Presseschau vom 19. Juli 2015 – die SZ rollt die Urheberrechtsdebatte um Castorfs "Baal" noch einmal auf

Wer die Schwächeren sind

Wer die Schwächeren sind

19. Juli 2015. "Im Fall von Castorfs 'Baal' hat die Kunstfreiheit eine schwere Niederlage erlitten", konstatiert Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung. "Mal davon abgesehen, dass Brecht selber ein großer 'Remixer' und Fremdtext-Sampler war", müsse die Frage gestellt werden, warum "das Urheberrecht eines weltberühmten, fast 60 Jahre toten Autors" eigentlich so viel mehr wiege als "die Freiheit eines nicht minder großen Regisseurs, sich als Künstler damit auseinanderzusetzen". "Zumal er dies ja ernsthaft tut, ohne Verballhornung und Zersetzungswut."

Dössel stellt im Folgenden das "Urheberrechtsgestrüpp" dar und das Theater in seiner Sonderrolle darin: "Da ist auf der einen Seite der Autor. (…) Seine Rechtsposition - oder die seiner Erben - ist stark." (…) Auch eine Inszenierung ist ein künstlerisches Werk und als solches schützenswert. Nur kann der Regisseur als Künstler nicht schalten und walten, wie er will, sondern unterliegt strengen Auflagen."

Nuran David Calis wird zu seinem (werktreuen) Leipziger Baal mit der Aussage zitiert, er habe im Zuge des Urheberrechtsstreits um Castorfs "Baal" für sich "kapiert", "dass der Autor im Theater tatsächlich besser geschützt werden müsse. Ihm kämen heutige Regisseure oft vor 'wie neoliberale Heuschrecken, die sich ohne moralisch-ethische Verpflichtung über ein Stück hermachen'." "Calis, selber auch Autor, fordert da mehr Einhalt und Selbstreflexion", so Dössel und zitiert ihn noch einmal: "'Tut mir leid, wenn ich altmodisch klinge', entschuldigt er sich, 'aber ich bin immer auf der Seite der Schwächeren.'"

Nun gehöre der Autor Brecht sicher nicht zu den Schwachen, kommentiert Dössel, "so wie umgekehrt Calis' 'Baal'-Version nicht zu den stärksten zählt". Und schließt aus alledem: Was eine Gesetzesreform vor allem leisten müsste, sei eine angemessene, den modernen Entwicklungen im Theater und Internet Rechnung tragende Abwägung der Rechte. "Im Rahmen der Kunstfreiheit muss in einzelnen Fällen mehr möglich sein, als das Urheberrecht zulässt."

(sd)

Mehr lesen:

- Alles zum Urheberrechtsstreit um Baal

- Rupprecht Podszuns Genealogie "Nach Baal: Dürfen Regisseure remixen? Urheberrecht und Regietheater"

Nachtkritik zu Castorfs "Baal" von Michael Stadler vom 15. Januar 2015

- Bericht von der Derniere beim Theatertreffen 2015 von Sophie Diesselhorst

 

 

 

Kommentare  
Presseschau nochmal "Baal", München: Leipzig statt München
Der Leipziger BAAL ist bei weitem spannender als der von Castorf.
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