sich in ihrer Inszenierung von "Open for everything" auf das 2. Buch Mose (Exodus, siehe auch bei Bob Marley: "Exodus: Movement of Jah people!"). Der Auszug der Hebräer aus Ägypten in die Wüste, in das Land der Nomaden, hat hier vor allem eine symbolische Bedeutung. Es geht um die Aufgabe von jedem nicht-funktionalen Eigentum, es geht um die Kritik am Haben gegenüber dem Sein. Es geht um die kritische Hinterfragung der Anhäufung von Reichtümern über die eigenen Bedürfnisse ("Jedem nach seinen Bedürfissen", Marx) hinaus.
Es gibt sicher noch mehr Beispiele im Bereich der Literatur und des Theaters. Und jetzt kommt Stefan Bachmann und macht einen "Reagan-Bush-Western" draus. Tja, man könnte doch tatsächlich mal danach fragen, ob wir die Bibel wirklich brauchen bzw. ob wir wirklich Christen sein müssen, um Mensch zu sein, um uns für das Mensch-Sein zu entscheiden. Denn es geht ja nun nicht um den Bezug auf eine göttliche Macht, der man sein Leben im Sinne eines unveränderbaren Schicksals unterwirft. Sondern es geht um das radikal-humanistische Handeln zwischen den Menschen. Was hilft der Bezug auf Gott, wenn dieser dann nur dazu dient, eine "Achse des Bösen" zu konstruieren? "In God we trust". Ja ja. Und euer Nachbar?:
"Die entscheidende Frage ist in der Tat, ob eine Konversion zu einer humanistischen Religiosität ohne 'Religion', ohne Dogmen und Institutionen zustande kommt, eine Religiosität, deren Wegbereiter die nicht-theistischen Bewegungen vom Buddhismus bis zum Marxismus waren." (Erich Fromm, "Haben oder Sein")
Ich lese gerade Henning Müllers "Theater der Restauration. Westberliner Bühnen, Kultur und Politik im Kalten Krieg", Berlin (Ost): Henschelverlag 1981, das hoch spannende Buch eines Westberliner Marxisten, das 1981 in Ostberlin erschienen ist.
Die Prämisse aller Argumentationswege dieses Buches besteht darin, dass die Welt besser wäre, wenn die Arbeiter an der Macht wären.
Die Arbeiter sind per pefinitionem die besseren Menschen.
Die progressive Intelligenz steht unter ihnen.
Darunter steht das Kleinbürgertum,
darunter die Vertreter der Ausbeuterklassen und des Großkapitals,
darunter Junker und Militaristen.
Wir haben es hier also mit einem barocken, feudal-absolutistischen Gesellschaftsbild (nur spiegelverkehrt) zu tun.
Es ist zudem ein alttestamentarisches, worauf Sie, Liebe Inga, Fromm zitierend, hinweisen, denn es hat ein auserwähltes Volk: Die Arbeiter.
Sie, liebe Inga, empfehlen den Kommunismus als Ausweg aus der Misere des Marktes.
Ich schätze Marxens Kritik des Marktes außerordentlich. Die Entfremdung der Arbeit (Trennung von Produktionsmitteln, Arbeitskraft, Kapital) läuft heute noch genau so ab, wie er es beschrieben hat. Das Problem ist nur: Wenn die Arbeiter in den Besitz der Produktionsmittel und des Kapitals gelangt sind, schaffen sie nicht Dogmen und Institutionen ab, sondern verwandeln sich selbst in Ausbeuter.
Man kann noch nicht einmal definieren, wer DIE ARBEITER eigentlich sind. Weil: wenn sie an der Macht sind, sind es immer die falschen.
Die Geschichte vom auserwählten Volk ist auch hier ein Märchen.
Was kann man, Inga, dagegen tun?
Die politische Repräsentation ist immer nur eine vorläufige und wird durch den "Anteil der Anteillosen" (gegenüber der "Diktatur des Proletariats") immer wieder hinterfragt bzw. unterminiert.
Man könnte auch über eine neue Form der Rätedemokratie nachdenken und damit über die Möglichkeit der ständigen Kontrolle und Abwählbarkeit opportunistischer "Wendehälse".
Ich zitiere in solchen Fällen auch immer gern aus Peter Weiss' "Marat/Sade": MARAT:
"In der großen Gleichgültigkeit
erfinde ich einen Sinn
Anstatt reglos zuzusehn
greife ich ein
und ernenne gewisse Dinge für falsch
und arbeite daran sie zu verändern und zu verbessern
Es kommt drauf an
sich am eigenen Haar in die Höhe zu ziehn
sich selbst von innen nach außen zu stülpen
und alles mit neuen Augen zu sehn"
Bitte die neue Besetzung hier veröffentlichen-
Ich hoffe das dieser Abend lange zu sehen ist- und viele junge und alte Menschen die Möglichkeit haben an ihm teil zu haben.
Vielen Dank Stefan Bachmann und dem grossen Ensemble.
Und ja, die aktuelle Besetzung wäre toll.