Alptraumlandschaft Übersee

von Elisabeth Maier

Konstanz, 27. September 2014. Durch eine Alptraumlandschaft jagt Andrej Woron Karl Rossmann, den jungen Auswanderer aus Franz Kafkas Romanfragment "Amerika". Für den unvollendeten Text, in dem der Prager Schriftsteller Anfang des 20. Jahrhunderts ein geistiges Gefängnis kreierte, hat der polnische Bühnenbildner und Regisseur in der Spiegelhalle des Theaters Konstanz ein klaustrophobisches Zimmer konstruiert, unter dessen Decke ein schlichtes, schwarzes Holzkreuz hängt. Darin erlebt der 16-jährige Karl, den seine Eltern "wie eine Katze" verstoßen und mit dem Schiff nach Amerika schicken, die Kehrseite des amerikanischen Traums.

Bilder aus Angst und Schmerz

Der Maler Woron, der in den 1990er Jahren mit seinem Teatr Kreatur in Berlin große Erfolge feierte, hat auch in Konstanz mit seinem radikalen Körpertheater schon aufhorchen lassen, etwa in Regiearbeiten wie dem "Woyzeck" (2010). Kafkas angstbewohnte Sprache übersetzt er nun in Bilder, die von Schmerz gezeichnet sind. Chefdramaturg Thomas Spieckermann hat ihm dafür eine atmosphärisch dichte, aber dennoch sehr dynamische Bühnenfassung geschrieben. Klug spitzt er den Plot auf das Scheitern des Protagonisten in der fremden Welt zu.

amerika2 560 ilja mess uLeiden unterm Kreuz: Thomas Fritz Jung, Andreas Haase, Jürgen Bierfreund,
Odo Jergitsch, Axel Julius Fündeling, Wolfgang Erkwoh © Ilja Mess

Gewaltige Seelengemälde machen den Reiz dieser Regiearbeit aus. In eiskaltes Blau ist der Raum getaucht, als der einfältige Karl von der berechnenden Unternehmertochter Klara gedemütigt wird. Thomas Fritz Jung zeigt die Leiden des jungen Mannes, der im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zugrunde geht, mit einer radikalen Körpersprache. Gekrümmt kauert er auf der Bettkante. Bei jedem Laut zuckt er zusammen. Klaviergeklimper verhallt im Raum. Leicht lässt sich Karl zum Spielball des verwöhnten Mädchens machen, dessen sadistische Ader Jana Alexia Rödiger schamlos auskostet. Ihr frostiges Lächeln geht unter die Haut. Wolfgang Erkwoh als ihr Verlobter Mack steht ihr an Bosheit in nichts nach. Stellenweise übertreibt es Woron mit den Effekten. Wenn er Karls Fantasien im Playback einspielt, wirkt das wie ein Bruch.

Im Kopf des Auswanderers

Franz Kafkas häufig für die Bühne adaptiertes Romanfragment geizt nicht mit komischen Situationen. Die prolligen Sprüche des Heizers im Atlantik-Schiff sind ebenso absurd wie die Szenen im schrillen Theater von Oklahoma, in dem der rastlose Karl am Ende seine Ruhe findet. Das hat manche Regieteams zur Karikatur verleitet, etwa 2013 Julie van den Berghe in ihrer Fassung an den Münchner Kammerspielen.

amerika1 560 ilja mess uOh, schöne, neue Welt: Friederike Pöschel, Thomas Fritz Jung, Axel Julius Fündeling,
Arlen Konietz, Wolfgang Erkwoh, Jana Alexia Rödiger, Ensemble © Ilja Mess

Andrej Woron dagegen lässt die Schauspieler die Grenzbereiche ihrer Körper und ihrer Psyche ertasten. Ihm geht es um die zerstörerische Kraft des Lebens in der schönen, neuen Welt. Odo Jergitschs Heizer ersticken die Worte im Hals, als er sich vor dem opportunistischen Kapitän (Jürgen Bierfreund) rechtfertigen soll. Andreas Haases strengen Onkel Jakob, der Karl zunächst bei sich aufnimmt, versetzen unverrückbare Prinzipien in Totenstarre. Den Vagabunden Robinson, der Karl für das Leben im Wilden Westen begeistern will, lässt Arlen Konietz virtuos ins Alkohol-Delirium tanzen. Der Choreograph Miroslaw Zydowicz hat mit den überzeugenden Schauspielern brillante Bewegungsstudien entwickelt.

In Andrej Worons psychologischer und physiologischer Deutung von Kafkas Text sind die Figuren Projektionen dessen, was sich im Gehirn des Auswanderers abspielt. Friederike Pöschels Oberköchin stempelt Bestellungen und strahlt eine Weiblichkeit aus, die Karl das Fürchten lehrt. Axel Julius Fündelings schmieriger Verbrecher Delamarche treibt ihn mit seinen Psychospielen in den Tod. Farbige Lichtblitze, Dämmerlicht und Schattengestalten hinter dem Gazevorhang öffnen eine Tür ins Jenseits. Torsten Knoll schafft mit Piano, Percussion und Synthesizer ekstatische Klangräume. Dabei benutzt er sogar den eigenen Körper als Trommel. Das hört sich wie ein letztes Aufbäumen an. Woron und seinem Team ist mit "Amerika" ein Crossover-Projekt geglückt, das Kafkas todessehnsüchtige Visionen mit allen Sinnen erschließt.


Amerika
nach dem Roman von Franz Kafka
Dramatisierung von Thomas Spieckermann
Regie, Bühne und Kostüme: Andrej Woron, Choreographie: Miroslaw Zydowicz, Musikalische Leitung: Torsten Knoll, Dramaturgie: Thomas Spieckermann.
Mit: Friederike Pöschel, Jana Alexia Rödiger; Jürgen Bierfreund, Wolfgang Erkwoh, Axel Julius Fündeling, Andreas Haase, Odo Jergitsch, Thomas Fritz Jung, Arlen Konietz, Torsten Knoll.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.theaterkonstanz.de

 

Kommentare  
Amerika, Konstanz: Theaterwunder
Dass eine kleines Stadttheater solch eine Bühnenbild und solch eine eigenwillige Inszenierung auf die Bühne bringt ist ein Theaterwunder. Der Pole Woron ist ein Zauberer und der Skandal besteht darin, dass ihm überregional die Beachtung verwehrt bleibt - eine Tragödie. Die Konstanzer könnten glücklich sein, den der Zirkus von Oklahoma ist dort angekommen und keiner hats gemerkt. Nur Frau Meier.
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