Kurzschluss der Machtfrauen

29. Februar 2024. Mit Elfriede Jelineks Endlosmonologen, in denen sich Maria Stuart und Elisabeth I. aka Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin an die Gurgel gehen, macht Pınar Karabulut kurzen Prozess. Der Schlagabtausch der RAF-Diven wird in ihrer Inszenierung zum Sinnbild für die kriselnde, zersplitternde Linke.

Von Georg Kasch

Elfriede Jelineks "Ulrike Maria Stuart", von Pınar Karabulut am Deutschen Theater Berlin inszeniert © Eike_Walkenhorst

29. Februar 2024. Wie das heult! Als seufzten die Toten unerlöst im Limbus um das, was sie nicht mehr beeinflussen können. Dabei tönen sie nicht nur verzerrt aus dem Off, sondern bevölkern auch die Bühne. Diese wirkt, als hätte Michela Flück die barocke Kulissenbühne mit einer KI-generierten Felsenoptik zu einer riesigen Höhle gemorpht, die sich über einem Friedhof wölbt. Zombies sind’s, Untote der Geschichte, die sich um ihr Vermächtnis sorgen, sich aber statt realistischer Aufarbeitung lieber gegenseitig an die Gurgel gehen. Genauer: Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin ringen hier als Widergängerinnen von Maria Stuart und Elisabeth I. um Macht und Deutungshoheit.

Zu Pop-Pin-ups verkommene Terroristinnen

Elfriede Jelinek schrieb ihren Kurzschluss der Machtfrauen "Ulrike Maria Stuart" als Abrechnung mit linken Selbstgewissheiten und Selbstüberschätzungen. Nicolas Stemanns Uraufführung 2006 blieb durch den Skandal um sprechende Vulven (Marlene Streeruwitz klagte) und mit Wasserbomben beworfene Polit-Pappkameraden als ziemlich heitere Kabarettrevue in Erinnerung; Jossi Wieler scheiterte in München nahezu zeitgleich ernsthafter an den Endlosmonologen.

Dass Pınar Karabuluts Inszenierung jetzt am Deutschen Theater Berlin nur eine gute Stunde dauert, besitzt eine eigene Pointe. Denn sie macht kurzen Prozess, mit den zu Pop-Pin-ups verkommenen Terroristinnen, aber auch mit Jelineks ausufernden Suaden. Es bleiben nur einige der 80 eng bedruckten Seiten – der Kernkonflikt der beiden Königinnen, das Ringen um ihr Vermächtnis, dazu Sätze, die klingen wie von heute. Dass Karabulut für "Ulrike Maria Stuart" die Geisterstunde ausruft, wirkt angesichts der Verhaftung der ehemaligen RAF-Angehörigen Daniela Klette vorgestern hellsichtig, die Polizeiaktion selbst wie ein coup de téâtre.

Verweigerung von Selbstkritik

Merkwürdig unzeitgemäß erscheint es, dass überhaupt noch RAF-Mitglieder frei herumlaufen, wenn auch der dritten Generation (über die sich Ensslin und Meinhof im Stück mokieren), wie ein Gespenst der 1970er, der lebende Beweis, dass links nicht gleich gut bedeutet und Gewalt keine Lösung ist, selbst wenn man vor Wut platzen könnte und sich das bestehende "Schweinesystem" nicht einen Millimeter zu bewegen scheint. Die RAF wirkt ja heute auch deshalb so zweifelhaft und unerträglich selbstgerecht, weil das rechte Pendant NSU die Methoden so erfolgreich kopiert und angepasst hat.

UlrikMariaStuart2 DAvidBaltzerWabernder Bühnennebel um die Zombie-Königin © David Baltzer

So läuft der Schlagabtausch der Diven hier auf jede Verweigerung von Selbstkritik hinaus: "Würden wir uns selber kritisieren, fiel die ganze Gruppe auseinander in genau dem Augenblick, das muss dir doch klar sein, denn im Knast haben wir nichts als den inneren Zusammenhalt, den willst du sprengen, blöde Fotze!", hält Ensslin Meinhof vor. Dabei sind sie doch vom selben Fleisch, wie die Kostüme von Claudia Irro und Daniel Murena nahelegen: Das schillernde Messing und das glänzendhelle Lila haben denselben Grundton – Rot, die Farbe des Blutes und der Linken.

Wonne der Boshaftigkeit

In Zeiten, in denen die Linke einmal mehr zu zersplittern droht, kommt diese Botschaft mit Pınar Karabuluts Inszenierung gerade recht: Nehmt euch selbst nicht so wichtig und auch nicht eure Orthodoxie (die ja immer schnell im Dogmatismus endet), sondern steht ein für die Sache! Ob’s hilft?

Zumindest kann man sich an schönen Bildern freuen. Etwa wenn sich Maria Ulrike und Gudrun Elisabeth in Zeitlupe aufeinander zubewegen: die eine zerknirscht, sterbenspathosschwanger, aber dann doch vor allem am Nachruhm interessiert. Die andere bissig, ironisch, triumphierend – und in ihrer Konsumlust dem Kapitalismus längst auf den Leim gegangen.

Mit welcher Wonne Abak Safaei-Rad die Boshaftigkeiten ihrer Gudrun Elisabeth im Beiseite-Parlando hinterherschiebt, ist ebenso eine Freude wie der angeraute Sarkasmus von Regine Zimmermanns Leidensfrau Maria Ulrike. Schwebt die anfangs noch in ihrer gläsernen Zelle über den Dingen, muss sie sich unten nicht nur ihrer Widersacherin, sondern auch deren Zombietruppe stellen, der Katrija Lehmann, Caner Sunar und Daria von Loewenich zunehmend individuelle Züge verleihen. Am Ende erstarren sie alle zu Silhouetten vorm Vollmond, scharf konturiert, aber jeglicher Individualität beraubt.

 

Ulrike Maria Stuart
von Elfriede Jelinek
Regie: Pınar Karabulut, Bühne: Michela Flück, Kostüme: Claudia Irro, Daniel Murena
Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: Daniel Richter.
Mit: Katrija Lehmann, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad, Caner Sunar, Regine Zimmermann.
Premiere am 28. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

Kritikenrundschau

"Die Analyse des linken Terrorismus ist doch reichlich abgehangen", findet Barbara Behrendt im RBB Kultur (29.2.2024). Eine Diskussion um heutigen politischen Widerstand erweckten diese Untoten nicht. Karabulut habe 90 Prozent des STücks gestrichen, interessiere sich zwar für die beiden Hauptfiguren, nicht aber für die Nebenrollen.

"Mächtige Frauen sind en vogue, zumindest im Theater", resümiert Christine Wahl im Tagesspiegel (1.3.2024) in ihrer Doppelkritik. "Aber die Frage, was genau sie heute neu erzählen wollen mit ihren Königinnen, bleiben sowohl Karabulut als auch Haratischwili schuldig." Jelikens Postdramatik-Sound klinge leicht historisch, weshalb die Inszenierung schon recht habe, wenn sie sich primär auf ihren Schauwert verlasse: "Die Untoten der Geschichte hüpfen als schräge Zombies einher, und der Content rauscht bei alledem so durch."

Ulrich Seidler macht in der Berliner Zeitung einen fahrigen, offenbar desinteressierten Zugriff auf den Text aus, "der auf der Bühne nicht etwa aufgebrochen, geordnet und belebt wird, sondern kaum mehr denn als Sprechgeräusch zur Geltung kommt". Ein triftiger Grund, warum sich die Protagonistinnen Maria/Ulrike und Elisabeth/Gudrun überhaupt noch austauschten, sei nicht ersichtlich. "Alles ist sarkastische und selbstgerechte Pose, die hier und da Pathos und Ekstase simuliert und an verschiedene Trendsportarten erinnert, aber keine Angst und keinen Schmerz durchlässt, geschweige denn damit spielt."

Vom "Komplex von weiblicher Macht, von Widerstand, Revolte und vom Automatismus seiner Inkriminierung" sei am Deutschen Theater nicht viel übirg geblieben, schreibt Sophie Klieeisen in der Berliner Morgenpost (1.3.2024). "Die Schauspieler haben Mühe, den Text zu fassen, halten sich an den Pointen fest und degradieren sie zu Kalauern." Der Abend werfe "kein Licht darauf, warum aus Veränderungswillen tödliche Ideologie wird".

 

Kommentare  
Ulrike Maris Stuart, Berlin: Ohne Kontext
Zeithistorische Anekdötchen wie der Besuch von Jean-Paul Sartre im RAF-Knast und Parolen gegen das „Schweinesystem“ werden von der Rampe ins Publikum gesprochen, verhallen jedoch ohne Kontext und Anbindung an die Gegenwart.

Was Pinar Karabulut an dem nur noch selten gespielten Jelinek-Text interessiert, der auf die zu seiner Entstehungszeit bereits drei Jahrzehnte zurückliegende „Bleierne Zeit“ in der BRD-Geschichte blickt, oder was sie erzählen will, wird nicht klar. Sie betont zwar im Programmheft-Interview, wie spannend sie es findet, dass vier Frauen und ihre Machtkämpfe im Zentrum stehen. Doch ihr stark gekürztes Jelinek-Kondensat kommt nicht über einen Mix aus kleinen Albernheiten und dem Vorführen altlinker Revolutionsthetorik hinaus.

Die düstere Zombie-Ästhetik mit Regine Zimmermanns Eröffnungs-Monolog, die allein in einem Gefängnis-Kubus eingesperrt ist, erinnert zunächst an die Gothic-Stimmung in Ersan Mondtags Inszenierungen vor fünf Jahren. Sie weicht schnell Slapstick und Klamauk, mit dem das Trio Daria von Loewenich, Caner Sunar und Katrija Lehmann die beiden Protagonistinnen Regine Zimmermann und Abak Safaei-Rad umtänzelt. Dazwischen wirken die O-Töne der RAF-Frauen, ihr Lamentieren über das Scheitern der Revolution oder die Fragmente aus Stefan Austs „Baader Meinhof-Komplex“-Bestseller wie Fremdkörper.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/02/28/ulrike-maria-stuart-deutsches-theater-berlin-kritik/
Ulrike Maria Stuart, Berlin: Zombie-Parodie?
Na ja, man kann es auch anders sehen: als Zombie-Parodie (deshalb wohl die vielen Lacher) oder Mondtag-Stilkopie … Wenn es eine Botschaft gab in den 65 Minuten: an wen richtete es sich? An die beim Applaus aus dem Häuschen geratenen, kaugummiekauenden (nicht alle natürlich) Generation Z Publikum? … gibt es eine Statistik, wie viele Vollzahler oder Abonnenten im Parkett saßen? Und wie der „Rest“ verteilt war? … ich glaube Jelinek „funktioniert“ nur über die Sprache, siehe Angabe zur Person. Jede assoziative Bebilderung trivialisiert ihr politisches Anliegen, wenn es überhaupt interessiert, was ihr Anliegen ist. Es hat gereicht, 5 bis 10 % des Textes zu „sprechen“, um daraus „etwas zu machen“: spricht das für die Qualität der Aufführung oder des Textes? Oder ist es eh egal, da es Jelinek selber egal sein dürfte … Ulrike Maria und Gudrun Elisabeth sind tote Geister (nur), aber wer die lebenden, gruseligen Geister sehen möchte: The Zone of Interest. Leider keine Zombie-Komödie.
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