Don Camillo & Peppone - Christoph Nix inszeniert Guareschis Geschichte in einer Kirche am Bodensee
3:2 für den Kommunismus
von Michael Laages
Überlingen, 4. Juli 2009. Was für ein lieblicher Tod. Dona Cristina, der alten Lehrerin des kleinen Dorfes in der "Bassa", der italienischen Po-Ebene, ist es quasi mit dem letzten Atemzug gelungen, den ewigen Kampf zwischen Linken und Katholiken zu befrieden; allen im Dorfe hat sie ein Leben lang Lesen, Schreiben und ein bisschen Denken beigebracht, und nun nimmt sie den beiden Oberstreithähnen, dem Pfarrer und dem Bürgermeister, das Versprechen ab, von nun an gemeinsam für das kleine Gemeinwesen zu kämpfen.
Dann stirbt sie. Jesus (ohnehin immer leibhaftig präsent in der kleinen schäbigen Kirche) nimmt sie an der Hand und führt sie hinüber. Ein frecher, schneller, rabiater und weithin ziemlich komischer Theaterabend geht mit viel ziemlich echter Emotion zu Ende. Die Krachmacher im italienischen Dorf sind natürlich "Don Camillo und Peppone"; Gerold Theobalts Theaterstück nach dem 1948 erschienen Roman von Giovanni Guareschi hat sich an deutschen Klein- und Boulevard-Theatern zu einem kleinen Hit entwickelt.
Christoph Nix, Intendant am Konstanzer Theater, hat sich das Stück für das Sommertheater ausgesucht, das sein Haus regelmäßig zum Spielzeitende im edlen Bodensee-Dorf Überlingen ausrichtet. Und wie gerade Volker Schmalöers "Sommernachtstraum" in Kassel verfügt Nix in Überlingen über einen ziemlich unschlagbaren Spielort – Shakespeare spielte ja tatsächlich im Wald der Karlsaue Kassel, die Geschichten von Don Camillo und Peppone ereignen sich (wie die legendären 50er-Jahre-Verfilmungen mit Fernandel und Gino Cervi) überwiegend in einer echten Kirche; in Überlingen dem Gotteshaus eines alten Kapuzinerklosters direkt am Bodensee.
Ein Baby namens Lenin
Gueraschis Geschichten um den kommunistischen (aber im Grunde natürlich tief gläubigen) Bürgermeister und den erzkonservativen (aber natürlich eigentlich der katholischen Soziallehre verpflichteten) Seelsorger der Gemeinde sind zuallererst ein starker Stoff. Da ist wirklich ordentlich viel Fleisch dran, es geht derb und deftig zu, handfest und lebensprall. Und es bedürfte wahrscheinlich gar nicht der dezent eingestreuten Aktualitäten wie der "Berlusconisierung". Es ist ein alter Kampf, den Camillo und Peppone ausfechten, er spielt gerade so eben nach dem Krieg, in der die Depression der Niederlage genau so stark nachwirkt wie das breitbrüstige Selbstbewusstsein der italienischen Kommunisten.
Aber nichtsdestoweniger wollen Peppone und seine Ariana das gemeinsame Baby getauft bekommen, und zwar unter anderem auf den Namen "Lenin" – Camillo setzt sich nach längerem Zögern selbst mit auf die Namensliste, um so den Führer der Weltrevolution in Schach zu halten. Camillo ist es, der Bürgermeister Peppone bei der Rechtschreibung hilft, und durch ein Fußballspiel der Jung-Kommunisten gegen die Kirchen-Kinder (Ergebnis: 3:2 für den Kommunismus) beendet er den Generalstreik, der das Dorf beinahe an den Rand des Abgrunds geführt hätte.
Jesus und die guten Geister der Weltgeschichte
Gemeinsam mit Peppone rettet er ein Romeo-und-Julia-Pärchen, das ins Wasser gehen will, wenn es nicht umgehend getraut wird – und beide, der Kleriker und der Politruk, sind so etwas wie die guten Geister der Weltgeschichte, die allen Streit überwinden, indem sie ihn austragen. So etwas wie gelebte Utopie steckt im Streiten der beiden Dickschädel. Und zum Glück sind sie ja auch zu dritt – der Mann am Kreuz ist Camillos allerbester Ratgeber, der ihn gelegentlich auch mal drängt zu seinem Glück.
Christoph Nix, der nur sehr selten als Regisseur in den Ring steigt, lässt einen leibhaftigen Christus ganz in Weiß durch den Abend streifen; wann immer Camillo mit ihm spricht schaut er hinauf zum Kreuz, während der Gesprächspartner irgendwo im Kirchenschiff sitzt. Nur einmal "erkennen" die beiden einander – um danach "das Spiel" fortzusetzen. Es ist wohl mehr als ein Spiel. Dieser Stoff lag Nix am Herzen; und er realisiert ihn mit aller verfügbaren Phantasie, mit allen zu Gebote stehen Tricks.
Schießen, kämpfen, sterben
Vor der Kirche beginnt der Abend: mit einer Partei- und Tanz-Veranstaltung, Musik und feurige Reden inbegriffen. Später findet auch das Fußballspiel draußen auf dem grünen Rasen bei der Kirche statt. Ein Kleinstwägelchen, Überbleibsel aus Guareschis 50er Jahren, rattert mit roten Fahnen und Lautsprechern rundum in die Kirche; und im Führerhäuschen lieben sich Romeo und Julia. Es wird geschossen, gekämpft und gestorben, und das alles ziemlich atemlos. Der Abend sprüht und funkelt und knallt und fetzt, so gut es geht; und mit Odo Jergitsch als Peppone und Heimo Scheurer als Camillo hat Nix ein starkes Duo. Natürlich nicht Fernandel und Cervi … aber immerhin.
Drumherum stürzt sich das Ensemble halsbrecherisch ins Spiel: Julia Philippi und Georg Melich als Liebes-, Jürgen Bierfreund und Burkhard Wein als ungleiches Väter-Paar; Diana Neumann als Peppones toughe Frau, Kristin Muthwill als uralte Lehrerin; Oliver Stein als Jesus. Ein paar Straffungen könnte die Aufführung noch immer vertragen – aber sie trägt, lässt sich tragen vom prächtigen Stoff. Bekehrt wird keiner, belehrt auch nicht (höchstens Camillo von Jesus) – und so alt die Story auch sein mag, so lebendig ist der Traum, der in ihr steckt.
(Erklärung: Das Theater Konstanz hat die Hotel-Übernachtung des Autors übernommen (88 Euro); nachtkritik.de und der Autor sind dafür keinerlei Verpflichtungen eingegangen. Auch nach der Übernahme der Hotelkosten betragen die Bahn-Reisekosten übrigens noch immer das Doppelte des nachtkritik.de-Honorars. ML)
Don Camillo und Peppone
von Gerold Theobalt nach Giovanni Guareschi
Regie: Christoph Nix, Bühne: Jochen Diederichs, Kostüme: Uschi Haug, Choreographie: Marcelo Santos, Musikalische Leitung: Fabian Dobler, Jürgen Osswald.
Mit: Heimo Scheurer, Odo Jergitsch, Kristin Muthwill, Diana Neumann, Burkhard Wein, Julia Philippi, Jürgen Bierfreund, Georg Melich, Claudia Knupfer, Theo Plakoudakis, Oliver Stein u.v.a.
www.theaterkonstanz.de
Mehr lesen? Am Theater Konstanz inszenierte Mario Portmann im Januar 2009 Das Shiwago-Projekt.
Kritikenrundschau
Alles, was leichtes Sommertheater so brauche, sei "im Überfluss vorhanden", meint Wolfgang Bager im Südkurier (6.7.) nach der "Don Camillo und Peppone"-Premiere des Theaters Konstanz in Überlingen. Christoph Nix setze "bei der Inszenierung dieses liebenswerten italienischen Chaos-Szenarios ganz auf die Kraft der Bilder. Und es sind bunte Bilder. Liebevoll gestaltete Kostüme, lustige Tanzeinlagen und viel Musik bringen Italien-Flair nach Überlingen." Etwas schwerer hätten "es da die kleinen, leiseren Szenen, das Spiel ohne Worte oder der stillere Dialog. Die sind akustisch in dem alten Kirchenschiff nicht ganz einfach umzusetzen, hätten vielleicht auch noch den letzten Feinschliff der Personenregie gebraucht." Doch seien Don Camillo und Peppone mit "den beiden Erzkomödianten" Heimo Scheurer und Otto Jergitsch "herrlich besetzt".
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