Abteilung für Vorstellungskraft

22. April 2024. Wenn ein Stadttheater eine neue Leitung bekommt, ist das meist ein Politikum. Nun hat der konservative Verwaltungsrat der Stiftung Teatro di Roma die Leitung der öffentlichen Theater der italienischen Hauptstadt mit einem unliebsamen Kandidaten besetzt, ohne die Theaterschaffenden und die sozialdemokratische Stadtverwaltung zu fragen. Der Protest ist laut.

Von Laura Strack

"Vogliamo tutt'altro": Das Motto der Proteste römischer Theatermacher:innen 2024 © Circa Studio

22. April 2024. Intendanzwechsel lassen auf politische Wetterlagen rückschließen und spiegeln gesellschaftliche Tendenzen wider. Außerdem werden mit der Wahl einer neuen Intendanz die Weichen für kommende Akzentsetzungen und Handlungsspielräume gestellt, inner- und außerhalb der Institution. Mit einem Fuß stehen Intendant:innen im Theatersaal und -foyer, mit dem anderen im Rathaus oder Ministerium. In diesem Schillern zwischen Stadt und Staat, zwischen Publikum und Politik, zwischen Kritik und Repräsentation berührt die Intendant:innenfigur die großen Fragen nach dem Verhältnis des Theaters zur Macht und ihren Institutionen sowie zur Öffentlichkeit als dem potenziell Unregierbaren.

Die öffentlichen Theater der italienischen Hauptstadt, unter dem Dach der Stiftung Teatro di Roma zusammengefasst, haben seit Januar 2024 einen neuen Intendanten – zumindest auf dem Papier. Und am Hals haben sie eine äußerst vitale, autonome und heterogene Bewegung, in der große Teile ihrer Mitarbeitenden, ihrer Assoziierten und ihres Publikums lautstark gegen diese Wahl protestieren, ihre politischen Implikationen aufdecken und en passant etliche Missstände in der verkrusteten Institution anprangern. Mit Verweis auf die subtile Unterwanderung der italienischen Kulturszene von rechts, der auch diese personalpolitische Entscheidung zuzuschlagen sei, hat die Bewegung den kulturellen Notstand ausgerufen. "Vogliamo tutt' altro" verkünden, schreiben und plakatieren die Theaterschaffenden Roms seither bei jeder Gelegenheit: "Wir wollen etwas ganz anderes." Aber nochmal langsam. Ganz anders als was? Und worin besteht dieses Andere?

Blitzaktion konservativer Kräfte

Durch einen Artikel in der Tageszeitung Il Messagero wurde Mitte Januar die Wahl des umstrittenen Kandidaten Luca De Fusco auf den wichtigsten Posten der römischen Stadttheater bekannt. Für die nächsten fünf oder mehr Jahre soll ihnen der 66-jährige Regisseur aus Neapel als künstlerischer Direktor vorstehen, dem großen, repräsentativen Teatro Argentina, dem experimentierfreudigeren Teatro India, der kleinen Bühne Torlonia und möglicherweise auch dem durch die Besetzung 2011 bis 2014 europaweit bekannt gewordenen Teatro Valle, das der Stiftung im Frühjahr 2025 zugeschlagen werden soll. Als Programmleiter und prominentester Regisseur der italienischen Kapitale wird De Fusco über Inhalte und Verteilungen entscheiden und das kulturelle Image der Stadt wesentlich mitprägen.

Für viele Theaterschaffende war diese Ernennung ein Schlag ins Gesicht. Dass der Verwaltungsrat des Teatro di Roma aus den 42 eingegangenen Bewerbungen ausgerechnet die des traditionsgebundenen, profillosen und völlig stadtfremden Kandidaten auswählte, und das auch noch in einer nicht einmal zweistündigen Sitzung und ohne die Beteiligung der (sozialdemokratischen) Stadtverwaltung, wirkte wie eine Blitzaktion konservativer Kräfte, durchgeführt mit unlauteren Methoden.

Das Tempo und die Plötzlichkeit der Entscheidung, ihre mangelnde Transparenz und vor allem das Unterlaufen der vorgesehenen Mitbestimmungsprozesse ließen sofort an andere Umbesetzungsfälle der letzten Zeit denken, bei denen renommierte Kulturinstitutionen mit Leitungen versehen wurden, die der neofaschistischen Nationalregierung zupass kommen.

Vertreter eines überkommenen Modells

So viel zum "metodo". Doch auch in Sachen "merito", so der neapolitische Theaterkritiker Alessandro Toppi, spreche nicht viel für De Fusco. Auf seiner letzten Station in Neapel habe er sich vor allem um eine tiefgreifende Kommerzialisierung des Theaters verdient gemacht, das Durchschnittsalter im Betrieb irgendwo jenseits der 50 konsolidiert und den Frauenanteil bei den hauseigenen Inszenierungen konstant auf unter 10 Prozent gehalten. Inhaltlich wie institutionell stehe De Fusco für ein im Aussterben begriffenes Modell, dem "das Zeitgenössische" vollständig abgehe.

Für den anstehenden Leitungswechsel überhaupt ins Spiel gebracht worden sei sein Name übrigens von der rechtstendenziösen Gewerkschaft LiberSind. Die korporatistische Interessenvertretung der Technikabteilung ist innerhalb des Teatro di Roma dafür berüchtigt, mit allen erdenklichen Mitteln – von Flugblattaktionen über Streiks bis zu subtileren Formen von Mobbing und Erpressung – gegen zeitgenössische, experimentelle und diverse Formen sowie deren Befürworter:innen zu agieren. Folglich kamen mit der Kritik an der Intendantenwahl auch die missbräuchlichen Strukturen im Betrieb auf den Tisch, sowie der Dauerbrenner Prekarität künstlerischer Arbeit im Allgemeinen.

Proteste für ein anderes Theater

Unmittelbar nach der Ernennung De Fuscos erschien ein offener Brief mit namhaften Unterzeichner:innen, in dem die Regelwidrigkeit der Wahl skandalisiert und für eine verantwortungsvolle, zeitgemäße Besetzung der Stelle plädiert wurde. Das Online-Magazin Fanpage veröffentlichte kurz darauf eine investigative Recherche zum toxischen Arbeitsklima im Teatro di Roma, mit besonderem Augenmerk auf das Wirken rechter Kräfte. Und da man die empörten Kunstschaffenden selbst und die solidarische Öffentlichkeit nicht in "ihr" Theater ließ, platzte am Abend des 30. Januar 2024 der Tagungssaal des Nachhaltigkeitszentrums Città dell'Altra Economia aus allen Nähten. Die Stoßrichtungen dieser assemblea cittadina, einer selbstorganisierten Bügerversammlung, traten schnell und deutlich zutage: die Politik zur Rechenschaft ziehen, institutionelle Missstände anprangern, Mitsprache einfordern, darauf bestehen, dass es ein anderes Theater nicht nur braucht, sondern auch schon gibt – in den Köpfen, Körpern und Beziehungen derer, die in Beruf und Alltagsleben jeden Tag für Erscheinungsformen des Gemeinsamen eintreten.

Theaterbrief Rom 2 C Circa Studio uIn ihren Versammlungen geht es Roms protestierenden Theatermacher:innen um eine Alternative zum bestehenden System © Circa Studio

Als die Versammlung ihre Botschaft am Folgetag zurück an den eigentlichen Ort des Geschehens tragen wollte, um im Foyer des Teatro Argentina – und parallel zur Unterzeichnung des neuen Intendantenvertrags – öffentlichkeitswirksam weiter zu tagen, rannten sie nicht nur erneut gegen verschlossene Türen, sondern auch gegen die Antiterrorausrüstung der davor platzierten Hundertschaft.

Eine Woche später hielten die Theaterschaffenden im wiederum überfüllten Besprechungssaal des römischen Rathauses energische Plädoyers gegen die "Verwüstung des Kulturellen" und für "künstlerische und politische Handlungsfähigkeit". Eine irgendwie nennenswerte Reaktion seitens der öffentlichen Hand ist bisher ausgeblieben.

Gegen die Gleichschaltung der Kulturszene

Seither setzt die Bewegung auf Selbstorganisation. Mindestens alle zwei Wochen finden gut besuchte Plenen statt, in denen die Arbeitsstände der verschiedenen Fokusgruppen zusammengetragen werden und die sparten-, berufs- und generationenübergreifende Konfrontation mit Missständen, Bedürfnissen und Wünschen bezüglich des öffentlichen Theaters weitergeführt wird. Eine der Arbeitsgruppen bleibt investigativ an den Machtdynamiken im Teatro di Roma dran und bereitet zurzeit eine Aufklärungskampagne zu innerbetrieblichen Missbrauchsfällen vor.

Andere erörtern Möglichkeiten der protogewerkschaftlichen Organisation für einen ortsübergreifenden Arbeitskampf in den darstellenden Künsten. Fokusgruppe Nummer drei taufte sich mit spielerischer Selbstironie "Dezernat für Vorstellungskraft" und schreibt zurzeit an einem Manifest für ein anderes öffentliches Theater, das der "Biodiversität der kulturellen Ökosysteme" entsprechen soll. Die AG Netzwerk schließlich versteht den Fall des Teatro di Roma als Emblem eines dysfunktionalen Theatersystems auf mindestens nationaler Ebene. Sie versucht, sich mit ähnlichen Initiativen landesweit zu verbinden und allenthalben "weitere Feuer" anzuzünden: "Accendiamo altri fuochi."

Eine online abgehaltene Versammlung mit über 400 Teilnehmenden bewies eindrücklich, dass gerade im ganzen Land kleine Flämmchen aufflackern, die sich auf die ein oder andere Weise gegen die schleichende Kulturrevolution von rechts in Stellung bringen: gegen eine allmähliche Gleichschaltung der Kulturszene durch personalpolitische Entscheidungen, gegen die Lifestyle- und Identifikationsangebote der post- und protofaschistischen Subkultur, gegen die Militarisierung der Städte und die Räumung ihrer kritischen Orte, gegen die Umverteilungen der öffentlichen Gelder zum Nachteil der Jungen, Lernenden, Marginalisierten, Andersdenkenden, Freischaffenden.

Anschluss an frühere gemeinschaftliche Selbstorganisation

In Rom manifestiert sich die Bewegung immer wieder konkret im öffentlichen Raum: Sit-Ins, performative Happenings, Flugblattaktionen, zuletzt die spontane Besetzung des viel zu selten genutzten Theaterraums auf dem kommunalen Kulturareal des ehemaligen Schlachthofs Mattatoio. Das wichtigste organisatorische Element jedoch sind die regelmäßigen Versammlungen, die inzwischen ganz bewusst in den verschiedenen Off-Spaces der Stadt abgehalten werden. Zum Beispiel im Spin Time Lab, einem seit 2012 besetzten Amtsgebäude auf der Schwelle zu den Vierteln der als besonders politisiert und progressiv geltenden innerstädtischen Peripherie.

Das Haus beherbergt zurzeit über 150 Familien und bietet mit einer Kantine, einer Zeitungsredaktion, einer Bibliothek, einem Jugendzentrum, mehreren Theatersälen sowie Werkstätten und Probenräumen eine solide kollektive Infrastruktur. An Orten wie diesem scheinen die Erfahrungsschätze der kritischen Bewegungen aus den letzten Jahrzehnten greifbar in der Luft zu liegen.

Theaterbrief Rom 3 C Circa Studio uSit-In vor dem Teatro Argentina © Circa Studio

Auch personell gibt es in der neuen Bewegung viele Überschneidungen mit vorangegangenen Episoden gemeinschaftlicher Organisation, insbesondere der Theaterbesetzungen Valle und Globe (respektive ab 2011 und 2021). Vokabular und Handlungsrepertoire können einem komplexen Bewegungswissen entlehnt und vor dem neuen Hintergrund einer möglichen Refaschisierung Europas weiterentwickelt werden. Der eingängige Ruf der für die 2010er Jahre relevanten Gemeingutbewegungen – il teatro è di tutti, das Theater gehört allen – klingt heute umso eindringlicher, umso schärfer.

Räume geteilten Wissens und Wünschens pflegen

"Warum erklären wir nicht diese Versammlung zum Öffentlichen Theater der Stadt? Teatro Pubblico Diffuso – das sind wir doch schon!", kommentierte ein Teilnehmer bei der Assemblea. Und erinnerte damit umgekehrt an einen der zentralen Vorwürfe an die Kulturpolitik: dass diese Erfahrungsräume, gleichsam Biotope des kritischen Denkens und innovativer, kommuner Ästhetiken, nicht nur nicht gefördert und wertgeschätzt, sondern sogar geschlossen, geräumt, kriminalisiert und jahrelang unter Verschluss gehalten werden.

In ihrem affirmativen Beharren auf diesem Ferment – einer verräumlichten gemeinschaftlichen Handlungsfähigkeit – zeichnet sich die eigentliche politische Tragweite der Bewegung ab. Ihre Fähigkeit, vor Ort und verkörpert als Viele zu agieren, Räume geteilten Wissens und Wünschens zu pflegen, sich zu wehren gegen machtvoll verfügte Entscheidungen, die die drängenden Fragen auf stumm schalten und denen, die sie stellen, die Tür vor der Nase zuschlagen – mit sicherheitshalber ein paar Polizisten davor. Das Dezernat für Vorstellungskraft greift den Vorschlag auf. Ja, das wäre es, diffus und ausgedehnt, das öffentliche Theater auf der Höhe der Zeit. Es nistete in den Nischen der Stadt, es mischte sich unter die Leute, es verstünde sich auf geteilte Verantwortung, es erzählte Unerhörtes, es wüsste um die verschiedenen Kämpfe, es förderte das Sehen von Unten, aus dem Süden, von den Rändern, im Dunkeln, und investierte seine Ressourcen in fortlaufende, nicht abzuschließende Prozesse kollektiven Probierens und Scheiterns.

Nein-Sagen und Dagegen-Sein ist das Eine. Gut, dass es geschieht. Viel schwieriger ist es aber, affirmativ zu formulieren, wie das "ganz Andere", il tutt'altro, aussehen könnte. Imagination ist anstrengend, erst recht, wenn sie das Werk von vielen ist. Gemachte Erfahrungen gemeinschaftlich in Wünsche und Ideen zu übersetzen, erfordert einen langen Atem. Geduld. Zuhören. Kreativität. Austausch. Empathie. Fantasie. Alles Dinge, die zum Handwerk von Theaterschaffenden gehören. Ihre Verlautbarungen unterschreibt die römische Bewegung nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit der Versicherung, die notwendige Vorstellungskraft für jenes ganz andere aufbringen zu können: "Vogliamo tutt’altro – e abbiamo tutta la forza di immaginarlo." Wir wollen etwas ganz anderes – und haben alle Kraft, es uns vorzustellen.

 

Laura Strack arbeitet an der Schnittstelle von Theater, Theorie und Text. In ihrem Buch "farsi comune" (Neofelis 2023) besucht sie prekäre Theaterorte in verschiedenen europäischen Ländern, die an alternativen Organisationsformen, Diskursen und Ästhetiken des Gemeinsamen arbeiten. Seit Januar 2024 nimmt sie als Theaterinteressierte und zeitweilige Stadtbewohnerin an den Versammlungen der Kulturschaffenden in Rom teil. Sie übersetzt aus dem Französischen und Italienischen.

 

Mehr zum Thema:

2014 schrieb die Autorin Sasha Marianna Salzmann einen Theaterbrief aus Rom über die letzten Tage der Besetzung des Teatro Valle. Und 2011 berichtete Eva Löbau über den Beginn der Besetzung, aus Protest gegen die geplante Privatisierung.

Kommentare  
Theaterbrief Rom: Beschreibt das unsere Zukunft?
Vielen Dank für diese ausführliche Beschreibung der Situation in Italien, das uns beim Thema Faschisisierung ein paar Schritte voraus ist. Ich glaube, wir sollte genau hingucken und uns warnen lassen:
„Die korporatistische Interessenvertretung der Technikabteilung ist innerhalb des Teatro di Roma dafür berüchtigt, mit allen erdenklichen Mitteln – von Flugblattaktionen über Streiks bis zu subtileren Formen von Mobbing und Erpressung – gegen zeitgenössische, experimentelle und diverse Formen sowie deren Befürworter:innen zu agieren“
Beschreibt das unsere Zukunft?
Wir wissen aus Erfahrung, dass die erbittertsten politischen Positionen am Theater innerhalb der Technik zu finden sind. Ich kenne kein Haus, an dem diese Konflikte nicht verschwiegen, bzw. mit Druck von oben ruhig gehalten werden.
Vielleicht sollte wir uns angesichts des Berichts aus Italien lieber überlegen, welche produktiveren Möglichkeiten es gibt?
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