Alla Fine Del Mare - Anna-Sophie Mahler inszeniert in Konstanz ein politisches Musiktheater nach Fellinis Filmmotiven
Tortenschlacht in einer zerfallenden Welt
von Elisabeth Maier
Konstanz, 19. Mai 2017. Ölgemälde von Seeschlachten und brennenden Schiffen hängen an holzgetäfelten Wänden. Davor singt ein Chor Giuseppe Verdis Messa da Requiem. Die festliche Kleidung der Schiffspassagiere deutet auf eine illustre Gesellschaft hin. Eine Stewardess serviert eine riesige Schokoladentorte, dekoriert mit einem Panzer und zerstörten Hausmauern. Nichts in dieser Welt ist mehr so, wie es einmal war. Längst hat die Dekadenz ihren Höhepunkt erreicht.
Fellinis beliebte Metapher
Virtuos jongliert die Regisseurin Anna-Sophie Mahler in ihrer Uraufführung "Alla Fine Del Mare" mit Motiven aus Fellinis Kunstfilm E La Nave Va von 1983. Die Faszination des Stoffs, den der Starregisseur im Ersten Weltkrieg ansiedelt, ist ungebrochen. In Zeiten der Flüchtlingskrise entdecken Theatermacher die Filmvorlage neu – 2016 eröffnete Karin Beier mit ihrer Hamburger Inszenierung von Schiff der Träume das Theatertreffen in Berlin, Jan Gehler adaptierte das Filmszenario in Dresden für die Bühne.
Es geht um eine exzentrische Reisegesellschaft, die aufgebrochen ist, die Asche einer Operndiva im Meer zu bestatten. Dann wird die Besatzung gezwungen, serbische Flüchtlinge an Bord zu nehmen. Der Dampfer wird angeschossen und geht unter. Diese schreckliche Analogie für den Zerfall Europas ist Angelpunkt für Mahlers politisches Musiktheater, das im August zur Theaterbiennale nach Venedig eingeladen ist.
Schwindelerregend
Hier ist die Operndiva allerdings quicklebendig. Glühende Liebe und Todessehnsucht sind für die begnadete Sopranistin Yuka Yanagihara kein Widerspruch. Einen schwindelerregenden Ritt durch Gefühlswelten wagt die Sängerin. Kostümbildner Nic Tillein hat ein bezauberndes weißes Ballkleid für die starke Frau kreiert, deren musikalisches Spektrum fasziniert. Zugleich spielt sie sich die Seele aus dem Leib. Torte stopft sie in sich hinein, um die Liebe in Zeiten des Kriegs zu vergessen - bis ihre zauberhafte Stimme in den Krümeln erstickt. Fassungslos starrt sie auf den Untergang der Welt. Duri Bischoffs statischer Raum wird zum Schlachtfeld einer Gesellschaft, die vor den Herausforderungen der Gegenwart kapituliert.
Mahler konfrontiert die westliche Welt der klassischen Musik mit dem Fremden. Diese andere Kultur verkörpern bei der Regisseurin mit dem Gespür für Unaussprechliches drei Schiffsstewards. Wild gestikulierend berichtet Peter Posniak der Diva von seinem Flüchtlingsschicksal. Doch sie kann ihn nicht verstehen. Schließlich wird er vom Mob, der Kostüme des venezianischen Karnevals trägt, gelyncht.
Alptraumtheater
Klug arbeitet Mahler mit diffusen Ängsten ihrer Generation. Momente des Schreckens durchziehen ihre Arbeit wie Wetterleuchten. Kalt klingen die Worte von Johanna Link und Sylvana Schneider. Und doch stecken sie voller Poesie. Wenn die Sprechkünstlerinnen das Ertrinken in grausamen Bildern nachvollziehen, rückt der Gedanke an Flüchtlinge auf Booten im Mittelmeer ganz nah. Dass Mahler die unvereinbaren Welten bisweilen so simpel zeichnet, verwässert die ansonsten so intelligente Produktion. Plump platzierte Schlagzeilen sind unnötiger Ballast.
Solche gelegentlichen Ausrutscher lässt die musikalische Konzeption vergessen. Den immensen musikalischen Bogen von Igor Strawinskys Requiem Canticles, das 1966 an der Universität von Princeton uraufgeführt wurde, bis zu Luigi Nonos experimenteller Raum-Klang-Musik spannt Pianist Stefan Wirth brillant. Die Begleitung des vielseitigen Theatermusikers, der auch komponiert und arrangiert, bildet das dramaturgische Rückgrat von Mahlers Alptraumtheater. Chorleiter Frederic Bolli verführt die Sängerinnen und Sänger zu einem Totentanz. Mahlers Kunstgriff, Fellinis Filmmotive im Musiktheater neu zu denken, geht auf.
Alla Fine Del Mare
nach Motiven von Federico Fellinis Film "E La Nave Va" (Schiff der Träume)
Uraufführung
Regie: Anna-Sophie Mahler, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Nic Tillein, Musikalische Leitung: Stefan Wirth, Dramaturgie: Laura Ellersdorfer, Chorleiter: Frederic Bolli. Mit: Johanna Link, Sylvana Schneider, Peter Posniak, Yuka Yanagihara. Chor: Kira Adams, Franziska Bolli, Ekatarina Chekmareva, Wie-Chen Chen, Roswitha Graf, Andrea Griener-Wührer, Adriane Hilss, Julia Hinger, Nadia Johnson, Isabelle Marquardt, Philine Passin, Giorgiana Pelliccia, Anabel Roschmann, Andrea Viola Sigrist, Elfi Wagner, Regina Woelky, Wolfgang Brückner, Philip de Roulet, James Douglas, Dong-Ho Park, Hans-Jörg Probst, Elias Wahl, Julian Weisser.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause.
www.theaterkonstanz.de
"Geschickt verwendet Anne-Sophie Mahler Teile aus Giuseppe Verdis Oper 'La traviata', um eine ausgehöhlte, sinnentleerte Gesellschaft zu zeigen", schreibt Dieter Langhart im St. Galler Tageblatt (22.5.2017). "Musikalisch belegt sie auch den Wandel von einer das Leben feiernden zu einer dem Untergang geweihten Gesellschaft mit Passagen aus Verdis 'Messa da requiem' und aus dem Postlude von Igor Strawinskys 'Requiem'. Mahler zeige die westliche Gesellschaft als einen dekadenten Opernchor, der nur noch über den Gesang zu kommunizieren vermag. "Schrill die Kostüme zwischen Hollywood und Commedia dell’arte, die Masken noch schräger als am Karneval in Venedig". Als ausdrucksstark werden auch die musikalische Leitung sowie einzelne Solist*innen gelobt.
Eine "großartige Performance" der Sopranistin Yuka Yanagihara hat Elisabeth Schwind zu Anfang des Abends gesehen und schreibt im Südkurier (22.5.2017): Das Problem des Abends sei dann, dass er in einen "Traviata"-Teil und einen Flüchtlingskrisen-Teil zerfalle. Im zweiten Teil präsentiere Anna-Sophie Mahler "kluge Texte und Gedanken", "eindrücklich dargeboten von Johanna Link und Sylvana Schneider". Doch gegen Ende entwickle der Abend "deutliche Längen".
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