alt

Wüste der Selbstbespiegelung

von Gerhard Zahner

Konstanz, 9. April 2011. Afrika macht man keine Geschenke. Das gilt auch für das Theater. Aber der Ort ist schön. Der Ausstellungsraum im Archäologischen Landesmuseum Konstanz dient als Bühne: eine hohe Glasfront und metallischer Fensterrahmen, dahinter liegen auf grauem Beton Schiffe aus dem Mittelalter, im Bodenseegrund aufgefunden. Und die Geschichte der Ausstellung erzählt, wie die Eichenschiffe, um Fracht zu tragen, immer bauchiger wurden, wie die Bootskunst wuchs am Marktbedarf, wie Efeu entlang einer Mauer, immer höher und dichter, und das Holz biegsamer werden musste.

Kein Schiff wird fahren

Das wäre eine schöne Geschichte gewesen, sie Afrika zu schenken. Denn das Theater ist ja selbst ein Schiff, eigentlich eines, das Wasserfälle aufwärts schwimmen kann, und das auch Konstanz mit Malawi verbindet, wenn man das sucht.

Aber so ein Schiff bestiegen wir nicht. Der Applaus war lang, man saß, so 50 Menschen, auf Stühlen, in den unteren Ausstellungshallen, wie an einen Bootsrumpf aus Holz, Glas und Beton gelehnt, und das Theater Konstanz stellte das Stück vor, mit dem es Afrika beschenken will.

Wenn Konstanz mit Malawi eine besondere Kooperation eingeht – ein in Konstanz erfundenes und geprobtes Stück wird in Malawi, Zomba, Blantyre und Lilongwe aufgeführt, und umgekehrt geht von dort ein Stück auf die Reise an den Bodensee –, dann wäre das, ja das wäre, das wäre ...

Mit dem Schlüssel in der Wüste

Also hätte ich in den 70er Jahren ein Auto besessen, und würde ich jetzt den Autoschlüssel von damals finden, wieder finden, und versuchte ich damit, heute, meinen Audi zu starten, es käme manchem komisch vor. In den 70ern hat es wohl angefangen, man benutzte Reisen, um tatsächlich nichts mehr zu sehen, als nur sich selbst. Mit diesem Schlüssel reiste man, die amerikanische Literatur zuerst, in die Wüsten und sah das eigene Bild aus Egozentrik und Selbstmitleid an Horizonten schimmern.

Der Blick reiste weiter, und wo er hinsah, an den Küsten Afrikas oder Südamerikas, verwandelte er alles in die selben Wüsten des Selbstmitleids, und in Handfesseln diente die Kulisse fremder Länder zur Selbstbestaunung. Niemand brachte ehrliche Geschenke mit in diese Länder, sondern erzählte nur von sich. In der kolonialen Tradition benutzte man das andere, um sich selbst, wenn nicht zu erhöhen, dann eben in der umgekehrten Richtung zu verunsichern oder zu erniedrigen. Kurz: Immer war man selbst wichtiger als die Länder, die man bereiste.

Als genügte das Staunen

Und dieses Stück spielt Konstanz, ohne es zu merken. Clemens Bechtel hat es mit vier Schauspielern, einer Gitarre und viel Getrommel einstudiert. Von den Ängsten – oh ich hasse sie – wird erzählt, von den Gedanken beim Ankommen in Afrika, und beim Abreisen. Und das Stück, das man spielt, das Spiel im Spiel, "Parzival", da durchzuckt es die Nerven der Neugier, das wäre eine Idee, aber man spielt es dann so reduziert pädagogisch, als müsse man Kindern vorspielen, die die Welt nicht kennen und schon gar nicht Parzival, und schon gar nicht Theater. Es wird klein, zur Sendung mit der Maus gemacht, so lichtjahrefern von Dorstgedanken und Bildern, so mundgerecht von oben herab erzählt, als säßen Menschen da unten in Malawi, die staunen und dieses Staunen genügt.

nachtkritik.de hat alles zum Theater. Damit das so bleibt, klicken Sie hier!

Jemand singt "Mad World", oder so ähnlich, und jemand spielt Parzival ganz in Telekollegbildern aufgelöst, und einer hat die Pariser vergessen, und einer hat das Moskitonetz, und sie meinen das nicht einmal zynisch, sie meinen und sprechen von ihren Ängsten, und ihren Erwartungen, und wenn die Abitursklasse im nächsten Jahr über China spielt, werden sie den gleichen Text benutzen, denn sie sehen sich immer nur selbst.

Das hat viel mit der Grobheit eines Rausches zu tun, wenn sich alles nur um den Betrunkenen dreht, dem die Sinne schwinden. Es kann ein Erfolg werden, aber es ist kein Geschenk. Soweit es von uns erzählen wollte, erzählt es das nicht, soweit es von Parzival berichten wollte, von den Söhnen, die von den Müttern versteckt werden, damit der Krieg sie nicht frisst – das wäre genug für einen Abend –, so erzählt es das nicht. Es erzählt gar nichts. Es ist gespielt, geprobt und schaut von oben herab, mit den Augen von denen, die nur sich selbst sehen und nicht bemerken, wie lange sie sich bereits wiederholen.

 

Nkhata Bay – Inventing Parzival (UA)
von Clemens Bechtel
Regie: Clemens Bechtel, Ausstattung: Viktoria Salzburg, Dramaturgie: Thomas Spieckermann.
Mit: Ralf Beckord, Thomas Fritz Jung, Johannes Merz, Yannik Zürcher.

www.theaterkonstanz.de

 

Alles über Clemens Bechtel auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

 Eine Gruppe Konstanzer Theatermacher ist zur Zeit in Malawi, um einerseits für das Stück "Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe" zu recherchieren, das im Sommer 2012 Premiere haben soll. Gleichzeitig wurde im Nanzikambe Arts Center Clemens Bechtels Inszenierung "Nkhata Bay - Inventing Parzival" gezeigt. "Es ist erstaunlich, wie interessiert die Medien hier an unserer Kooperation und unserer Aufführung sind. Wir schaffen es sogar ins Fernsehen", berichten die Theatermacher auf theaterinmalawi.suedblog.de. "Im Empfangsraum von Malawi Broadcasting Service läuft der Live-Bericht einer Rede des Präsidenten. Bald auch die Berichterstattung über unsere Kooperation!" Und: "Beide großen malawischen Tageszeitungen haben 'Nkhata Bay - Inventing Parzival' sehr positiv rezensiert, jeweils ganzseitig mit Fotos. Insbesondere der Artikel der The Daily Times ist sehr reflektiert und endet mit hymnischem Lob für die Auffühung: 'As the actors take the final bow, the audience erupts into electric chants of ecstasy'." Dass es dieser Woche in Malawi die erste Demonstration gegen die Regierung seit dem Ende der Banda-Diktatur vor fast 20 Jahren gab, sei an jeder Ecke spürbar, erfährt man. "Die Geschäfte sind alle geschlossen, das öffentliche Leben kommt zum Erliegen, die Universität ist menschenleer. Gleichzeitig ist die Polizei überpräsent, kontrolliert alle Straßenecken und Zufahrten in die Städte." 

Clemens Bechtel habe für "Nkhata Bay" eine Handlung entworfen, "die bei aller unterhaltsamen Herangehensweise zum Glück auch verunsichert: Vier Schauspieler warten auf ihre Abreise nach Malawi, wo sie 'Parzival' spielen werden", schreibt Brigitte Elsner-Heller im Südkurier (11.4.2011). Die Schauspieler "wissen nicht, was sie erwartet und reagieren, indem sie Stereotype aufgreifen". Bis dahin wirke das Stück "etwas beliebig, auch wenn Ort und Schauspieler charmant wirken". Doch mit der "Geburt Parzivals in Malawi" geraten "die Scharmützel farbig und werden in Theaterblut getränkt". Das Ganze sei "so etwas wie ein 'Vorspiel auf dem Theater', dessen Gehalt sich vielleicht erst auf der Tour durch Malawi entwickelt. Derzeit ist die Szenenfolge eher eine Bestandsaufnahme der Verunsicherung, bei der vier Männer auf Reisen sind und mit ihnen ein ganzes Theater. Spannend dürfte es werden, wenn im Gegenzug die Produktion der Theatergruppe Nanzikambe aus Malawi in Konstanz zu sehen sein wird."

Kommentare  
Nkhata Bay, Konstanz: wie Malawi übers Mitleid denkt
eine schön geschriebene beschimpfung. vielleicht stimmt es sogar, und die arbeit ist einfach im anfangsstadium steckengeblieben - aber wenn es work in progres sein soll... dann, ja... man darf gespannt bleiben. an die arbeiten von gintersdorfer/classen kommt man wohl nur mit entsprechendem einsatz, einlassen und vor allem entsprechender zeit heran. ansonsten bleibt es doch wohl die studie des pantoffelkinos. jedem sei "erleide meine inspiration" ans herz gelegt - wie malawi über heimisches selbstmitleid à la Bechtel denkt, mal schauen...
Kommentar schreiben