Der goldne Topf - Anna-Elisabeth Frick adaptiert E.T.A. Hoffmann am Theater Freiburg als schrille Sause
Wer nicht als Tiger springt
von Jürgen Reuß
Freiburg, 2. Februar 2018. Nach etlichen internationalen Regietalenten unter der neuen Intendanz von Peter Carp durfte diesmal mit Anna-Elisabeth Frick ein nationales im Theater Freiburg ran. Tamina Theiß – heute Dramaturgin in Freiburg, damals noch in Oberhausen – saß mit in der Jury, als Frick 2016 zur Preisträgerin des 13. Körber Studio Junge Regie gekürt wurde und war auch bei ihrem Freiburger Regiedebüt als Dramaturgin mit im Boot. Und dieses Debüt war recht ambitioniert.
Schwülstige Phantasie heruntergekühlt
E.T.A. Hoffmans Künstlermärchen "Der goldne Topf" ist ja nicht nur Sternchenthema fürs Abitur, sondern vor allem eine ziemlich durchgeknallte Reflexion über die gegenseitige Durchdringung von Kunst und Leben, die bei der Lektüre am ehesten Bilder wie aus einem dieser drogengeschwängerten, bizarren, immer wieder in Horrortrips kippende Gothic-Filme von Ken Russell hervorruft.
Solche schwülstigen Phantasien kühlt Martha-Marie Pinskers Bühne gleich mal auf Normaltemperatur herunter. Hoffmanns Gestalten sind in Freiburg Kühlschrankgeburten. Wie in einem Küchenstudio blickt das Publikum im Kleinen Haus auf eine Front diverser Kühlmodelle, aus denen Gestalten, Möbel, Essen, Phantasien bei Bedarf wie Fertigpizzen hervorgeholt werden können. Mit einem gespielt verhunzten Vorstellungsauftritt zieht das Ensemble anfangs die Metaebene ein: hier sind nur Mimen auf dem Theater am Werk.
Nummernboy und Hofrat unterm Bierbaum
Für den Zeitbezug sorgt ein kleiner Junge aus der Kategorie "extrasüß", der – vermutlich in Anspielung auf die Greuel der napoleonischen Befreiungskriege, die Hoffmann während der Entstehung des "Goldnen Topfs" miterlebte – von zerstückelten Körpern erzählt und im Folgenden wie ein "Ich kann Tote sehen"-Nummernboy aus dem Zwischenreich von The Sixth Sense die Vigilien anzählt.
Bevor der Zuschauer aber noch "Oha, ganz schön komplex" denken kann, wird sofort kräftig reduziert. Das Künstlerseelchen gibt Martin Hohner als Mallorca-Tourist. Der Holunderbaum, in dem Anselmus das Schlangenmädchen Serpentia erscheint, mutiert auf seinem Buntdruckhemd zum australischen Bierbaum, unter dem sich Fuchs und Känguru die Kante geben. Veronika, das Mädel aus der Biederwelt, scheint im hellen Retrokleid direkt vom Rendezvous unterm Nierentisch zu kommen und muss zu ihren schnöde materiellen Aufstiegsträumen auch noch die Spießigkeit des in dieser Inszenierung nicht existenten Vaters inkorporieren. Der echte Aufsteiger Heerbrand, der sie am Ende als Hofrat ins graue Glück ehelichen wird, optisch der langweilige Kleinbürger, wird von dem Tänzer Graham Smith aber in seiner Hin-und-Her-Gerissenheit zwischen Alltagsvernunft und kleinen Fluchten so stark durchchoreographiert, dass er zur interessantesten Figur im Klischeekabinett avanciert.
Das vervollständigen der Exzentriker Lindhorst an, den Victor Calero ein wenig so spielt, als hätte Steve Martin in einem schrägen Kostümfilm einen Salamander geschluckt, und Serpentia, die von der Opernsängerin Katharina Ruckgaber im grünen Glittergewand vornehmlich als Stimme in Erscheinung tritt.
Salamander, lebe hoch!
Diese Typisierung gibt den Akteuren viel Raum, ordentlich Klamauk zu entfalten. Und das funktioniert auch ganz gut, egal, ob Lindhorst die Bedingungen zur Gewinnung seiner Tochter Serpentia wie die AGBs einer Website runterleiert oder mit Anselmus im Kühlschranklift in einen imaginären Keller hinabfährt. Man schaut Graham Smith gern zu, wie er seinen Heerbrand mit Bärenkopf in komischer Verzweiflung kopfstehen lässt. Zum Happy End ist man recht amüsiert und würde dem geretteten Lurch zu seiner Rückkehr nach Atlantis gern ein "Lange tönt's im Walde noch – Salamander, lebe hoch!" zurufen. Das gut unterhaltene Publikum applaudiert heftig.
Und die Moral von der Geschicht: Wenn man nicht als Tiger springt, ist es nicht schlimm, als Bettvorleger zu landen. Schließlich hatte Hoffman selbst bei allen Metaflausen, Alkoholproblemen und Kriegstraumata ja vor allem auch einen guten Humor.
Der goldne Topf
von E.T.A. Hoffmann
Regie: Anna-Elisabeth Frick, Bühne: Martha-Marie Pinsker, Kostüme: Mariam Haas, Choreografie: Graham Smith, Komposition: Leonard Küßner, Licht: Mario Bubic, Ton: Achim Vogel, Dramaturgie: Tamina Theiß.
Mit: Victor Calero, Martin Hohner, Stefanie Mrachacz, Katharina Ruckgaber / Samantha Gaul, Graham Smith, Benjamin Bey / Sinja Neumann.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater.freiburg.de
Mehr Goldne Töpfe, die gerne auch als Goldene Töpfe geschrieben werden gab es im November 2017 in Karlsruhe, dort inszeniert von Juliane Kann, und im Februar 2010 in Dresden von Sebastian Baumgarten.
Eine "heimlich unheimliche, artig unartige Bühnenfassung eines zauberhaften Märchens" hat Martin Halter von der Badischen Zeitung (5.2.2018) gesehen. Die Regie gebe Hoffmanns manchmal zerfaserndem Bilderreigen Struktur und einen Spannungsbogen und halte eine schöne Mitte zwischen romantischer Ironie und Realismus. Weiter schreibt Halter: "Die lokalen Bezüge sind oberflächlich, die Musik kommt selten über eingängige Musicalphrasen hinaus. Damit das Zauberspiel nicht ganz ins Harmlose und Süßliche abgleitet, hat Frick es immer wieder mit schwarzen Schatten, Phosphorus-Blendgranaten und Kälte-Metaphern aufzurauen versucht."
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