Presseschau vom 21. Mai 2011: Die SZ porträtiert Herbert Fritsch
LSD-Theater
LSD-Theater
21. Mai 2011. Und wieder wird Herbert Fritsch gefeiert, diesmal in der Süddeutschen Zeitung, wo Christine Dössel auch Neuigkeiten zu berichten weiß. Erst einmal aber verteidigt sie den Regisseur gegen das reservierte Theatertreffen-Publikum, das seinen Schweriner "Biberpelz" frostig aufgenommen hatte und gegen Claus Peymann, der Fritsch Dilletantismus vorgeworfen hatte.
Davon aber könne keine Rede sein. "Es ist nicht nur von beißend rabiater Komik, sondern nötigt einem auch den größten Respekt ab, wie Fritsch hier ein sogenanntes Provinzensemble zu fulminanten Slapsticknummern und gruppenchoreographischen Horrorkabinettstückchen an- und dabei Hauptmann jeglichen Naturalismus brutalstmöglich austreibt. Dieses Hardcore-Klimbim-Theater mit seinen krassen, zur Erkennbarkeit verzerrten Figuren, seinen unzähligen Überzeichnungen und Versprechern ('Bibberpelz' / 'Entfernen Sie mal den Witz da, äh, Wisch da!') ist derart energetisch, boshaft und aggressiv, dass man sich auch als Zuschauer ständig an die Gurgel gepackt, in die Fresse geschlagen und heftigst durchgerüttelt fühlt. Und am Ende ganz schön erschlagen."
Dössel berichtet von der Generalprobe in Schwerin, wo gestern Goldonis Diener zweier Herren Premiere hatte ("Aufgerissene Augen, wilde Grimassen, alle Körper außer Rand und Band: Das ist die Sprache der Comics und des Extrem-Slapsticks, dargeboten mit einer rasenden artistischen Körperakrobatik. Wieder erstaunt die Fülle an Ideen, aus denen sich dieses rasende Haudrauf-Theater bedient. Da wird immer noch eins draufgesetzt, noch ein Italo-Klischee, noch ein Kalauer, noch ein Gag, jeder geht jedem permanent an die Gurgel oder an die Wäsche.") und nennt Fritsch einen "agent provocateur": "Einer, der gerne mal etwas in den Raum wirft und sich entwickeln, entzünden lässt, mit vollem Risiko. Er selbst nennt sich einen Spieler: 'Ich setzte etwas aufs Spiel.' Er meint das ganz existenziell." Die Dekonstruktions-Exzesse an der Volksbühne habe er so weit hinter sich gelassen wie die Drogensucht. Weil jetzt kommt der Clou: "Fritsch, der Ende der sechziger Jahre in der Münchner Drogenszene verkehrte, sich Opiate und Speed spritzte und Medikamente aus Apotheken klaute, kam oft mit dem Gesetz in Konflikt. Es war ein nachsichtiger Richter, der ihm noch einmal Bewährung gab, mit der Auflage, einen Beruf zu erlernen." So kam Fritsch an die Otto-Falkenberg-Schule.
Aus Fritschs letztem LSD-Trip heraus erklärt Dössel seine Theaterästhetik: "Er saß da gerade auf einem Polizeirevier, als er plötzlich alles nur noch wie in einem Comic-Strip erlebte: Polizisten mit übergroßen, fratzenhaften Gesichtern und riesengroßen Händen, eine grell verzerrte Welt. So ungefähr muss man sich auch das Fritsch-Theater vorstellen: wie auf einem Horrortrip. Fritsch macht da kein Geheimnis draus: 'Durch LSD wurde mein Theater wesentlich geprägt'. Das Theater, das ist seine neue 'harte Droge'."
(geka)
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