Mephisto - Badisches Staatstheater Karlsruhe
"Ich bin ja nur ein Schauspieler"
27. Mai 2023. Gustaf Gründgens gelang im "Dritten Reich" ein kometenhafter Aufstieg am Theater, protegiert von Hermann Göring. Der Roman "Mephisto" von Klaus Mann kann, obwohl der Autor sich dagegen aussprach, als Schlüsselroman dazu gelesen werden. Die Bühnenversion spürt der Anziehungskraft ihres Protagonisten nach – und seinen politischen und charakterlichen Widersprüchen.
Von Thomas Rothschild
27. Mai 2023. Hermann Göring und Lotte Lindenthal alias Emmy Göring tanzen Tango. Sie sind Karikaturen, wie alle Nazis in dieser Inszenierung Karikaturen sind. Das ist komisch. Unheimlich ist es nicht. Sollte es aber sein.
Hauptmotiv: politischer Opportunismus
Selbstreferenzialität hat Konjunktur. Es verfügt immer über einen besonderen Reiz, wenn das Theater sich selbst zum Thema macht. Klaus Manns Schlüsselroman Mephisto bietet sich dafür an. Seit der beeindruckenden Bühnenadaption von Ariane Mnouchkine im Jahr 1979 haben mehrere Regisseure eigene Fassungen erstellt und die zentrale Figur, die bei Klaus Mann Hendrik Höfgen heißt, mal mehr, mal weniger dem Modell Gustaf Gründgens angenähert. Für Verbreitung über das Theater hinaus hat István Szabós Verfilmung mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle gesorgt.
Die Aktualität des Stoffes, die nicht erst mühsam konstruiert werden muss, liegt in der Thematik des politischen Opportunismus, für den das Theater nur das auswechselbare Milieu liefert. Es bedarf keines ausgeprägten Scharfsinns, um die Höfgens unserer Gegenwart in jeglicher Umgebung ausfindig zu machen. Der Unterschied zu Klaus Manns Konkretisierung besteht lediglich darin, dass die Folgen ihres Handelns in der Regel weniger tragisch sind als im Deutschland der 1930er Jahre. In der Regel kommt heute kaum jemand ums Leben wie der Schauspieler Hans Otto, der bei Klaus Mann den Namen Otto Ulrichs trägt.
Im Roman erhalten die Personen, die Klaus Mann als Vorbild dienten, neue Namen. Die übernimmt auch die Karlsruher Bühnenfassung. Nur der Autor selbst, der im Roman Sebastian Bruckner heißt, wird zu Klaus Mann zurückverwandelt. Er und Hendrik Höfgen bilden auch dadurch das Zentrum, dass ihre Darsteller ihre jeweilige Rolle von Anfang bis Ende beibehalten dürfen. Alle anderen Schauspieler:innen müssen mehrere Rollen ausfüllen.
Der Schauspieler Leonard Dick tritt vor den Vorhang, stellt sich vor – "Ich bin Klaus Mann" – und führt als Erzähler mit Mikrophon durch das Stück. Es setzt ein 1936, im Jahr der Veröffentlichung des Romans in Amsterdam, wendet sich dann zurück ins Jahr 1926, um schließlich wieder drei Jahre nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zu enden. Die Dialoge werden unterbrochen von Schlagern und Kabarettsongs der Zeit, teils auf der Bühne zum Klavier gesungen, teils über Boxen zugespielt.
Mit Nils Strunk konnte das Karlsruher Theater einen Regisseur gewinnen, der am Haus mit "Mozart und Salieri" vor zweieinhalb Jahren in dieser Eigenschaft sein Debüt gegeben und sich davor schon als Schauspieler und Musiker an mehreren großen Bühnen einen Namen gemacht hat.
(K)ein Schlüsselroman
Klaus Mann hat zwar beteuert, dass es sich bei "Mephisto" nicht um einen Schlüsselroman handle, dass es ihm nicht um die Porträtierung realer Personen gehe, sondern um Typen. Ob das nun tatsächlich seine Absicht war, oder ob das eine Schutzbehauptung ist: Zumindest für jene, die noch wussten, wer Gustaf Gründgens war – im Anhang zur Aufführung heißt es, davon gäbe es heute nicht mehr viele – lässt sich nicht vermeiden, dass sie bei der Bühnenfigur Höfgen an Gründgens denken. Und so müsste Höfgen neben seiner politischen und charakterlichen Widersprüchlichkeit etwas von der Magie vermitteln, die von ihm ausging und die ihn zu der Kultfigur machte, die er über Jahrzehnte hinweg blieb. Damit aber – wir müssen es leider sagen – ist der Höfgen-Darsteller Andrej Agranovski überfordert. Er macht nicht verständlich, warum sich Klaus Mann, im wirklichen Leben und im Bühnenstück, so sehr an ihm gerieben hat.
Alles nur Schauspiel?
Dieser Karlsruher "Mephisto" ist nicht wirklich das Porträt eines Charakters und erst recht nicht eine Beschwörung der Schrecken der Zeit, in der er spielt. Es wird viel gelaufen auf der Bühne, aber ein guter Teil ist Leer-Lauf. Analog zu dem oft zitierten Satz von Höfgen/Gründgens "Ich bin ja nur ein Schauspieler", ist man versucht, zu bemerken: "Es ist ja nur ein Schauspiel". Anneliese Neudecker hat eine Bühne auf der Bühne gebaut, multifunktional, mit Vorhängen und Holzrahmen. Später verwandelt sie sich zu einem typischen NS-Raum, die Vorhänge werden zu angedeuteten Säulen, davor wird ein roter Teppich ausgerollt.
Nach dem Ende der eigentlichen Romanbearbeitung hat Nils Strunk einen Anhang inszeniert über die Geschichte des Romans, der als Gegenstand einer spektakulären juristischen Abwägung von Kunstfreiheit gegen Persönlichkeitsrecht und eines formal bis heute anhaltenden Verbots in die Literaturgeschichte eingegangen ist, mit einem Rückblick auf die realen Biographien von Gustaf Gründgens und Klaus Mann sowie der Richter, die über ein Verbot des Romans zu befinden hatten. Das kommt daher wie eine Vorlesung mit verteilten Rollen unter Verwendung der Mittel des Dokumentartheaters.
Dieser didaktische Ansatz steht in kuriosem Widerspruch zu diesem Umstand: Das Programmheft führt unter "Besetzung" einen Theaterpädagogen auf. Es empfiehlt "Mephisto" für Zuschauer:innen ab 16 Jahren. Wer jünger ist, muss vor Höfgen und seinem Treiben geschützt werden. Soll doch den Fernseher einschalten. Das Premierenpublikum, älter als 16, ließ sich gerne belehren und spendete anhaltenden Beifall.
Mephisto
nach der Romanvorlage von Klaus Mann
In einer Fassung von Nils Strunk und Lukas Schrenk
Regie: Nils Strunk, Bühne: Anneliese Neudecker, Kostüme: Cedric Mpaka, Dramaturgie: Eivind Haugland, Co-Autor, Mitarbeit Regie: Lukas Schrenk, Theaterpädagogik: Benedict Kömpf-Albrecht.
Mit: Leonard Dick, Andrej Agranovski, Timo Tank, Antonia Mohr, Frida Österberg, Sarah Sandeh, Jannik Görger, Jannik Süselbeck, MdB Michel Brandt.
Premiere am 26. Mai 2023
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater.karlsruhe.de
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Dieser Kommentar wurde in gekürzter Form veröffentlicht, da er in Teilen unserem Kommentarkodex nicht entsprach. Dieser ist hier nachzulesen: https://www.nachtkritik.de/impressum-kontakt, viele Grüße aus der Redaktion
Das von Gründgens’ Adoptivsohn in einem Zivilrechtsstreit erstrittene Urteil, das vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, wirkte notwendigerweise nur zwischen den Parteien: Es war (und ist) Berthold Spangenberg als Geschäftsführer der Nymphenburger Verlagshandlung verboten, das Buch in der Bundesrepublik zu publizieren. Es war ein Publikations-, kein Buchverbot.
1980 publizierte der Rowohlt-Verlag den „Mephisto“ als in jeder Hinsicht legale Taschenbuch-Lizenzausgabe, denn Spangenberg hatte dafür die Rechte an den Rowohlt-Verlag gegeben, und die zivilprozessuale Rechtskraftwirkung der früheren Entscheidung bezog sich eben nur auf das Verhältnis des Verlegers Spangenberg zu Gründgens’ Adoptivsohn. Letzterer hätte nochmals vor Gericht ziehen können – doch diesmal unterließ es.
Fazit: Das ursprüngliche Publikationsverbot besteht juristisch, hat aber keine praktische Relevanz mehr. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts entschieden nicht über ein "Verbot des Romans" - Klaus Manns "Mephisto" konnte z.B. zuvor und danach in der DDR erworben und problemlos in die Bundesrepublik eingeführt werden. Es gibt natürlich Bücher, die verboten sind - aber Klaus Manns "Mephisto" zählte nie dazu.