Ruiniert – Lynn Nottages pulitzerpreisgekröntes Stück über den Bürgerkrieg im Kongo in Konstanz zuerst auf Deutsch
Blutiges Handygold
von Gerhard Zahner
Konstanz, 13. April 2012. Das Stück sollte immer mit folgender Vorgabe aufgeführt werden: Anstatt die Handys auszuschalten, sollten die Zuschauer aufgefordert werden, sie laut zu stellen, so dass jede Aufführung von Klingetönen zerrissen, das kontemplative Zuhören zerstört und der Genuss ein Theater zu besuchen grundsätzlich zunichte gemacht würde.
Für die Produktion von Handys braucht man spezielle Mineralien, wie zum Beispiel Coltan.
Coltan wird aus dem Kongo bezogen, und um Zugang zu diesem Erz und seine Kontrolle tobt seit Jahrzehnten ein blutiger Bürgerkrieg. Deutsche Firmen stehen unter erhärtetem Verdacht, die Bürgerkriegsparteien zu unterstützen, nur um das Erz Coltan zu beziehen. Auch davon handelt dieser Abend.
Also: würde es im Zuschauerraum laut werden von Klingeltönen und stellte man sich vor, jeder Klingelton tötete ein Dorf, verschüttete eine Mine, machte eine Mission dem Erdboden gleich, so wäre man sehr nahe an der Wirklichkeit des Bürgerkriegs im Innern des Kongos.
Recherchen im neuen Herzen der Finsternis
Dorthin reiste die New Yorker Dramatikerin Lynn Nottage – so wird es angegeben – wie über hundert Jahre zuvor der Flussdampferkapitän Marlow in Joseph Conrads berühmtem Kongo-Roman "Herz der Finsternis", um für ihr 2009 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnetes Stück an der Nahstelle des Todes zu recherchieren. Traf dort auf eine abgelegene Bar, auf Prostituierte, die Soldaten mit Schnaps, Bier und dem schalen Traum vom Leben versorgen.
Joseph Conrads Flussdampfer ist nun in Konstanz für die deutschsprachige Erstaufführung einfach an Land gezogen und zu einer Bar umgebaut worden. Ein aktuelles Herz der Finsternis, besucht von den Bewohnern des 21. Jahrhunderts und heutiger Kriegsschauplätze, die Fanta trinken und belgische Schokolade essen.
Inmitten eines Tanzes des Todes steht Mama Nadi, die diesen Handelspuff mit Billardtisch leitet, und völlig aussichtlos darum kämpft, sich nach allen Seiten hin neutral zu verhalten: eine Art afrikanische Mutter Courage.
Hülle des Bösen
Rebellen und Gegenrebellen, Regierungssoldaten und Gegenregierungssoldaten, im Kampf um die Kontrolle des Handygoldes, überbieten sich an Grausamkeiten. Vergewaltigte Frauen, von ihren Dörfern ausgeschlossen, stranden in Mama Nadis Reich und Nottage schreibt einfach aus einer gestohlenen Welt aufs Papier ab, eine Geschichte, in der das Brutalste uns nie übertrieben erscheint, das Schrecklichste nicht unvorstellbar und in welcher der Mensch noch immer, im alten Conradschen Verständnis, nur die Hülle des Böses ist, dem nichts entgegen tritt.
Nur manchmal erblüht ein Gefühl der Solidarität und Liebe. Wenn Huren, Händler und Soldaten wie Feuersteine in dieser Todeswelt aufeinander schlagen und mit ihren Funken das Herz neuer Finsternis erhellen. Dann schreibt das Leben mit Licht ein paar Hoffnungsworte in die Seelen.
Wer am Ende des Stücks auf sein Handy blickt, wird seinen Preis besser einschätzen können. Mehr kann Theater nicht, als dem Marktpreis den wahren Preis der Dinge entgegenzuhalten.
Das Unbeschreibliche wird lesbar
Das Theater Konstanz hat nun, in der Übersetzung von Thomas Spieckermann, die Rechte an der Deutschen Erstaufführung erhalten. Die Bühne (David König) ist kargschwarz, eine Schleuse ins Weltenandere. Regisseur Oliver Vorwerk transportiert das Stück aus dem Herzen gegenwärtiger afrikanischer Finsternis in eine Subwelt großstädtischer Untergrundgewalt: die Bewohner der Bar in Trainingshosengangsterlook mit Fellmantel, Rapmusik oder schwindlige schöne Walzer aus dem Off.
Lynn Nottages Stück "Runiert" beschreibt Welten in Afrika von unbeschreiblicher Gewalt. Der Transport in die andere Kultur, die großstädtische, westeuropäische, nimmt dem Schrecken ihrer Schilderungen seine Energie, weil sie nun aus andern, uns bekannten Zeichen, Handlungen und Codes zusammengesetzt ist. Das Unbeschreibliche wird im Theater Konstanz lesbar, wie oft gesehen, weil eingebunden in unsere vorhandene Erfahrungswelt. Trainspotting mit toxischer Wirkung? Aber das ist nicht Lynn Nottages Stück.
Jana Alexia Rödiger in kurzem rotem Glitzerkleid am Mikrophon tröstet ein wenig über diesen Mangel hinweg. Singt Lieder in einer Langsamkeit, die die Welt beschreiben, in der die Gewalt so selbstverständlich wie das Zeitungslesen ist. Wo Gewalt stets die einzige Neuigkeit bleibt. Das dauernde Schreien und Fallen auf der Bühne aber stellt in seiner abernen Redundanz genau das Gegenteil solcher Grundgewalt dar. Miriam Japp spielt die Rolle der Mama Nadi entsprechend betont engagiert, expressiv, bloß eben leider nicht sehr glaubhaft. Ralf Beckord vermittelt zwar die Ahnung eines Trinkers, der in die Leere zurückspringt. Doch insgesamt sucht die Regie zu sehr den spontanen Ausbruch, anstatt dem dunklen gleichmäßigen Strom der Gewalt zu folgen, auf dem bereits Joseph Conrads Kapitän Marlow ins Herz der Finsternis gereist ist. Starker Beifall.
Wenn jedoch etwas, was zuvor existiert hat, nicht mehr existiert, sprechen wir von Verlust.
Ruiniert (DEA)
von Lynn Nottage
Deutsch von Thomas Spiekermann
Regie: Oliver Vorwerk, Ausstattung: David König, Dramaturgie: Thomas Spieckermann.
Mit: Miriam Japp, Sophie Köster, Julia Philippi, Jana Alexia Rödiger, Ralf Bekord, Ingo Biermann, Thomas Ecke, Johannes Merz, Michael J. Müller, Alexander Peutz, Yannick Zürcher.
www.theaterkonstanz.de
Kritikenrundschau
Regisseur Vorwerk versage Nottages Stück die konkrete Situierung im Kongo, schreibt Wolfgang Bager im Südkurier (16.4.2012). Aber: "Gerade weil dem Stück die fassbare geografische Realität entzogen wird, brechen die Recherchen, Interviews, Eindrücke und Erlebnisse unsortiert auf den Zuschauer herein." Das "Fehlen einer stringenten Handlung" versuche die Regie mit Musik von Hip Hop über Blues bis Walzer sowie durch "choreografische Elemente mit rhythmischer Körpersprache und Slowmotion" zu kompensieren. "Bisweilen gelingen große Bilder, aber sie funktionieren nur bedingt, denn es ist immer dieselbe Musik, derselbe Song und auch die selben Bewegungen, die das 100-Minuten-Stück quälend lang erscheinen lassen." So retten für den Rezensenten allein die Schauspieler den Abend, "die sich mit grandiosem Einsatz gegen die Unzulänglichkeiten des Stücks stemmen", allen voran Miriam Japp als Mama Nadi.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.4.2012) schreibt Martin Halter: Das Stück sei ein "klassisches well made play aus dem Herz der Finsternis, 'Mutter Courage' in Schwarz". Regisseur Vorwerk mache aus "Nottages melodramatischem Realismus" jedoch "grotesken Surrealismus": Die Frauen seien "physisch und psychisch total ruinierte Opfer", die Männer "Psychopathen". Miriam Japp spiele Mama Nadi zwar "mit breitbeinigem Stolz", aber "dass sie die entfesselte Soldateska mit einem Blick zum Schweigen bringen könnte", nehme man ihr nicht ab. Der Rebellenchef erinnere eher an einen "verirrten Prediger", die Prostituierten dürften sich "in Zeitlupe verrenken, die Wände hochklettern und mit blutverschmiertem Mund tot umfallen". Vorwerk wolle das Stück durch "starke Emotionen, exzessive Körpersprache und einen neuen Schluss universeller und unversöhnter machen", aber er kappe nur "die Wurzeln der Figuren", scheide "Nottages ambivalente Charaktere in Schwarz und Weiß" und opfere sie dem "blanken Affentheater".
In einem Überblickstext zum Afrika-Schwerpunkt am Theater Konstanz würdigt Björn Hayer in der Süddeutschen Zeitung (27.4.2012), wie "facettenreich" das Konstanzer Haus in "Ruiniert" das Thema behandele und also "das Fremde im Eigenen ergründet". In Lynn Nottages Stück, das an Brechts "Mutter Courage" angelehnt sei, "offenbart sich der gescheiterte Traum von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit". Oliver Vorwerks Inszenierung wolle "dazu keine Distanz schaffen. Im Gegenteil: Sie ist bemüht um Empathie im Angesicht des Grauens. Prostituierte und Kindersoldaten stürzen wie torkelnde Zombies über die Bühne." Der Abend biete ein "sinistres Spiel der Untoten, spukend durch einen Abgesang."
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Das ist natürlich extrem schade für den Kritiker: Da steht diesmal eine DSE an, weshalb man auch den Text aufmerksam vorab gelesen, sich vielleicht sogar noch etwas vorbereitet hat. Und dann sitzt man im Theater und plötzlich geschieht etwas ganz Gemeines:
Die Inszenierung erdreistet sich doch glatt, eine darstellerische Interpretation eines Textes anzubieten!
Verblüffend hierbei ist, dass offensichtlich nicht nur so mancher Provinzzeilenknecht von einer Arbeit, die sich keiner eingeübten Erzähltheaterstrukturen bedient, überfordert zu sein scheint. Ah, so etwas wie "Surrealismus" mag er nicht, Postdramatik kennt er womöglich nicht, der Kritiker. Verärgert klagt er so sein Bedürfnis nach (s)einem affirmativen Theatererlebnis ein und fordert die Köhler'sche Textreue: So sind dem einen der Kunstgriffe (!) zu viel bei gleichzeitigem Fehlen der Authentizität (!), dem nächsten fehlt der sichtbare "Puffkitsch", einem anderen die eindeutige Darstellung der traumatisierten Mädchen, die sich kindlich um ähnliche Dinge balgen wie die Kinderlein bei "uns". Die aber in ihrer Armut und Hoffnungslosigkeit Haltung bewahren und/oder auch mal Lachen. Ja, damit halt auch mal ein bedrückender Impuls rüberkommt in und für "unsere" Gesellschaft.
Affirmation eben, damit man – vielleicht bei einem netten Gläschen Roten aus der Region – mal für eineinhalb Stunden mit-leiden, sich mit dem Nachbarn über das Leid der armen Negerkindlein austauschen und froh sein kann, dass es "uns" GottseiDank besser geht.
Nein, dieser Abend ist keine Wolke, auf der man keinen Husten bekommt (Max Goldt) – auch wenn sich das die Kritik und so mancher Zuschauer vielleicht gewünscht hätte. Er ist vielmehr ein denk-mal, auf dem man nicht von Tauben zugeschissen wird. Er ist kompromisslos, macht keine Gefangenen. Kommt an Grenzen, an Schmerzgrenzen, und geht manchmal sogar darüber hinaus. Er fordert einen auf und: heraus. Beschmeißt einen mit Bildern, teils verstörend, manchmal auch unverständlich. Er ist riskant, will etwas, und bietet gleichzeitig etwas an – ohne dabei je eitel oder moralisch zu werden und erst recht nicht demütig.
Er wird von einem Ensemble "gestemmt" wie man da ja gerne sagt, hier passt besser: ge-punkrockt, dass es bei allem formellen und inhaltlichen Schmerz eine phänomenale Freude ist, eine Rose im manchmal so grauen Theatergarten oder besser: eine leuchtende Irokesenfrisur im grauen Parkett. Von der theatermachender Seite her scheint er sich breitbeinig hinzustellen als wollte er sagen: "Hier bin ich! Folg uns doch, wenn Du kannst! Das ist unser Angebot, anders woll(t)en wir es nicht machen!"
Ich gebe zu, ich selbst bin positiv voreingenommen. Einerseits als ehemaliger fester Mitarbeiter des Hauses, andererseits als jemand, der (auch deshalb) glaubt, mit dem Erzählstil des Regisseurs ein wenig vertraut zu sein und mit ihm etwas anfangen zu können. Allein, mir geht es gerade nicht (nur) um ein Urteil über den Abend, eine Bewertung. Sondern um die Art und Weise, wie dies geschah und geschieht.
Man kann (und soll vielleicht sogar) mit diesem Abend unzufrieden sein. Man könnte sich allerdings auch überlegen, was zeitgemäße "Theaterkritik" leisten kann und soll. Wenn also Inszenierungen "Kunstgriffe" negativ ausgelegt werden und "Authentizität" eingefordert wird etc. - all das im offensichtlichen Streben nach Interpassivität - dann empfinde ich es auch als an der Zeit, seitens der "Macher" bzw. Anbieter solcher Abende – auch einmal füreinander – in die Bresche zu springen und ein paar Anmerkungen und Forderungen zu formulieren.
P.S. @nk: der vermeintliche FAZ-Rezensent hat diese Kritik für die Badische Zeitung formuliert, ist auch online abrufbar.
Wenn Sie uns anonym verfemen wollen, dann bleiben Sie doch bitte korrekt in den zu benutzenden Termini.
Der Ausdruck 'Blockwart' wurde in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus von der Bevölkerung zumeist als Sammelbegriff für rangniedrige Funktionäre der NSDAP wie auch ihrer Nebenorganisationen benutzt. Die korrekte Dienstbezeichnung war jedoch 'Blockleiter der NSDAP'. Der 'Blockleiter' hatte seine arische Abstammung bis zum Jahre 1800 nachzuweisen und wurde auf Adolf Hitler vereidigt. Er trug zumindest bei dienstlichen Anlässen eine Uniform und war zu „vorbildlichem Verhalten“ auch im Privatleben angehalten. - Selbst wenn ich es für erstrebenswert hielte, diese Bedingungen werde ich so lange ich lebe, nicht erfüllen können. Nichtmal wenn ich versuchen wollte, "in der Haut des Feindes" zu überleben.
Und zu ihrer Information: Es gab intensive Gespräche zwischen dem Theater Konstanz und Bühnenwatch. Das Theater lud (neben vielen anderen Dingen) sogar zu einer eigenen Veranstaltung zum Thema Rassismus im Theater ein - Vortrag, Podiumsgespräch, öffentliche Diskussion - Und tatsächlich waren auch Menschen auf dem Podium und im Publikum (Sowohl aus Konstanz als auch aus Berlin.), die sich die Zeit nehmen und sich für die Idee von Bühnenwatch engagieren. Diese Veranstaltung des Theaters Konstanz fand am 21.April 2012 (Ach, die Ironie der Zeitgeschichte!) statt.
Im Übrigen finde ich es übel und ungezogen, wie sie versuchen mit wenigen läppischen Zeilen, die intensive - inzwischen mehrere Jahre währende - künstlerische Arbeit und Positionierung der Menschen vom Theater Konstanz und ihrer internationalen Gäste und Kollegen in Frage zu stellen. Nutzen Sie dieses Forum, das Sie hier zur Verfügung gestellt bekommen doch für etwas Substanzielles!
Nachsatz: A.H. sind tatsächlich die Initiale meines Namens. Noch so eine Ironie. Ich schreibe ihn hier nicht aus, weil ich mich vor Menschen wie Ihnen ('apache') fürchte.
Aber gut. Ich gebe zu, ich war auch bei diesem Podiumsgespräch in KN, welches "A.H." beschreibt, teilweise auch mit gemischten Gefühlen. Auch wenn Atif Hussein dort überaus sympathisch, wenn auch nicht wirklich überzeugend auftrat, so verdient der Indianer (poster #3) vielleicht noch ein paar Bemerkungen: Also ja, es war also ein b-watcher da, der tw. Kritisches von sich gab bzgl. Konstanz, tw. wohlwollend auf diverse Fragen reagierte.
Interessant(er) war, dass er bzw. sein Verein(?) ganz offensichtlich von der Diskussionsleitung wie auch dem Publikum als höhere Instanz in Sachen Beurteilung der Gemengelage angesehen/akzeptiert wurde - ohne selbst jedoch so aufgetreten zu sein. Ganz im Gegensatz wie das m.E. v.a. hier bei nk einige seiner Mitstreiter tun.
In diesem Zusammenhang mag der "Blockwart"-Anspruch wohl etwas arg daherkommen. Seine Verwendung KÖNNTE aber auch mal gegen den üblichen (Zurück)Beiß-Reflex Anlass geben, über den eigenen Auftritt nachzudenken: Anlässe suchend und nutzend, um die eigene (gute) Gesinnung auszustellen, eine solchermaßen fehlende oder fehl geleitete bei anderen anzuprangern und auf einen Zettel zu setzen und diese entsprechend anzuschwärzen (darf man das überhaupt noch sagen/schreiben...denken?), "das aggressive Bedürfnis nach heiler Welt und gutem Gewissen" (W. Droste) auszuformulieren und einzufordern.
Aller zu kritisierenden Praxis - gesellschaftlich und/oder an Theater - zum Trotz fällt mir da noch ein Droste-Zitat ein in Sachen "Gutmenschentum" (womit ich diesbezüglich auch dem Kollegen Samuel Schwarz widersprechen möchte, aus seiner post in einem anderen thread - aber hier vermengt sich ja eh alles):
"(Gutmenschen-)Engagement...das sich stets daraus speist, dass das Bewusstsein des eigenen Gutseins nur herstellbar ist aus der Halluzination des Bösen. Hat man das erst konstatiert, ist kein Grund mehr zu gering und zu lächerlich."