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Protest gegen Inszenierung am Münchner Gärtnerplatztheater

20. März 2022. Fast 600 Menschen aus dem Kulturbetrieb haben inzwischen einen Protestbrief gegen eine Inszenierung des Münchner Gärtnerplatztheaters unterschrieben. Dort hat Peter Lund die 1927 uraufgeführte Oper "Jonny spielt auf" von Ernst Krenek inszeniert. Weil ein weißer Darsteller mit schwarz geschminktem Gesicht aufgetrat, wurde der Inszenierung vorgeworfen, die rassistische Kulturpraxis "Blackfacing" zu reproduzieren

Die Oper, die 1933 von den Nationalsozialisten verboten und als "entartete Musik" diffamiert wurde, thematisiert ironisch das Aufeinandertreffen der alten bürgerlichen Hochkultur und der neuen amerikanische Popkultur, die von einem Jazzmusiker names Jonny verkörpert wird. Jonny ist Schwarz, wurde aber bei der Münchner Erstaufführung der Oper 1928 von einem schwarz geschminkten Weißen gespielt. Um diese historische Situation "lebendig werden zu lassen" und die Vergangenheit nicht besser zu machen, als sie war, entschieden sich die Macher der Inszenierung von 2022 einem Text im Programmheft zufolge, die Rolle des Jonny nicht mit einem Schwarzen Darsteller zu besetzen. Stattdessen schminkte sich ein weißer Darsteller das Gesicht schwarz.

Obsolete, diskriminierende Kulturpraxis

"Wir sind entsetzt über Ihre bewusste Entscheidung für das Einsetzen rassistischer Codes, welche historisch in direktem Zusammenhang mit Anti-Schwarzem Rassismus und den schlimmsten Formen brachialer rassistischer Gewalt stehen", schrieben die Erstunterzeichner:innen des Offenen Briefs am 18. März 2022 unter anderem (hier der komplette Brief mit den gesammelten Unterschriften, Stand: 19.3.2022, 20:51 Uhr). "Ihre Argumente hierfür sind wenig belastbar und fadenscheinig, widersprechen sich selbst sichtlich und blenden wichtige historische und gegenwärtige Fakten aus. Hier geht es eindeutig nicht um Tabubrüche, Kunstfreiheit oder historische Genauigkeit, sondern um die Nutzung einer obsoleten Kulturpraxis, die aufgrund ihrer Verflechtung mit vernichtenden kolonialen Praktiken niemals aus ihrem diskriminierenden Kontext herausgelöst werden kann."

Nach dem Protestbrief, der unter anderem von den Regisseurinnen Pınar Karabulut und Christiane Pohle, der Autorin Jasmina Kuhnke, den Regisseuren Nuran David Calis und Milo Rau, der Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann und der Schauspielerin Mavie Hörbiger unterschrieben wurde, hat das Theater auf Instagram nun angekündigt, auf die Darstellung des Blackfacings zu verzichten. "Diese historische Tatsache wurde in unserer Inszenierung kritisch auf der Bühne aufgearbeitet und verurteilt. Dennoch hat unsere Darstellung des Blackfacing, die bei der Entstehung der Produktion auch mit People of Colour entwickelt wurde, offensichtlich Menschen verletzt. Das tut uns Leid und war nicht unsere Absicht", heißt es in der Erklärung unter anderem. "Um unter diesen Umständen weiterhin einen offenen Blick auf dieses spannende musikalische Zeitdokument zu ermöglichen, haben wir uns entschlossen, in Zukunft auf die Darstellung des Blackfacing zu verzichten."

 

Update vom 21. März 2022

In einem zweiten Statement vom 20. März 2022 reagiert die "Bürger:inneninitiative against blackfacing gpt" auf den am Vortag verfassten Instagram-Post des Gärtnerplatz Theaters. Die "Entscheidung des Staatstheater am Gärtnerplatz, die rassistische Praxis des Blackfacings nicht weiterhin zu reproduzieren" werde begrüßt, heißt es da.

Das "erneut vorgebrachte Argument der historischen Genauigkeit" scheine nach dem Besuch der Inszenierung jedoch umso mehr "irritierend und unplausibel", schreiben die Verfasser:innen - denn es handele sich um eine Inszenierung, "die in weiten Teilen starke Eingriffe gegenüber dem Ausgangsmaterial vornimmt."

Gegen das vom Theater vorgebrachte Argument, die Darstellung des Blackfacings sei in Absprache mit BIPoC-Kolleg_innen entstanden, wenden die Verfasser:innen ein: "diese Verantwortung nun teilweise an die als Gäste der Statisterie beteiligten BIPoC-Kolleg_innen auszulagern" sei "unredlich". "Die Entscheidung zur Reproduktion des Blackface ist bereits in der Besetzung der Oper angelegt, zu einem Zeitpunkt also, wo diese Kolleg_innen ganz sicher nicht beteiligt wurden oder 'mitentwickelt' haben."

Neben dem Aufruf, die Produktion abzusetzen, wird die Forderung nach praktischen und strukturellen Konsequenzen gestellt, etwa der Einstellung eines_r Beauftragten für Antirassismus.

(sle / joma) 

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Kommentare  
Protest Gärtnerplatztheater: Hinweis
Da ein Großteil der Unterzeichner des Briefes (von Göteborg über Leipzig bis München) die Aufführung offenbar nicht gesehen hat und man auf Fotos das Blackfacing gar nicht und im halbminütigen Trailer des Gätnerplatztheaters nur kurz sieht, nehme ich stark an, dass sich viele ihre Meinung auf Grund dieses längeren Einführungsvideos gemacht haben, auf das an dieser Stelle verwiesen sei: https://www.youtube.com/watch?v=_pglZILTPe0
Es ersetzt sicherlich nicht das vollständige Bild beim Besuch der Aufführung, zeigt aber ausführlich den schwarz geschminkten Darsteller in der Rolle des Jonny.
Protest Gärtnerplatztheater: Kontext ist alles
Wie bei Allem, ist Kontext ALLES!
Ohne Kenntnis der Aufführung zu Urteilen ist nicht lauter, ist ignorant, ist Ideologie, ist pure Oberfläche.
Wir berauben uns so selber jeder Möglichkeit zu differenzieren.
Geben uns der Erregung hin.
Wie alle ANDEREN.
Protest Gärtnerplatz: Unbehagen
Zunächst das Offensichtliche: Blackfacing ist verdientermaßen auf dem Schrottplatz der Darstellungsformen. Und Kunstfreiheit sollte niemals koloniale Strukturen reproduzieren, selbst im Sinne einer Entlarvung, einer Dekonstruktion.

Gleichzeitig löst es aber auch ein seltsames Gefühl bei mir aus, wie jetzt hunderte Kulturschaffende zum Boykott aufrufen. Und dann noch in bester Bürokratie-Manier eine Unterschriftensammlung aufsetzen. Man kann die Inszenierung ablehnen und dennoch sollte sie existieren dürfen. Immerhin verweist sie einmal mehr auf die Leerstellen weißen Kulturschaffens im Bezug auf die Aufarbeitung rassistischer Kunstpraktiken. Sie abzusetzen löst keine Probleme, sondern wird für die Unterschreibenden Künstler:innnen zur Pose. Schlechte Kunst, Problematische Kunst hat auch ihre Existenzberechtigung. Insbesondere im Kontext einer Oper, die schon einmal aus Gründen des moralischen Empfindens oder im Nazi-Sprechung "Entartung" abgesetzt wurde.

Die Unterschreiber:innnen der Petition haben wohl alle gut gemeinte Absichten und doch möchte ich einmal diese Art der Auseinandersetzung mit Kunst in Frage stellen.
Protest Gärtnerplatz: Aktueller Lektüre-Tipp
"Und Kunstfreiheit sollte niemals koloniale Strukturen reproduzieren, selbst im Sinne einer Entlarvung, einer Dekonstruktion."

Warum denn nicht? Welche Freiheit bleibt der Kunst, wenn sie nicht einmal eine verurteilenswürdige Praxis dekonstruieren darf? Was ist dann Freiheit?

Hätten denn alle die Unterzeichner:innen des Briefes auch gegen Art Spiegelman unterzeichnet, weil der in "Maus" das Wort "bitch" verwendet? Und schlimmer noch: im Bild Gewalt reproduziert?

Ich halte diese Unterzeicher:innen-Aktion für nur eines: selbstgerecht.
Und ein aktueller Lektüre-Tipp: Die Erwählten des Schwarzen Sprachwissenschaftlers John McWhorter.
Protest Gärtnerplatz: Kleiner Unterschied, große Folgen
@Jerem Kagel

Ich persönlich schätze Art Spiegelmans Graphic Novel ehrlich gesagt sehr. Deswegen denke ich es ist es wichtig den Unterschied in der Aneignung von gewaltreproduzierender Gewalt in der Kunst zu betonen.

Spiegelman beschreibt ja wenn ich mich richtig erinnere die Erlebnisses seines Vaters, also beschriebt die Shoah aus einer diasporisch-jüdischen Perspektive.

Und hier war es ja ein "weißes" Produktionsteam.

Noch dazu unterscheidet sich ja das Theater vom gedruckten Buch.

Noch dazu ist Blackfacing wirklich so kanonisch in der Mottenkiste des Kulturbetriebs das wohl niemandem mehr im urbanen Theater-Raum dies noch einmal erklärt werden müsste.

"Weiß"-Sein ist hier aber von mir nicht essentalistisch gemeint, natürlich können auch weiße Person rassismuskritisch/rassismus-reflektierende Kunst produzieren.

Nur ist das ganze eben hier nach hinten los gegangen. Gelungene Dekonstruktion ist nämlich ein Kraftakt, die Bloßstellung einer Sache als Konstrukt muss ja aus dem Spiel folgen und darf nicht einfach behauptet werden.

Dennoch plädiere ich ja in meinem oberen Kommentar für die Kunstfreiheit und bin entschieden gegen die Absetzung der Inszenierung. Denn selbst missglückte Kunst hat in einer Demokratie ihre Existenzberechtigung.
Protest Gärtnerplatz: Unsinn
Ich habe die Premiere gesehen und besprochen. Die Hauptfigur Jonny schminkt sich auf der Bühne sichtbar selbst - und am Ende übrigens auch wieder ab. Jonny ist anarchistisch, ein bisschen kriminell, witzig, ein genialer Künstler, der interessanteste Charakter im Stück. Ein Weißer spielt einen coolen Schwarzen (historisch übrigens korrekt - so war das bei der UA) - und die am Schreibtisch sitzenden Kritikaster*innen empören sich. Welch Armutszeugnis!
Protest Gärtnerplatz: Lebenslüge
Mir scheint, das gemeinsame, vollständige Singen eines Michael Jackson Liedes hat mehr gesellschaftliche Bedeutung als dieser offene Brief. Da ist sicherlich Selbstgerechtigkeit ein Thema, der Wunsch im falschen Leben auf der richtigen Seite zu stehen, aber auch eine gehörige Portion Lebenslüge, wenn man sich anschaut, aus welchen Institutionen die Beiträge stammen. Aktiv im eigenen Umfeld werden!
Protest Gärtnerplatz: bitte ins Museum
Was Krenek selbst zu seinem antimodernen Stück sagt:

„Dieser amerikanische N****, also dieser Jonny steht für Amerika. Nicht so sehr für die Schwarzen, sondern für die freien Amerikaner. Und ist er also ein Amerikaner der sich eben ganz ungehemmt benimmt, also keine Hemmungen hat wie der mitteleuropäische Komponist Max, der ein schweres Leben hat. Dieser amerikanische Jonny kommt vollständig frei, ungehemmt [daher] – tut, was ihm passt, was er will. Und das ist jetzt hier wieder etwas bedenklich, weil die Schwarzen jetzt in diesem Land [A.d.S.: gemeint sind die USA] finden, dass dieser Jonny sich gar nicht richtig benimmt: Erst[ens] stiehlt er eine Geige. Zweitens attackiert er eine weiße Frau … also das tut man nicht."

Ich bezweifle, dass sich irgendwer vom dramaturgisch-inszenatorischen Kollektiv dieser Produktion mit Kreneks Intentionen beschäftigen wollte ... Offenbar ging es nur um die Oberfläche (auch des von dt. Faschisten angezettelten Skandals). Wie anders ist es sonst zu verstehen, dass sich das Gärtnerplatztheater hinter dem label "entartete Kunst" verschanzt?

Für ein musiktheaterwissenschaftliches Seminar mag Kreneks Arbeit interessant sein ... Ansonsten, bringt es doch bitte, gnädig, ins Museum!
Protest Gärtnerplatztheater: aufgebauscht
Protest Gärtnerplatz: Positiver Rassismus und mangelnde Inklusion fehlen

Rassismus, als Blackfacing zu identifizieren ist abzulehnen. Hier wird dieses Thema wohl eher im Rahmen eines blindwütigen „positiven Rassismus' “ aufgebauscht, scheint in diesem Kontext vernachlässigbar, zumal die Wurzeln des Blackfacings im Variete (vergl. unseren „Dummen August“, auch nicht gut) liegen und nicht in rassistischen Unfassbarkeiten. Ausführliche Darlegungen von mir wurden hier nicht zugelassen. Wenn man will kann man das Frauenbild und Darstellung beleibter (adipöser) Menschen in dieser Inszenierung auch negativ sehen.
Ich halte solche Thematik für untrennbar mit den Begriffen „Positiver Rassismus“ und mangelhafter Inklusion in Deutschland verbunden, tauchen bei den Pauschal-Anti – Blackfacing-Vertretern nicht auf. Mit den beiden Begriffen und Tim Theo Tinn findet man meine Positionen im Netz.
Protest Gärtnerplatztheater: Selbstkastration
In vorauseilendem blinden Gehorsam wird einmal wieder eine ideologisch politische Welle geritten und bis zum geht nicht mehr breitgetreten.
Theater, wenn nicht museal betrachtet, ist dazu da Diskussionen auszulösen und auszuhalten, Kritik zu vertragen, Themen offen anzugehen! Wollten wir ein politisch korrektes Theater wird's sehr schnell dunkel auf der Bühne. Kein Shakespeare mehr (von Kapitalverbrechen über Sodomie bis hin zum Kanibalismus), kein Faust mehr (sexistische Walpurgisnacht etc.)…
Einfach mal über die psychologische Funktion des "Spielens" nachzudenken hilft vielleicht, wenn man nicht ganz weltfremd sein sollte.
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