Die Tage der Commune - Theater Konstanz
Die Kanonen auf euch drehn
von Thomas Rothschild
Konstanz, 8. November 2019. Das Ensemble steht im Halbdunkel mit dem Rücken zum Publikum und singt, leise, verhalten, ganz und gar unkämpferisch "Le temps des cerises", die Kennmelodie der Pariser Commune. Da hört man Schüsse, eine Frau nach der anderen, ein Mann nach dem anderen fällt tot zu Boden. Die Essenz des Stücks ist vorweggenommen. In der Folge tragen die Darsteller*innen Blutspuren auf den Kostümen. Sie spielen alle mehrere Rollen – wohl nicht einer Konzeption zuliebe, sondern den Gegebenheiten am Konstanzer Theater folgend. Gezeigt werden "Die Tage der Commune", ein "Schauspiel nach Bertolt Brecht".
"Nach Bertolt Brecht"? Und das in der Regie seiner Enkelin und Nachlassverwalterin Johanna Schall? Es geschehen Zeichen und Wunder. Müssen wir jetzt mit einer "Übermalung" der "Mutter Courage" rechnen oder mit einer "Mann ist Mann"-Revue? Hat die gestrengen Rechtevertreter eine Paralyse oder gar ein Gesinnungswandel ereilt?
Selbstbefragung: "von" oder "nach"?
In einem Gespräch mit der Berliner Zeitung kurz nach dem Tod ihrer Mutter sagte Johanna Schall: "Es gibt Leute, die sind begnadet im Dekonstruieren von Stücken, Leute wie Frank Castorf oder Armin Petras, bei denen kommt dann Kunst heraus. Bei anderen eher nicht. Ich zum Beispiel kann das gar nicht. Meine Talente liegen woanders. Deshalb finde ich die allgemeine Forderung, dass alle alles dürfen müssen, weil die Kunst frei ist, schwierig." Über ihre viel gescholtene Mutter bemerkt sie: "Wenn da zum Beispiel steht, meine Mutter sei eine Verhinderin gewesen, ist das schon mal Quatsch. Brecht war jahrelang der meistgespielte Autor auf deutschsprachigen Bühnen. Da muss also auch viel erlaubt worden sein." Im Übrigen seien die Regeln von Barbara Brecht-Schall einfach gewesen: "Striche, Umstellungen, Besetzungen sind frei. Und über den Rest muss man reden."
Nun also musste sie mit sich selbst reden und für sich selbst entscheiden, inwiefern ihre "Tage der Commune" in Konstanz "von" oder "nach" Bertolt Brecht sind. Ohnedies dauert es nur noch sieben Jahre, bis Brechts Texte gemeinfrei sein werden. Danach kann jede und jeder damit umgehen, wie sie oder er will. Es ist also vielleicht nicht das Dümmste, sich rechtzeitig Gedanken über Alternativen zu machen und Markierungen zu setzen.
"Die Tage der Commune" von 1949 gehören neben Werken von Büchner, Dostojewski, Romain Rolland, Wsewolod Wischnewski, neben Brechts "Maßnahme", den "Gerechten" von Camus, den "Schmutzigen Händen" von Sartre, neben Stücken von Peter Weiß oder Heiner Müller zu der Literatur, die sich mit einem der meistdiskutierten Themen unserer Zeit, mit dem Terrorismus und der Berechtigung von revolutionärer Gewalt, beschäftigt. Umso erstaunlicher, dass sie so selten auf die Bühne kommen. Die Antworten, die Brecht bereit hält, überfordern offenbar die meisten Dramaturgen. Elfriede Jelinek sagte dieser Tage: "Wenn alle in eine Richtung rennen, müssen die Künstler als Einzige in die andre." Brecht hätte dem zugestimmt. Die Theaterleute von heute tun es eher nicht.
Versäumtes kompensieren
"Nach Brecht" also? Keine Angst. Auch "nach Brecht" ist unverkennbar "von Brecht". "Die Tage der Commune" laufen Gefahr, ins Pathetische abzusacken. Nicht wegen ihrer Machart, sondern weil ein Stoff, in dem Menschen mit hehren Idealen zu Opfern werden, per se zum Pathos neigt. Johanna Schall fängt das Pathos durch Komik ab. Sie nähert das vorwiegend frontal zum Publikum ablaufende Spiel der Groteske an und macht die Politiker, die auf Stühlen sitzend auf die Bühne gefahren werden, – Thiers, Favre, Bismarck – nachdrücklicher noch, als es bei Brecht angelegt ist, zu Karikaturen.
In der zentralen Debatte verweisen weder das Bühnenbild, noch die Kostüme auf das Parlament der Kommunarden. Die Dialoge stehen für sich da, ohne Verankerung in Zeit und Raum. Brechts Stück reißt ja mehr als oberflächlich Fragen an, die auch heute noch oder wieder erörtert werden: die Rolle der Frauen in revolutionären Bewegungen, die Ambiguität der Freiheit des Wortes und eben die Legitimation oder die bedingungslose Ablehnung von Gewalt. Auch die Rolle der Banken kommt zur Sprache wie später in Tankred Dorsts zu Unrecht fast vergessenem "Toller". Beide, "Die Tage der Commune" und "Toller", sind geeignet, kompensatorische Auskünfte zu liefern für Versäumnisse im schulischen Geschichtsunterricht.
Die Inszenierung endet, wie sie begonnen hat. Das Ensemble wendet dem Publikum den Rücken zu. Die Geschichte der Commune ist, wie die Geschichte der Münchner Räterepublik, die Geschichte einer Niederlage. Johanna Schall versucht gar nicht erst, diese Wahrheit zu verschleiern.
Kein Prosit
Indes, es gilt immer noch, was Hellmuth Karasek vor fast 50 Jahren anlässlich der westdeutschen Erstaufführung in der Regie von Hans Hollmann schrieb: "Auf den zweiten Blick jedoch macht eine solche Inszenierung zumindest fragwürdig, warum die 'Tage der Commune' ohne Widerstand einem Publikum 'wie geschmiert' runtergehen, das doch wohl, wie das Schlussbild der sich angesichts des Massakers zuprostenden, zuschauenden Versailler Bürger zeigen könnte, nicht zur Identifikation geladen ist." Bei Johanna Schall prosten sie sich nicht im Schlussbild zu. Aber auch in Konstanz gibt es Szenenapplaus für die Verse: "In Erwägung: Ihr hört auf Kanonen –/ Andre Sprache könnt ihr nicht verstehn –/ Müssen wir dann eben, ja, das wird sich lohnen!/ Die Kanonen auf euch drehn."
Geblieben ist zur Freude des Rezensenten die Musik von Hanns Eisler. Nur selten kann, was an ihre oder an die Stelle der Kompositionen von Kurt Weill oder Paul Dessau gesetzt wird, überzeugen, wenn man nicht gerade Tantiemen dafür erhält. Torsten Knoll, von Anfang bis Ende rechts vorne auf der Bühne, hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Instrumentierung zu ändern und rhythmisch, eher vorsichtig, einen schmissigen Drive hinzuzufügen. Die berühmte "Resolution" der Kommunarden wird auf Einzelstimmen und das Kollektiv verteilt, ganz im Sinne des "Keiner oder alle".
Die Tage der Commune
Schauspiel nach Bertolt Brecht. Musik von Hanns Eisler.
Regie: Johanna Schall, Bühne: Nicolaus-Johannes Heyse, Kostüme: Jenny Schall, Musikalische Leitung: Torsten Knoll, Dramaturgie: Franziska Bolli, Grit van Dyk.
Mit: Renate Winkler, Sarah Siri Lee König, Jana Alexia Rödiger, Dan Glazer, Thomas Fritz Jung, Peter Posniak, Arlen Konietz, Sebastian Haase, Ralf Beckord, Axel Julius Fündeling, Thomas Ecke, Ferah Kocausta.
Premiere am 8. November 2019
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause
www.theaterkonstanz.de
Kritikenrundschau
"Das alles hält wenig Neues bereit und bietet auch den Darstellern mangels Differenzierungen kaum Gelegenheit, ihr Können zu zeigen," schreibt Johannes Bruggaier im Konstanzer Südkurier (11.11.2019). Ärgerlich wird es aus seiner Sicht, "wenn altbackener Klamauk um billige Lacher bettelt." Nein, für die heutige Gesellschaft lasse sich hieraus wenig lernen, soder Kritiker. "Nur einmal blitzt so etwas wie eine tiefere Einsicht auf."
Johanna Schall lege eine wohltuend von Ballast befreite Textfassung zugrunde. "Austariert und frisch wirkt trotz des schwerwiegenden Themas das Ensemblespiel, das Tempo in die Schulstunde bringt und sich den einen oder anderen Scherz (mit Brecht, mit dem Publikum) erlaubt", schreibt Brigitte Elsner-Heller im St. Galler Tagblatt (12.11.2019). So sei es zumindest ein netter Einfall, die Mächtigen in fleckenlosen weissen Anzügen auf die Bühne zu schicken. "Brecht und die Ironie: Im Grunde geht das aber kaum zusammen."
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