Helden altern nicht

24. Februar 2024. Die rasende Penthesilea, die bei Kleist ihren Partner Achilles störrisch gegen das Amazonengesetz liebte und dann zerfleischte, kommt in einer Neufassung von Nino Haratischwili auf die Bühne des Deutschen Theaters. Mit Anklängen an den russischen Imperialismus unserer Tage.

Von Elena Philipp

"Penthesilea. Ein Requiem" von Nino Haratischwili am Deutschen Theater Berlin © David Baltzer

24. Februar 2024. Raserei packt Penthesilea und Achill sonst nur auf dem Schlachtfeld. Als sie aber einander begegnen, ist es um sie geschehen: Ein Liebesrausch ergreift die Amazonen-Königin und den Held der Griechen. Enden wird er, mindestens in der bekanntesten Rezeption des Mythos bei Heinrich von Kleist, mit ihrer beider Tod.

Nino Haratischwili hat sich des kanonischen Stoffes nun angenommen, im zweiten Teil ihrer Trilogie zu antiken Heroinen, der mit "Phädra, in Flammen" bei den Ruhrfestspielen 2023 begann. Am Deutschen Theater inszeniert sie ihren neuen Theatertext selbst, in georgischer und deutscher Sprache, mit Ensemblemitgliedern aus Berlin und Tiflis.

Ist dies das Tal des Todes?

Almut Zilcher, die schon zum Einlass auf der Vorderbühne sitzt, in schwarzem Kleid zwischen weißem Stoff geborgen, hebt ihren Kopf und spricht wie aus den Tiefen der Zeit zu uns: "Ist dies das Tal des Todes, und singe ich das Lied der letzten Begegnung?" Als Erzählerin geleitet sie das Publikum wie die Figuren durch die Inszenierung. Sie ist Penthesilea, die noch einmal das Geschehene aufruft und sich erinnert – eine Version der Kriegerin, die es nie gab: eine Frau hohen Alters. Helden sterben jung. Das ist ihr Lebensziel.

Krieger und Flieger: Eka Nizharadze als Penthesilea und Manuel Harder als Achill © David Baltzer

In ihrem gebundenen Sprechen hebt Zilcher die Wucht von Nino Haratischwilis Text auf die mythische Ebene und lässt ihn zugleich verständlich werden. Eine veritable Schauspiel-Königin hat Nino Haratischwili als Amazone besetzt. Mit ihrem meist stummen Spiel als Beobachterin bringt Zilcher zudem ein heiteres, ironisches Element in die Inszenierung. Eine Wohltat, denn das Ringen der beiden übermenschlichen Giganten Penthesilea und Achill mit ihren Gefühlen und ihrer Pflicht als Anführer*innen gegnerischer Kräfte wird geräuschvoll als Ringkampf und Martial Arts-Wrestling gezeigt.

Für eine Luftnummer klinken sich Eka Nizharadze als Penthesilea und Manuel Harder als Achill an Seile, die von der Decke hängen. Spektakulär, wie sie sich in schwebendem Zustand gegenseitig mit roter Farbe beschmieren und sich dann, wie von ihnen erwartet zu Tode gekämpft und blutüberströmt, hinter zwei Scheiben zu starren Heldengemälden drapieren (Choreographie: Wara Cajías Ponce).

Auflehung gegen das Schwarz-weiß-Korsett

Wohltuend sind da Zilchers kleine Zeichen der Distanzierung – ein Lächeln, ein langer Blick genügen ihr, um eine Unterbrechung zu setzen in dieser qua Vorlage duellförmigen Dramaturgie. Trotz ihres langen schwarzen Kleides mutet ihre Königin wie ein Farbtupfer an im strengen Schwarz-Weiß-Rot der Ausstattung (Bühnenbild: Julia B. Nowikowa, Kostüme: Gunna Meyer).

Auch Manuel Harder verspürt den Drang, sich gegen diesen starren Rahmen aufzulehnen. Lässig gibt er seinen Helden. Achill schlendert machtvoll und siegesgewohnt auf die Bühne, etwas abgerissen mit seinem ausgewaschenen Unterhemd und den offen schlappenden Stiefeln. Ihm kann man nichts vormachen, erzählt Harders Körpersprache, akkurates Auftreten hat er längst nicht mehr nötig. Direkt geht er auch auf Penthesilea zu, zärtlich berührt er sie am Arm. Eka Nizharadze zuckt zurück, bleibt aufrecht und steif, brüllt ihn an, obwohl sie da schon eine Nacht miteinander verbracht haben.

Ihr wütendes Zögern ist verständlich. Achill hatte viele Frauen, zuletzt die Kriegsbeute Briseis, die er nach griechischem Brauch als Braut und Sklavin entführt hat, wie Penthesilea ihm zu Recht vorwirft. Nach ihrem Ehrenkodex ist die Beziehung zu einem Mann nicht denkbar. Zwar brauchen die Amazonen Männer, um Töchter zu zeugen – die Söhne werden ertränkt –, aber nach dem Beischlaf werden die Geschlechtspartner ermordet. "Der Mann ist das größte Übel der Welt", erinnert Penthesileas Waffenträgerin Alcibie (Anano Makharadze) ihre Herrin denn auch an den gemeinsamen Schwur. Da hat die Königin ihre Kriegerinnen schon verraten.

Sterben vor Troja wegen eines Weibs

Zweimal verschieben die Liebenden ihren Zweikampf, der im Krieg zwischen den Griechen und Troja, für das die Amazonen hier antreten, die Entscheidung bringen soll. Am ersten Tag kann Penthesilea Alcibie noch überzeugen, dass sie dem geliebten Gegner wegen Achills Trauer um seinen Freund Patroklos großmütig einen Aufschub gewährt. Am zweiten Tag lässt sich Achills Adjudant Thersites (Jens Koch) nicht mehr von einem vermeintlichen Schlangenbiss ablenken – mit blutigem Mund steht Manuel Harder vor ihm, er hat seine Gespielin gebissen, auf dass sie nicht als seine Gegnerin antreten muss.

Thersites als Nebenfigur bekommt hier, wie so oft in den derzeitigen Überschreibungen kanonischer Stoffe, eine Stimme. Fest und lautstark bringt Jens Koch die Ungerechtigkeiten zur Sprache, die in jedem Epos und Drama offen zutage liegen: "Seit neun Jahren bin ich hier. Alles, was mir lieb und teuer war, liegt begraben unter dieser trocknen, rissigen Erde." Jetzt muss endlich ein Ende her, egal wie es ausfällt: "Seit neun endlosen Jahren sterben auf dieser verdammten Erde Männer – wegen eines Weibs. Und wegen eines andern wollt Ihr sie nun ein zweites Mal verdammen, indem ihr Tod umsonst gewesen sein soll?!"

Penthesilea Ein Requiem c Jasmin Schuller 8392Das Ensemble mit deutschen und georgischen Spieler*innen agiert auf der Bühne von Julia B. Nowikowa, in Kostümen von Gunna Meyer © Jasmin Schuller

Entziehen können sich Penthesilea und Achill nicht, sie müssen ihrer Pflicht – Manuel Harder spuckt das Wort geradezu aus – nachkommen. Helden sterben auf dem Schlachtfeld, um ewigen Ruhm zu erlangen, erinnert Thersites die Liebestollen an ihre Lebensrollen. Dafür braucht es Krieg, endlose Kriege in Serie.

Damit erzählt Nino Haratischwili in "Penthesilea" auch von einer gewaltgeprägten Gesellschaft und lässt den Angriff Russlands auf die Georgien nahe Ukraine anklingen. Ganz geht das inhaltlich nicht auf, denn Sympathie mit Putin aka Achill ist ebenso undenkbar wie eine verliebte Amazone. Wie stets setzt ein alter Stoff auch neue Zugänge auf ein Gleis, das in seine ganz eigene Richtung führt. An antikem Pathos fehlt es Nino Haratischwilis Text wie Inszenierung denn auch nicht – am Rand der Bühne singt Nestan Bagration-Davitashvili als Stimme der Amazonen zwischen Soul-Schmerz und Folklore-Feeling zu perlendem Klavier "Rette mich". Aber die Antike in ihrer Ferne zu belassen und sie zugleich nahe zu bringen, das ist Nino Haratischwilis unzweifelbarer Verdienst. 

 

Penthesilea: Ein Requiem / პენთესილეა. რეკვიემი
von Nino Haratischwili
Regie: Nino Haratischwili, Bühne: Julia B. Nowikowa, Kostüme: Gunna Meyer, Choreografie: Wara Cajías Ponce, Konzept Video: Zaza Rusadze, Licht: Marco Scherle, Dramaturgie: Bernd Isele.
Mit: Almut Zilcher, Eka Nizharadze, Manuel Harder, Anano Makharadze, Jens Koch. Live-Musik: Nestan Bagration-Davitashvili, Andreas Reihse.
Premiere am 23. Februar 2024
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Haratischwili versuche sie sich in ihrer "Penthesilea"-Bearbeitung mit einem Kammerspiel-Format, so Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (26.2.2024). Wie Almut Zilcher den Text zu Beginn des Abends erkundet, "wie sie den Schrecken mit größter Lakonie betrachtet, das hat eine zwingende Kraft". Die georgische Granaten-Schauspielerin Eka Nizharadze und Manuel Harder aus dem DT-Ensemble Penthesilea antreibe, was ihre "Killer-Anziehung mit dem angeblich auch noch irgendwo tobenden Krieg der Griechen vor Troja oder gar mit den Kriegen der Gegenwart zu tun haben könnte, bleibt rätselhaft".

"Im antiken Mythos mordet Achill die Amazonenkönigin, bei Kleist ist es umgekehrt. Haratischwili plädiert für Tod und Unentschieden", schreibt Katja Kollmann in der taz (26.2.2024). Die Gunst der Zuschauer wandere in den zwei Stunden zwischen den Figuren hin und her. Haratischwilis energiegeladener Text fordert auf, sich zu den Figuren zu verhalten. Und er schafft es, Fragen neu zu stellen, dadurch, dass er die Figuren in ihrer ganzen Ambivalenz zulässt." Am Schluss ist Almut Zilchers Über-Ich-Penthesilea wieder allein auf der Bühne und stellt fest: "Die Toten werden zu Schatten. Und wir nehmen ihre Plätze ein."

"Auf der Bühne bekommt man von der Gegenwart nichts zu spüren. Es geht um die ewiglich-menschlichen Kräfte, die den Dauerkreisel von Liebe und Hass antreiben", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (24.2.2024) und winkt ab: "Die Ausgangslage ist herbeibehauptet, und die Helden steigen schon weichgeklopft und überdrüssig in den Ring. Und auch die Leidenschaft füreinander, die aus dem Nichts zu kommen scheint und problemlos allen Hass übersteigt, um ihn dann später umso heftiger zu entfachen, ist Behauptung. Die Figuren scheinen selbst nicht zu glauben, was mit ihnen passiert, und eigentlich geht es allen Beteiligten – die Zuschauer eingeschlossen – auch auf die Nerven, dass der Ablauf mit viel Schwulst und noch mehr Gerede so verzögert wird, bevor sie sich dann doch umbringen."

Für rbb|24 (24.2.2024) berichtet Barbara Behrendt: "Es macht zwar durchaus Sinn, dass Nino Haratischwili Penthesilea als kampferprobt aber erotisch völlig unerfahren porträtiert – allerdings führt es zu den hölzernsten, ungelenksten Annäherungsversuchen, die man wohl je auf der Bühne gesehen hat, todernst zelebriert. Hinzu kommt: Das behauptete große Gefühl zwischen Achill und Penthesilea sucht man hier vergeblich." Nino Haratischwili als Regisseurin unterlaufe "vermutlich ihre Absicht als Autorin: Achills und Penthesileas Verantwortung für den Krieg wirkt auf der Bühne deutlich einleuchtender als ihre Liebe füreinander – denn die, das bleibt die zentrale Schwachstelle des Abends, ist trotz aller großer theatraler Gesten nicht zu spüren."

Ihren eigenen Text habe Haratischwili "als düstere, ausweglose Studie über Krieg, Gewalt und menschenfeindliche Strukturen inszeniert", sp Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.2.2024). Text wie Inszenierung seien "dicht gefügt und spannungsvoll aufgeladen, wenngleich nicht ohne Spurenelemente von Schwulst und Kitsch".

"Mächtige Frauen sind en vogue, zumindest im Theater", resümiert Christine Wahl im Tagesspiegel (1.3.2024) in ihrer Doppelkritik. "Aber die Frage, was genau sie heute neu erzählen wollen mit ihren Königinnen, bleiben sowohl Karabulut als auch Haratischwili schuldig." Selbst dort, wo munter das Kunstblut spritze, erinnere der Abend eher an einen züchtigen gemeinsamen Sportnachmittag im Edelgym: "porentief rein, garantiert jugendfrei und mit einem beherzten Schuss unfreiwilliger Komik". 

Kommentare  
Penthesilea, Berlin: dicht (und dichtend) gefügt
also nicht-gans
nicht ganz ohne schwu-schwulst-ulst
nicht völlig vollkommen ohne kitsch - wenn auch nur
in spuren-elementen.
spannungsvollst auffgeladen und dicht (und dichtend) gefügt
das doch genügt
bei mächtigen frauen und kunst-blut
das munter spritzt
düster und ausweglos so
so sind sünd` krieg und gewalt.
mäh-menschenfeindliches da laut einem entgegen-schallt!
dabei ist liebe die liebe (ach-ill und pen-the-silea füreinander)
kaum zu spüren (sollte die nicht die Zuschauer rühren?)
Oh diese ewig-menschlichen Kräfte (und Säfte)
der dauer-kreis und rasender kreisel von übergrosser LIEBE und
und gleich nebenbei der HASS!

herbeibehauptete ausgangslage.
schon steigen helden weich-
geklopft überdrüssig und gar unschlüssig in den theater-ring
bing!
LEIDEN-SCHAFT FÜR EI-NANDER
aus dem Nichts kommend
sie kommen benommen und übersteigen den HASS
den sie später gar hefftig entfachen
ohne zu lachen
kommt das als eine B-Hauptung und übers Haupt?
die liebenden scheinen selbst nicht zu glauben
was mit ihnen innen passiert und die LIEBE
o diese liebe geht ihnen alsdann doch auf die Nerven
und sie bringen sich dann doch noch um
nach solchem liebes-ab und Auf-Lauf als ein AUS-Lauf.
zu viel Schwulst (Liebe ist auch schwülstig!)
und dieses e n d e l o s e G e r e d e!

Sie (AZ) ist am Schluss vollendet all-ein auf der Bühne und Fest stellend:
Die Toten werden
zu Schatten
und wir nehmen ihre Plätze ein.
(Ich sage/schreibe: Wir Lebenden werden doch alsbald zu SCHATTEN
und nehmen im NICHTS Kain-Näh Sitz-Plätze ein) . . .
Penthesilea, Berlin: Almut Zilcher!
Sie ist die Königin und das Zentrum des Abends: Almut Zilcher! Als Penthesilea blickt sie auf ihren Liebesrausch und ihren tödlichen Machtkampf zurück. Für ihre Auftritte lohnt sich dieser zweistündige Kammerspiel-Abend. In der langen ersten Szene kauert sie mit gewaltigem Rock allein auf der Bühne und schildert in hohem, getragenem Ton ihr Schicksal.

Auch während des restlichen Abends bleibt Zilcher präsent und ergreift immer wieder das Wort. Doch der Rest fällt deutlich ab. Die aus Georgien stammende, in Deutschland lebende Autorin Nino Haratischwili, die mit mehreren dicken, von Jette Steckel am Thalia Theater adaptierten Romanen bekannt wurde, möchte das Liebesduell von Achill (Manuel Harder aus dem DT-Ensemble) und Eka Nizharadze (aus Tbilissi) als Duell in Fremdsprachen erzählen. Er schreit sie auf Deutsch an, sie giftet auf Georgisch zurück, während links und rechts Nestan Bagration-Davitashvili und Andreas Reihse für dräuende Live-Musik-Untermalung sorgen, Marco Scherles Lichtdesign stets sehr düster bleibt und das Publikum beschäftigt ist, die Übertitel mitzulesen. Dieses enge Konzeptkunst-Korsett hat einen entscheidenden Makel: bis auf Almut Zilcher, die als altersweise Penthesilea zurückblicken und mit einigen ironischen Anmerkungen Distanz zum Geschehen durchschimmern lassen darf, sind die anderen Figuren vor allem Thesenträger.

Die Liebesszenen von Achill und Penthesila sind arg kitschig geraten, in den Kampfszenen, die Regisseurin/Autorin Haratischwili mit Wara Cajías Ponce choreographierte, baumeln die beiden an Seilen und triefen vor Kunstblut. Zum Glück gibt es noch Almut Zilcher, die über diese schwächeren Passagen hinweghilft.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/04/13/penthesilea-ein-requiem-deutsches-theater-kritik/
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