Refugee Club Impulse - Wie die Schauspieler der selbstorganisierten Flüchtlings-Theatergruppe als Experten des Fluchtalltags auf die Theaterbühne treten
Experten des Fluchtalltags
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 17. Juni 2015. Eine Rolle weißes Gaffa Tape, ein schwarzer Bühnenboden, und fertig ist die Welt. Die Schauspieler des Berliner "Refugee Club Impulse" betreten sie zunächst in friedlicher Eroberungs-Stimmung, wippen zu Elektrobeats und verlieren sich in Party-Enthusiasmus. Doch bald werden Grenzen gezogen, besetzt ein mysteriöser Machthaber mit einem großen Schlagstock als Zepter ihren Spielplatz und gibt per Telefon Anweisungen an seine Schergen, die die tanzende Menge daraufhin auf engen Raum zusammendrängen.
Beim Theatertreffen im Beiprogramm
"Letters Home" ist die erste Produktion des Refugee Club Impulse, der sich 2013 aus einem Theaterprojekt mit Flüchtlingen des Jugendtheaterbüros Berlin heraus gegründet hat, weil einige der Beteiligten weitermachen wollten. Die Mitglieder treffen sich jeden Mittwoch in den Räumen des Jugendtheaterbüros zum Proben und bereiten zur Zeit eine weitere Produktion vor. Mit "Letters Home" stellten sie sich kürzlich bei der Berliner Tagung Interventionen zum Thema "Refugees in Arts and Education" vor, nachdem sie auch schon im Rahmenprogramm des diesjährigen Theatertreffens zu Gast gewesen waren.
Erkundungen des Bio-Deutschen
Das Sprachproblem, das so eine international zusammengewürfelte Truppe nicht nur mit ihrem Publikum, sondern auch untereinander hat, scheinen Samee Ullah aus Pakistan, Merah Tesare aus Syrien und die anderen zunächst elegant zu lösen, indem sie auf Tanz, Pantomime und Kauderwelsch rekurrieren. Doch dann rezitiert Samee Ullah auf einmal Die Fremden von Karl Valentin und macht das mit aufgesetzter Clownsnase zu einer gründlichen, so neugierigen wie kritischen Erkundung des "Bio-deutschen" Selbstverständnisses als aufgeklärte Nation.
Manifest, das mit dem mehrdeutigen Satz "Nobody gives us a voice. We take it!" beginnt, unverkrampft spielerisch legen sie ihre Theaterkunst an, die bei der Tagung "Interventionen" auch jenseits der Bühne angewandt wurde, wenn zum Beispiel nach langen Diskussionen um Partizipation, Paternalismus und die Rassismus-Falle in der Theater-Arbeit "mit Geflüchteten" einer der RCI-Spieler aufstand und mit dem zunächst wie eine Drohung wirkenden Satz "Now it's time to hear the refugees' voice!" ein ausgiebiges Lob der vorangegangenen Gespräche und eine Aufforderung zu weiteren Treffen in dieser Runde einleitete.
Kämpferisch ist ihrVerfluchung
Sie sprechen sich auf der Bühne mit ihren realen Namen an. Und verarbeiten in "Letters Home" ihre individuellen Fluchterfahrungen, entwerfen daraus eine stereotype Fluchtgeschichte, die in eine kollektive Verfluchung des "Dublin-Abkommens" mündet. "Letters Home" basiert auf fiktiven Berichten der Beteiligten über ihr Leben als, ja: Angekommene? in Berlin. Briefe an ihre Heimat, ihre Familien oder Freunde. Merah Tesare erzählt in ihrem Video-Beitrag, wie sie den Lieben in Syrien vorlügt, dass sie im Paradies gelandet sei, denn: "I want them to always have hope." Das Schlimmste sei das Ende der Hoffnung. Bei allem polit-aktivistischem Impetus ist also auch Raum für die ambivalente Kraft der Illusion in der Arbeit dieser "Experten des Fluchtalltags".
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