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Alle müssen raus aus dem Berliner Ensemble?
Gerüchten entgegentreten, neue Brände löschen
14. September 2016. Neues Ungemach kündigt sich in der Berliner Theaterlandschaft an. Gestern hatte die Berliner Morgenpost berichtet, dass zum Ende dieser Spielzeit das gesamte 35köpfige Schauspieler-Ensemble des Berliner Ensembles nicht mehr weiterbeschäftigt werden würde. Im kommenden Sommer endet nach 17 Jahren die Intendanz von Claus Peymann am Berliner Ensemble. Sein Nachfolger wird der gegenwärtige Intendant des Frankfurter Schauspiels und frühere Chefdramaturg des Deutschen Theaters in Berlin Oliver Reese. Heute schickt der Berliner Kultursenator und Regierende Bürgermeister Michael Müller eine Pressemitteilung zum Stand der Dinge am BE. Möglicherweise fürchtet er nach den Auseinandersetzungen um das Ende der Intendanz von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne und dem Ärger um die Berufung von Sasha Waltz als Ko-Intendantin des Berliner Staatsballetts ab 2019 neuen Streit.
In der Senats-Pressemitteilung heißt es:
"Parlamentarische Anfragen und Äußerungen in Medien lassen vermuten, dass bezüglich der Zukunft des Berliner Ensemble Gerüchte im Umlauf sind. Zu diesen möchten wir anhand der Faktenlage und der Planungen des zukünftigen Intendanten des Hauses, Oliver Reese, Stellung nehmen." Mit Beginn der Intendanz Reese gebe es im August 2017 eine "künstlerisch inhaltliche Neuausrichtung am Berliner Ensemble". Für den "Betrieb insgesamt" sei "kein Stellenabbau vorgesehen", in mehreren Abteilungen würden neue Stellen geschaffen, die "Abteilungen Video, Theaterpädagogik und Vertrieb" würden am BE überhaupt erst neu aufgebaut. "In sämtlichen technischen Abteilungen, in den Abteilungen Kostüm, Maske, Requisite sowie der Verwaltung, an der Kasse und dem Abenddienst werden die Verträge fast ausnahmslos verlängert." Von den rund 190 fest angestellten Mitarbeitern gingen "etwa 15 Mitarbeiter" im Sommer 2017 in Rente, "andere haben bereits auf eigenen Wunsch neue Verträge mit anderen Häusern geschlossen". Mit einer Reihe der Schauspieler sei eine weitere, "dann freie" Zusammenarbeit verabredet worden. Einige wichtige Produktionen der bisherigen Intendanz sollten im Repertoire verbleiben.
Alle Verträge unter Peymann waren befristet
"Rund 30 Mitarbeiter im Künstlerischen Bereich erhalten voraussichtlich kein neues, festes Vertragsangebot." Diese "Größenordnung" sei für einen "Intendantenwechsel – insbesondere nach einem ungewöhnlich langen Zeitraum einer Vorgängerintendanz – in deutschen Stadttheatern absolut üblich". Der scheidende Intendant Claus Peymann sei mit seinem Haus nie Mitglied im Deutschen Bühnenverein geworden. Dadurch sei das Berliner Ensemble "nicht an den Normalvertrag Bühne (NV-Bühne) gebunden". Aus diesem Grund sei es der Intendanz Peymann möglich gewesen, alle künstlerischen Verträge bis zum 31.07.2017 zu befristen. "Sie verlängern sich nicht automatisch.
In den unter Peymann abgeschlossenen Verträgen heißt es, dass die Befristung auf ausdrücklichen Wunsch beider Vertragspartner erfolgt und beide Vertragspartner wissen, dass der regelmäßige Wechsel von künstlerischen Mitarbeitern eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung und künstlerische Leistungsfähigkeit eines Theaterbetriebes ist."
Mit dem Hinweis, Oliver Reese und sein Team würden Ihre Pläne im Frühjahr 2017 der Öffentlichkeit vorstellen, endet die Presserklärung der Pressestelle des Regierende Bürgermeister von Berlin und der Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten.
(jnm)
"Wie der Palast der Republik"
14. September 2016. Und heute gab Claus Peymann eine Pressekonferenz, auf der er zu dem bevorstehenden Wechsel in der Leitung des BE bereitwillig Auskunft gab:
Claus Peymann fordert vom Senat, einen Sozialplan für die künstlerischen Mitarbeiter zu finanzieren, deren Verträge nach Ende seiner Intendanz nicht verlängert werden. Es geht, so heißt es, um Kosten von einer Million Euro. Seinen Angaben gemäß müssten von den gut 80 Angestellten im künstlerischen Bereich (darunter 35 Schauspieler) 65 bis 70 gehen.
So etwas habe er, Peymann, noch nie erlebt. "Das Berliner Ensemble wird ausgelöscht wie der Palast der Republik", das Ensemble werde "vernichtet", selbst das berühmte BE-Archiv wolle Reese aus dem Haus entfernen. Dass Reese einen Neuanfang wolle, verstehe er zwar, als Intendant habe man aber auch eine soziale Verantwortung, so Peymann. Er forderte von Michael Müller, Oliver Reese "zur Besinnung zu rufen". Juristisch sei das Vorgehen Reeses zwar "wahrscheinlich" nicht zu beanstanden, aber "ich appelliere an die Moral", so Peymann.
Das Argument der Senatskanzlei, dass lediglich die auslaufenden Verträge nicht verlängert würden, nennt Peymann zynisch. Besonders den Umstand, dass "alle alten Schauspieler" gehen müssten, empört Peymann: "Ich vertrete ein humanes Theater, in dem die Alten nicht aussortiert werden."
Das BE war, auf Peymanns ausdrücklichen Wunsch, nie Mitglied im Bühnenverein und verzichtete damit auf den tarifrechtlichen Schutz für die künstlerischen Mitarbeiter. Der Betriebsrat habe auch nie "ultimativ" gefordert, dass dies geändert werde, so Peymann. Zudem habe er immer im "moralischen Glauben" gehandelt, dass sich niemand "als Sau" verhalte, das jedoch geschehe jetzt.
Die Berliner Kulturpolitik nannte er dabei dilettantisch; Michael Müller und Tim Renner hätten einen "Trümmerhaufen" hinterlassen. Sie gingen schmuck- und würdelos mit Künstlern um. Mit dem "Oberhemd" Tim Renner, Kulturstaatssekretär, rede er nicht mehr, "das ist sinnlos". Und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), im Nebenberuf Kultursenator, sei zwar "nicht unsympathisch", aber "vollkommen ahnungslos" in Sachen Kultur.
(dip)
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Ist das die normale Schizophrenie von Intendanten oder schon eine gesteigerte Doppelmoral ála Taruffe-Peymann? Und wer kann mal herausfinden, wieviele künstlerische Mitarbeiter er selbst bei seinen Intendanzübernahmen entlassen hat?
alleinige Geschäftsführer ist Herr Peymann. Das Gebäude gehört der
Holzapfel-Stiftung von Rolf Hochhuth. Das Land Berlin gibt jährlich
10 Mio. Euro, man kann also von einem staatlich subventionierten
Privattheater sprechen. Wenn Peymann jetzt Klagen gegen die Kündigungen androht, stellt sich die Frage nach den rechtlichen Grundlagen. Die gibt es nicht, da Peymann selbst die Verträge befristet hat. Und befristete Verträge laufen aus zum vereinbarten Termin. Man kann nur bei vorzeitigen Kündigungen klagen, alles andere ist vergeblich. Herr Peymann will mit seinen Angriffen gegen die Berliner Kulturpolitiker nur von sich ablenken und das ist verlogen und schäbig. Wie wäre es, wenn Herr Peymann sein sicher nicht kleines Privatvermögen zur Unterstützung seiner Kolleginnen und Kollegen einsetzen würde? Wird er sicher als Zumutung zurückweisen.
http://www.zeit.de/1979/06/satyr-mit-sozialversicherung
"Claus Peymann, vom nächsten Herbst an Intendant in Bochum, hat nach eigener Zählung 30, nach Zählung der Gewerkschaft 44 Mitgliedern des Hauses gekündigt – ein Kampf um Zahlen, der nach allen Regeln der Rabulistik ausgefochten wird."
Die Tasche, dass er in Bochum und auch in Stuttgart selbstverständlich gekündigt hat, setzt dem ganzen die Krone auf.
Heuchelei, Herr Peymann, ist eine TODSÜNDE!
Und was hindert ihn eigentlich daran jetzt noch einige unbefristete Verträge abzuschließen ?! Oder aber die Gewinne, statt in die nächste Wilsonproduktion in Abfindungen zu investieren ?!
Ich habe in letzter Zeit nicht aufgepasst, aber wer hat ihn dann eigentlich zum Aufhören gebracht, und warum hat er Herrn Reese berufen? Als Gesellschafter könnte er ihn doch dann sogar dazu zwingen, Verträge fortzusetzen, etc.?
Ich für meinen Teil bedauere, daß Herr Peymann aufhört. Seine Qualitäten als Intendant möchte ich nicht beurteilen, als Zahlenmensch/Geschäftsführer ist er vermutlich eine Null, aber als Hauptrolle im Stück 'Claus Peymann' ist er unübertroffen. Applaus.
Passiert auch leicht, dass einer nicht begreift, dass es freundschaftlich gemeint sein kann, wenn jemand eigentlich fremdes so etwas so diskret wie möglich tut. Naja, ist eben nicht so leicht sich durchs Leben zu menscheln als Mensch. Es gibt Leute, die dabei sogar auf den Hundsch kommen!
Hier und dort müsste und könnte die Politik Auflagen machen, wenn sie es anders wollte, aber sie will es offensichtlich nicht.
Noch delikater allerdings der Fall an der Volksbühne, wo man Castorfs Nachfolger die angebliche Entlassung lauthals angelastet wird, während selbiges durch Castorf selbst schon längst abgewickelt ist.