Simplicissimus Teutsch - Thomas Dannemann lässt sein Ensemble goschianisch erzählen
Von Gosch lernen, heißt siegen lernen
von Regine Müller
Köln, 18. Januar 2009. Nachtschwarz ist es in der Halle Kalk: auf dem Boden Stroh wie in einem verlassenen Stall, an der Stirnseite ein Altar, zur Linken eine Madonna. Ein paar Stuhlreihen, die sich nach und nach mit Menschen füllen. Einer geht schließlich nach vorne zum Altar und kniet nieder im stummen Gebet. Der Frieden täuscht, denn plötzlich überfällt den Betenden einer der Frommen von hinten und ringt mit ihm ums Leben.
So beginnt Thomas Dannemanns nach einer Vorlage von Soeren Voima geschaffene Adaption von Hans Jacob von Grimmelshausen Schelmen- und Abenteuerroman "Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch", und so endet sie auch. Als brutale Endlosschleife.
Kaleidoskop einer heillosen Welt
Der Barockdichter Grimmelshausen reizt nicht zum ersten Mal das Theater. Brecht ließ sich von "Trutz Simplex oder Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche" zur "Mutter Courage" anregen, Wilhelm Genazino verhob sich am selben Stoff vor zwei Jahren bei der RuhrTriennale. An den voluminösen Simplicissimus-Roman hat sich bislang noch niemand getraut. Die 1000 Seiten wüste Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg sind in der Tat schwer zu bändigen. Von Abenteuer zu Abenteuer, von komischen in gefährliche Situationen taumelt der einfältige Held, vollauf beschäftigt mit dem Überleben. Aus den zahllosen Episoden dieses bewegten Reiselebens, reimt sich weniger eine Entwicklungsgeschichte zusammen als vielmehr das Bild einer Epoche. Ein Kaleidoskop einer heillosen, zerstörten Welt, die keinen Halt nirgends fand.
Soeren Voima und Dannemann haben nicht wie Genazino ihr Heil in einer heutigen literarischen Sprache gesucht und Grimmelshausen ins 21. Jahrhundert übersetzt. Sie sind vielmehr eng an dessen archaisch kraftmeiernder, dann wieder überraschend poetischer Sprache geblieben und streuen nur gelegentlich Neuzeitliches ein. Das funktioniert überraschend gut.
Thomas Dannemann war Jürgen Goschs legendärer "Macbeth". In der Auseinandersetzung mit Grimmelshausens praller Lebensfülle und seiner scharfen Mischung aus Grausamkeit und Komik musste den Regie führenden Schauspielstar Dannemann der übergroße Schatten Goschs wohl zwangsläufig einholen. Ihn abzuschütteln, hat Dannemann erst gar nicht versucht. Im Gegenteil, er nutzt Goschs Theatermittel mit einer so offensiven Selbstverständlichkeit, als könne man anders gar nicht mehr Theater spielen. Blut, Sperma und Urin spritzen also munter aus allgegenwärtigen Plastikflaschen, aus dem Pullover wird der Dudelsack, aus einer alten Schnur ein Kälberschwanz und den Kunstschnee verstreut der Titelheld selbst großflächig aus einem mächtigen Sack.
Verweigerung des epischen Zusammenhangs
Aus dem Beiläufigen, wie improvisiert Begonnenen, entfesselt Dannemann die Kräfte, die nahezu über die gesamte Dauer von fast vier Stunden den Abend tragen. In den besten Momenten findet die enthemmte Spielfreude des atemberaubend vitalen Ensembles so beglückend zu sich, dass man sich schier nicht satt sehen will an solch purem, elementarem Theater. Vor allem im ersten Drittel ist das Timing frappierend präzise, sind die Übergänge traumwandlerisch leicht und die Diktion so musikalisch, als habe jemand den Text mit Metronomangaben versehen.
Doch riskiert Dannemann mit der Lust, die Schauspieler von der Leine lassen, immer wieder auch die Form. Auf der Langstrecke franst dann manches aus, verläuft sich und will sich nicht recht wieder zurückfinden in die Erzählung. Wobei gerade die über weite Strecken explizite Verweigerung des großen epischen Zusammenhangs zugleich auch wieder den Reiz des Abends ausmacht: Die vielen kleinen Verweise, das Episodische, das plötzlich ganz Heutige, die Winke ins Volkstheater, das Schnoddrige, dann wieder Pathetische, die leisen Kammertöne und das große Gedröhne.
Überragende Ensembleleistung
Jan-Peter Kampwirth ist als junger Simplicissimus schlechterdings grandios. Unerschöpflich in seinen Mitteln ist er ein seltsamer Niemand, der zugleich alles ist: Prekärer Bruder Parsifals, ängstlicher Junge, Narr, Gauner, Schlitzohr und Gottsucher. Seinem gealterten Alter Ego gibt Michael Weber schneidende Abgeklärtheit, schlaue Kälte und den unerschütterlichen Pragmatismus eines Hausmeisters. Thomas Meinhardt ist ein mal bigotter, dann zweifelnder Pfarrer, Lina Beckmann oszilliert in den weiblichen Rollen virtuos zwischen Heulsuse und Hure. Alles weitere unzählige Personal an Bauern, Soldaten, Knechten und Musketieren verkörpern sechs Schauspieler, die sich im Laufe des Abends immer weiter gegenseitig überbieten. Großartig Albert Kitzls Milieustudien als Koch und Wegelagerer und Robert Dölles furioses Solo als Kriegsberichterstatter.
Ein übervoller, verschwenderischer und sich selbst manchmal vergessender Abend mit einer überragenden Ensembleleistung, die weithin ihresgleichen kaum finden wird.
Simplicissimus Teutsch
von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Bühnenfassung von Thomas Dannemann nach einer Vorlage von Soeren Voima (UA)
Regie: Thomas Dannemann, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Katja Wetzel, Musik: Philipp Haagen, Licht: Jürgen Kapitein.
Mit: Lina Beckmann, Robert Dölle, Omar El-Saeidi, Jan-Peter Kampwirth, Albert Kitzl, Thomas Meinhardt, Murali Perumal, Andreas Schlager, Torsten Peter Schnick, Michael Weber.
www.schauspielkoeln.de
Bei Soeren Voima handelte es sich einstmals um ein Pseudonym für eine Gruppe von Dramaturgen und Regisseuren aus dem seligen Frankfurter Theater am Turm. Inzwischen treibt Soeren Voima heute hier und morgen da in deutschsprachigen Landen sein Wesen. Zuletzt wurde er (?) von uns gesichtet bei der Uraufführung von Eos im Mai 2008 in Stuttgart und im November 2007 abermals in Köln bei der Aufführung seiner Volpone-Version.
Kritikenrundschau
Mit der Inszenierung von Soeren Voimas Grimmelshausen-Bearbeitung "Simplicissimus Teutsch" habe Thomas Dannemann "eine Herkulesaufgabe" "gewagt – und gewonnen", schreibt Brigitte Schmitz-Kunkel in der Kölnischen Rundschau (20.1.2009). Dannemann lasse eine "entzivilisierte Gesellschaft wüten und brüllen, kotzen und pinkeln, mit literweise Blut panschen, mit Knochen und Gedärm werfen" –"angesichts des Themas durchaus adäquate Mittel", deren "Ekeleffekte" sich nur deshalb irgendwann erschöpften, weil sie anderswo beliebig eingesetzt würden. Der Regisseur finde "starke Bilder" und schaffe "eine stringente und erstaunlich kurzweilige Inszenierung", die die Geschichte "als Perpetuum mobile" zeige – "Dannemanns Botschaft angesichts von Söldnerheeren und Religionskriegen, Korruption und der blinden Glückssuche kleiner Leute zu Beginn des 21. Jahrhunderts", wobei er dankenswerterweise "auf jegliche Holzhammer-Aktualisierung" verzichte. "Äußerst vorsichtig" werde die Barocksprache für heutige Zuschauer 'übersetzt', und die Kostüme hielten "die Datierung mit einer historisierend-modernen Mischung kongenial in der Schwebe".
Auch Ulrike Gondorf hält es im Deutschlandradio Kultur (19.1.2009) dem Regisseur zugute, dass er nicht auf "vordergründige Aktualisierung" setze. Das Kölner Ensemble zeige sich "präzise, spielfreudig und verwandlungsstark". Jedoch komme der Abend "nur schwer in Schwung", der erste Teil reihe "zäh eine Episode an die andere", bei schleppendem Timing und aufgeblähten Nebensächlichkeiten. Da bleibe der Schrecken "blass und fern", was "gerade heute unter die Haut gehen" könnte, lasse einen "seltsam unberührt". Im zweiten, überzeugenderen Teil finde Dannemann "suggestive Bilder" und lasse auch den "grimmigen Humor der Geschichte" zu seinem Recht kommen. Alles in allem vermittle Abend "eher die Fremdheit und Sperrigkeit" der Geschichte, "die auf einem theologisch fundierten Weltbild beruht, das nicht mehr das unsere ist" – eine "aktuelle Relevanz" habe Dannemann ihr nicht abgewonnen. Das könne man ihm "als Schwäche auslegen – oder auch als kritische Distanz".
Christian Bos vom Kölner Stadt-Anzeiger (20.1.2009) sieht in Dannemanns Inszenierung "weniger das Schalkhafte als vielmehr die theologischen Fragestellungen" betont. In Jan-Peter Kampwirth habe Dannemann "die Idealbesetzung" für den jungen Simplicissimus gefunden. Ihm glücke stets "der richtige Ton, die korrekte Körperhaltung", wobei er doch nicht hinter seiner Rolle verschwinde und immer wieder "seinen Helge-Schneider-artigen Spaß an kaputten Stereotypen" aufblitzen lasse. Wie bei seinem Lehrmeister Gosch reichten auch bei Dannemann wenige Requisiten, umso reicher sei die "schauspielerische Ausbeute": Allen gelängen "berührende, große Momente", die sich jedoch nicht zu einer "stringenten Inszenierung" verbinden wollten. Darin herrsche bisweilen "mächtig Leerlauf", manches wirke "wie die allererste Improvisationsübung auf der allerersten Probe. Einzige Regieanweisung: Dann brüllt mal schön." Dannemanns "bewusst ärmliches Theater" trage "bleischwer an seinen Klischees, an den brennenden Altären und den Bierkästen in Einkaufswägen", so dass der Abend "zwischen kurzen schauspielerischen Funkenwürfen und langen, laienhaften dramatischem Stillstand" zerfasere.
Sorgenvoll beginnt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.1.2009) mit der Aufzählung all jener Romane, die alleine diesen Monat auf den Spielplänen der Theater in NRW zu finden sind. Überlegt dann aber weiter, ob der "Simplicissimus", mit "seinen vielen Stationen, Episoden und Nebenhandlungen" der Bühne, anders als die psychologischen Romane, nicht eher "eine Unbedenklichkeitserklärung" ausstelle, ihn "auszuschlachten: Das Epos als Spielangebot." Thomas Dannemann nutze den Stoff, um eine "Vielzahl von Spielweisen und Genres - von der Tragödie zur Travestie, vom Kammerspiel zur Klamotte - auszuprobieren." Auch armes "Elementartheater": "lauter kleine Verweise, die ganze Welten imaginieren". Wie der "junge Jan-Peter Kampwirth" als "aufgeweckter Spund" und junger Simplicissimus "sich mit Spielwitz die Welt aneignet und sich ihr doch nicht ausliefert, hält die Aufführung in ihrer Mitte lebendig und angriffslustig". Dagegen lasse sich die Episodenfolge "eher schwerfällig an". Ganz allmählich ziehe das Tempo an, "die Szenen werden schneller, bunter, beliebiger". Der Roman laufe dem Theater aus dem Ruder.
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ich finde weder "Goschianisch", epigonal noch "geklaut bei Gosch" glücklich formuliert.
Es kommt nicht von ungefähr, dass eine Thomas-Dannemann-Inszenierung an eine Gosch-Inszenierung erinnert. Der wunderbare Regisseur und der Ausnahmeschauspieler Thomas Dannemann haben etliche Inszenierungen gemeinsam bestritten.
Wenn man diese Arbeiten verfolgt, ist Dannemann einerseits an der Arbeit mit Gosch gewachsen, zwischenzeitlich gar über sich hinaus, andererseits hat Dannemann prägend an der Entwicklung dessen mitgewirkt, was viele heute als "Gosch-Stil" bezeichnen. Man denke nur an "Sommergäste" und "Macbeth" in Düsseldorf und an den grandiosen "Zerbrochenen Krug" in Hamburg.
Thomas Dannemann ist alles andere als ein Epigone, er ist ein zerstörerischer Zweifler, ein wunderbarer Ermutigender und ein manisch Suchender, der sich nicht schnell zufrieden gibt, am wenigsten mit sich selbst.
der inszenierte in den 70ern und 80ern glaub ich.
auf jeden fall hatte der auch immer solche kästen