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Der Schauspieler als Regenmacher

von Gerhard Zahner

Konstanz, 16. Juni 2011. Es sind diese Nebensätze im Vorbeigehen, nach der Premiere, draußen auf dem Holzsteg, auf dem Weg zum Glasfoyer der Spiegelhalle. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Malawi liegt bei 30 Jahren. Die Armut in diesem Binnenland im Südosten Afrikas ist unbeschreiblich.

Sicher ist es ein Erfolg, ja es ist vielleicht sogar unbeschreiblich, dass ein Theater in Deutschland eine Kooperation mit einer Theatergruppe aus Malawi eingeht. Eine Theatergruppe aus Malawi wird eingeladen, hier in der Spiegelhalle ein Stück aufzuführen, Konstanz wird diesen Besuch mit einer Gastreise beantworten. Die Kulturstiftung des Bundes und das Goethe Institut finanzieren dieses Projekt, das letztlich eines zum Ziele hat, durch die Benennung von Kultur Begegnung und Bewegung möglich zu machen. Wenn die Epidemien von Hunger und Aids, von Zerstörung und Hoffnungslosigkeit Gegenwart unmöglich machen, ist es vielleicht die Möglichkeit von Theater, Gegenwart dadurch zu reanimieren, dass man die Vergangenheit aufführt.

Aus einem der unsichtbarsten Länder der Welt

Die Konstanzer Koproduktion mit der malawischen Nanzikambe Arts Developement Organisation spielt nicht nur ein Stück an diesem Abend. Gezeigt wird auch eine Möglichkeit, zu überleben, indem man sich erinnert.

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© Ilja Mess

Das Stück erzählt von einem Regenmacher, als Symbol des Lebens, und dieses Wunder des Lebens wird einzig in der Inszenierung auf eine einfache und so ehrliche Art beschworen. Die Aufführung ist selbst ein Tanz ums Leben, dieses Spiel, naiv, manchmal suchend und mit der Energie ausgerüstet, vielleicht am Himmel diese Regenwolken zu sehen, die einen Neuanfang ermöglichen.

"The Messenger" erzählt von der Möglichkeit beachtet zu sein. Es erzählt von dem Wunder, Zuschauer zu haben, Augen, die sich auf eine Geschichte aus Malawi fixieren. Malawi ist eines der unsichtbaren Ländern dieser Welt, allein die Vorstellung, auf dieses Land durch eine Theateraufführung zu blicken wie durch ein Fernglas, das das Ferne so nah heran holt, ist eine Provokation, weil Wegschauen ansonsten die Regel ist.

Das Gegenteil von kalter Information

"The Messenger" erzählt im Wesentlichen den Kult, den Mythos von M'bona, einer sagenumwobenen Figur der malawischen Kultur. In einfachen Bildern, voller Liebe für das Publikum, wird sein Leben nacherzählt. Die Frage solcher Abende ist, wieweit Theater die Verantwortung tragen kann, Gegenwart zu inszenieren, die immer mehr ins Dunkel rutscht. Ein Wiki-Mausklick informiert so trocken über dieses Land, dessen Entwicklung als rückläufig beschrieben wird, was ein Euphemismus für Depression und Sterben ist.

Schauspieler, die sich dem Wegschauen entgegenstemmen, sind das Gegenteil dieser kalten Information. Die Schauspieler werden selbst zu Regenmachern und beschwören eine Bewegung, die ein Wunder braucht.

Schutzwall gegen das Vergessen

Ja, es ist in ihrem Spiel etwas von Atemholen. Ästhetik und schauspielerische Fragen der Inszenierung sind plötzlich so eine Nebensache bei der Macht und der Chance, die ein solches Projekt besitzt. Diese Theatergruppe errichtet in einer erodierenden Kultur sozusagen den Schutzwall gegen das Vergessen. Wie eine rituelle Messe ist das Spiel selbst aufgebaut. Eine Vorsängerin erzählt die Geschichte und die Spielenden und das Publikum empfinden diese Szenen gleichermaßen nach.

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Die Reise eines Auserwählten wird erzählt: Wie Christus in unbefleckter Empfängnis gezeugt, dann, in weiterer Parallele zum Christentum, von Wundern begleitet, wird er zur allmächtigen Leitfigur, die sich am Ende selbst opfert, um eine Stätte des Friedens zu stiften. Wie Steinbecks fremder Gott wird seine Todesstätte ein Kultplatz des Neuanfangs. Aus seinem Blut werden Flüsse geboren, aus seinen Träumen friedliche Wälder. Eine Stimmung wird beschrieben, in der die Hoffnung noch einen Platz hat.

Man muss weder kritisieren noch loben, es ist einfach erhaben sich vorzustellen, dieses Stück wird gespielt, und die, die ohne Antworten sind, erfahren von der Größe ihrer eigenen Kultur.

 

The Messenger
von Misheck Mzumara und Aron Ngalonde
(in englischer Sprache, frei nach "The Rainmaker")
Inszenierung: Thoko Kapiri. Mit: Thoko Kapiri, Misheck Mzumara, Mphundu Mjumira, Flora Suyu, Otooli Masanza, Jafali Musa, Effie Makepeace.

www.theaterkonstanz.de


Mehr Afrika in Konstanz? Im April 2011 inszenierte Clemens Bechtel mit Hilfe des Wanderlustfonds der Kultrurstiftung des Bundes Nkhata Bay.

 

Kritikenrundschau

Im Konstanzer Südkurier (20.6.2011) schreibt Maria Schorpp: "The Messenger“ habe "nahezu kathartische Wirkung". Das afrikanische Theater lasse unter der Regie von Thoko Kapiri an seiner "Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur auf eine Weise teilhaben, die so ganz und gar undeutsches Theater darstellt". Die Theatertruppe binde "die Legende ans Heute an", wie sie auch "europäische Klassiker in ihre afrikanische Gegenwart integriert". Die Art sei sehr direkt. Spannungsvolle Choreografien, aus Gesang und Tanz, zuweilen "fast rituell inszenierter Körpersprache" werde Rhythmus. Der Bühnenraum sei "mit drei Standbildern bestückt", eine "naiv anmutende Ausstattung", die jedoch widerspiegele, was die ganze Inszenierung zu "diesem anderen Theatererlebnis" mache: "Auf der Bühne wird nicht seziert, sondern ein großes Menschenbild zusammengespielt".


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