Rüde Sitten, gierige Sinnlichkeit

15. Oktober 2023. Der Plot ist so rabiat und gut erfunden, dass er auch nach Jahrhunderten noch zündet. Ist es die Zwangstrennung in weiblich und männlich, aus der heraus die Geschichte so kontinuierlich blutet? Jana Vetten eröffnet mit dem berühmten Shakespeare-Stück die neue Spielstätte des Landestheaters. Und wie!

Von Christian Muggenthaler

"Was ihr wollt" von William Shakespeare am Landestheater Coburg © Theater Coburg

15. Oktober 2023. Wenn man schon diese neue, runde, schmucke Interims-Spielstätte hat, die sich da in den Coburger Herbst-Abendhimmel mit seinem nächtlichen Festlicht hineinschimmert und im Inneren ein wenig nach dem prominenten Baustoff Holz riecht… Wenn man schon vom Londoner Theater-Bau des geschichtsträchtigen Globe-Theatre inspiriert worden ist… Und wenn das alles schon so nach William Shakespeare ruft und schreit…

Dann entkommt ja niemand der schlichten Notwendigkeit, den Spielbetrieb mit dem großen britischen Dramatiker zu beginnen. Am Ende von Jana Vettens dreistündiger Inszenierung von "Was ihr wollt" im schicken Rund dieses neuen Hauses ist die Erkenntnis groß: Dort, im neuen Coburger Globe, kann Theater zünden.

Elastisch wie Kaugummi

Diese temporeiche Komödie hat einen Haufen tückische Unterströmungen, die sie schnell in Untiefen jenseits der bloßen Lachlust über Liebesdinge treibt. Das macht sie so brisant. Regisseurin Jana Vetten und ihr Ensemble machen daraus ein auf mehreren Ebenen doppelbödiges Unterfangen, zeigen zackig diese Brisanz, diese dünne, unsichtbare Membran. Eine Membran, die sich spannt zwischen zugewandter Hingabe und gnadenlos drängender Überwölbung, zwischen Hoffnung auf Zweisamkeit und Angst vor Einsamkeit, zwischen den Geschlechtern und ihren doofen prosaischen Rollen in diesem klugen poetischen Balz-Spiel.

Der Coburger Shakespeare-Abend schaukelt kontinuierlich hin und her zwischen diesen Bedeutungsebenen, wird elastisch wie Kaugummi. Das geht schon deshalb so geschmeidig, weil's der brachial gut erfundene, seit Jahrhunderten unumbringbare Plot auch hergibt – und ihn die Sprache der Übersetzung durch Thomas Brasch schön süffig macht.

  Verwirrung im Stangenwald © Annemone Taake

Auf der Bühne (Ausstattung: Eugenia Leis) kreist und steht ein dichter Stangenwald. Ein Dickicht der Irrungen und Wirrungen, in dem die Leute verschwinden, durch den sie auftauchen, in dem sie lauern und sich suchen. Vorn sind ein paar Wasserbecken, Schauplatz der anfänglichen Schiffskatastrophe, in der das Zwillings-Geschwisterpaar Viola und Sebastian sich verliert: die grundsätzliche Zwangstrennung in weiblich und männlich, aus der heraus die ganze Geschichte kontinuierlich blutet.

"Du bist kein Mann, du bist keine Frau..."

Dieses Wasser kann man durchplantschen, in ihm spritzend toben oder sich auch nur schlicht die Hände waschen. Es ist ein Abklingbecken der Emotionen. Und an den Rändern sind die Alkohol-Horte und Musikinstrumenten-Lager des Narren (Nils Svenja Thomas). Diese hier sehr androgyne Figur rückt in der Inszenierung deutlich in den Mittelpunkt, weil sie mit ihrem Keyboard und den Liedern die Handlung ziemlich zentral immer wieder kommentiert, dekoriert und ihr so einen völlig neuen Raum aufmacht.

Der Komponist Öğünç Kardelen und das Ensemble haben Songs im Genre des deutschsprachigen Elektro-Pop erarbeitet, die der Handlung diese neue Dimension eröffnen, auch, weil sie sie von heute heraus spiegeln: "Du bist kein Mann, du bist keine Frau / Du bist einfach was du gerade bist“. Ach ja, und: "Was das ist, weißt du noch nicht genau / Ich pfeife drauf solange du mich küsst“. 

Rüde Sitten, gierige Sinnlichkeit  © Annemone Taake

Das Lied "L’amour" wird zum zentralen Thema des Abends, macht die Klippen weicher zwischen den Handlungsebenen rund um Geschlechtertausch und trotzige Verliebtheit; den rüden Sitten des Volks um Sir Toby und dessen Kampf um ihre gierige Sinnlickeit mit dem puritanischen Haushofmeister Malvolio; der Verwechslung von Viola und Sebastian, die sich halt so ähnlich schauen.

Solange Du micht küsst ....

Das kräftige Licht umspielt die Gefühlslagen, die Kostüme sind von in die Renaissance lappender Zeitlosigkeit, hier und da werden Teile des Personals zu Bühnenarbeitern im Blaumann: Das hier war ja schließlich lange Baustelle. So also setzen Jana Vetten und ihr Team den Rahmen für herrlich bunte Schauspielkunst, mit Tobias Bode beispielsweise als einem wirklich witzigen Malvolio, der diesem eitlen, gelben Gecken ein dickes Pfund an Traurigkeit mitgibt, so wie diese Doppelbödigkeit auch alle anderen mitschwingen lassen.

Annelie Straub etwa als Viola, die zum Jüngling mutiert und bald kaum mehr Boden unter den Füßen spürt. Auflösung und Ende dieses ganzen bodenlosen Liebes- und Intrigen-Kreisels mit all seinen Verbiss-Schäden kommt in dieser Inszenierung am Ende sehr zügig, mit Vorhang auf und Vorhang zu; zuletzt liegt da ein ganzes Knäuel Menschen, und wie das alles jetzt genau zugegangen ist im Prozess des Verknäuelns, mag keiner mehr genau wissen: "Ich pfeife drauf solange du mich küsst."

 

Was ihr wollt
von William Shakespeare
aus dem Englischen von Thomas Brasch
Regie: Jana Vetten, Bühne und Kostüme: Eugenia Leis, Musik: Öğünç Kardelen, Lichtregie: Thilo Schneider, Dramaturgie: Victor Pohl, Cosma Corona Hahne.
Mit: Florian Graf, Marina Schmitz, Annelie Straub, Hans Ehlers, Tobias Bode, Niklaus Scheibli, Ines Maria Winklhofer, Nils Liebscher, Kerstin Hänel, Nils Svenja Thomas.
Premiere am 14. Oktober 2023
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.landestheater-coburg.de

Kritikenrundschau

Im Coburger Tageblatt (16.10.2023) findet Kritiker Jochen Berger, dass Jana Vettens Regiezugriff auf Shakespeares Text "erfrischend lebendig" sei und "doch "völlig ohne Zwang zur aufgesetzten Aktualisierung" auskomme. Der Abend jongliere gekonnt mit äußeren Anspielungen auf die Shakespeare-Zeit, gerate jedoch nie altmodisch. "Mit sicherem Gespür für das passende Tempo, mit unverkennbarer Freude an Shakespeares Faible für drastisch anschauliche Sprachbilder bringt sie dieses Verwirrspiel mit der spielfreudigen, durch einige Wechsel verjüngten Schauspiel-Schar auf die Bühne im Globe. Der Abend gerät turbulent, laut, schräg, gelegentlich auch schrill – und zaubert doch immer wieder auch fast zerbrechlich zarte poetische Momente auf die Bühne", schreibt Berger. Das Publikum jedenfalls komme bei dieser zeitlos lebendigen Shakespeare-Huldigung hörbar auf seine Kosten. "Shakespeare, Coburg und sein Globe – ein Dreiklang mit ungetrübtem Premierenjubel", fasst der begeisterte Kritiker seinen Eindruck zusammen.

Ein "sinnliches Spektakel, das glatt die Wortschöpfung 'Shakespearical' verdient", hat Dieter Ungelenk von der Neuen Presse (16.10.2023) in Coburg erlebt. "Musik spielt schließlich eine tragende Rolle in dieser jungen, frischen Inszenierung: Nicht nur mit atmosphärischen Klängen untermalt der Komponist Ögünc Kardelen die Story. Im Teamwork mit dem Ensemble hat er auch eingängige Songs geschrieben für dieses turbulent-poetische Spiel um Lust und Leidenschaft, Randale und Kabale, Camouflage und Rollentausch, in dem Lover und Stalker, Trinker und Trottel sich in ein traumhaftes Chaos stürzen."

Kommentar schreiben