Angst - Herbert Fritsch und Sabrina Zwach machen Kabarett
Der große Ulkator
von Dirk Pilz
Berlin, 22. November 2007. Angst ist das Thema. Das Fürchten lehrt dieser Abend aber einzig jene, die dem gehobenen Nonsens nicht gewogen sind. Die mit Ulk und Blödelei nichts anzufangen wissen. Der Rest dagegen darf unbekümmert feixen. Allerdings, so richtige Freude kommt wohl nur auf, wenn man den Hauptdarsteller von früher kennt.
Der Hauptdarsteller ist Herbert Fritsch. Der Herbert Fritsch von früher versah an Frank Castorfs Volksbühne über Jahre den Slapstick- und Kraftmeier-Dienst in vorderster Front. Damals, als Frank Castorf noch in wild revolutionäres Theater machte und die Volksbühne noch das pulsierende Zentralinstitut für Anarchie war. Ja, damals! Fritsch in "Clockwork Orange", in den "Nibelungen", in "Die Sache Danton".
Der Abstand zwischen Fritsch und Fritsch
Inzwischen ist die Volksbühne nicht mehr, was sie einmal war und Herbert Fritsch bastelt an seinen verrückten, schönen "hamlet_X"-Filmen. Er hat zwischendurch Regie geführt und Kinofilme bereichert, jetzt veranstaltet er mit Sabrina Zwach das selbst inszenierte und unter dem Label "Boxen-Team" frei entwickelte "performative Konzert über den schlechtesten Berater unserer Zeit", wie sich "Angst" im Untertitel nennt. Und mit Angst hat die Inszenierung auch irgendwie zu tun. Im Zentrum steht jedoch – Herbert Fritsch. Beziehungsweise der Abstand zwischen dem Fritsch von früher und dem Fritsch von heute.
Es ist nämlich so: Am Anfang dieser spaßigen Nummernrevue tritt Fritsch mit Kopfverband und Weheklage auf, gibt vor, der 3.000 Jahre alte Pan, "Urvater der Angst", zu sein, der sich gerade ein neues Antlitz hat verpassen lassen und nun fürchtet, sein Gesicht zu zeigen. Fritsch barmt, Fritsch krallt die Hände in den Mull. Lustig. Wirklich lustig jedoch eben nur, wenn man weiß, dass unter dem Mull das Herbert-Fritsch-Gesicht steckt. Und ganz besonders lustig, wenn dann ein schnauzbärtiger Fritsch zum Vorschein kommt: "Jetzt gucken die wieder alle so."
Im Premierenpublikum gucken und prusten neben den alten Volksbühnen-Kollegen vor allem die Fritsch-Liebhaber, die nicht derart frohlocken würden, wenn sie nicht ihre Erinnerungen an den Fritsch von damals mit dem Fritsch jetzt abgleichen könnten, um so feststellen zu dürfen, dass er einerseits wie eh und je und andererseits ein verwandelter ist, indem er lauter kokette Seitenhiebe auf sich selbst einbaut, sich gleichsam zu doppeln und parodieren scheint, also immer auf die Kenntnis des Volksbühnen-Fritsch spekuliert, um effektvoll den Nicht-mehr-Volksbühnen-Fritsch als einen zeigen zu können, der um den Volksbühnen-Fritsch weiß und so weiter.
Unmissverständliches im Hasenkostüm
Obwohl, das stimmt nicht ganz. Schließlich gibt es auch Szenen, die ohne die speziellen Vorkenntnisse reichlich närrischen Charme versprühen. Wenn Fritsch und Zwach zum Beispiel ein Dreißig-Sekunden-Tanz-Stück vorführen. Oder wenn Fritsch auf das "Theater als Realitätsverwurstung" schimpft. Oder auch, wenn das Duo am Ende in Hasenkostümen steckt, Fritsch unmissverständliche Beckenbewegungen an der Bühnenwand vollführt und Zwach genervt tut: "Was soll denn das jetzt wieder?" – "Ich mache HW." – "HW, was?" – "Hasenwichsen". Zwach rastet aus, Fritsch fällt aus der Rolle. Womit wir wieder bei der guten alten Volksbühne wären.
Überhaupt das Aus-der-Rolle-Plumpsen. Fritsch erklärt, wie man einen Slapstick spielt – und spielt ihn, indem er ihn nicht spielt. Fritsch sagt, dass er das expressive Rumgespiele nicht mehr will – und spielt expressiv das Nicht-Expressiv-Spielen. Er veralbert das wichtigtuerische Gemache gewisser Regisseure (Hallo, Herr Castorf!) und das Rampensäuische bestimmter Kollegen (Huhu, Martin Wuttke!); es gibt diese schrägen Fritsch-Filme und eine Sabrina Zwach, die keine Volksbühnen-Schauspielerin (sondern vornehmlich Kuratorin, Regisseurin, Dramaturgin) ist und dankenswerterweise auch nie so tut, als wäre sie eine.
Ganzkörperzucken, Zeigefingerfuchteln
Und die Angst? Kommt vor. Mit einem angekündigten, aber nicht stattfindenden Phobien-Konzert zum Beispiel. Auf vertrackte Weise kommt sie aber vor allem darin vor, dass Fritsch, der heutige, vor Fritsch, dem alten, flüchtet – und vom früheren Fritsch immer eingeholt wird. Sein Ganzkörperzucken, das Zeigefingerfuchteln, die Krächzer und gebellten Worte, wie er die Vokale schleift und seine Gliedmaßen gummiartig herumschlenkern lässt – ein echtes Best-of-Fritsch. In einem Kabarett mit Anleihen beim Trash und einem Fritsch als dem großen Ulkator.
Auf der Bühne des ehemaligen Hansa-Theaters im tiefsten West-Berlin übrigens, das einst Pilgerstätte für die Bewunderer von Brigitte Mira, Harald Juhnke und Heinz Erhardt war und jetzt Heimstatt des erst im Mai gegründeten "Engelbrot" ist. Das Programm: Peter-Brook-Gastspiel neben den schönsten Operettenmelodien, Poker-Gala und HipHop-Party. Ein Gemischtwarenladen, der sich vor keinem Genre fürchtet. Fritsch passt gut dazu.
Angst. Ein performatives Konzert über den schlechtesten Berater unserer Zeit
Von Herbert Fritsch und Sabrina Zwach
Konzept und Idee: Sabrina Zwach, Musik: Frank Böhle, Steffen Dost, Jan Exner, Ingo Günther, Video/Film/Foto: Steffen Dost. Mit: Sabrina Zwach und Herbert Fritsch.
www.engelbrot.com
Kritikenrundschau
Lokale Kurzkritik gibt’s für Herbert Fritschens Angst-Abend. Patrick Wildermann schreibt im Tagesspiegel (24.11.2007) es werde eine "Internationale der Phobien" beschworen. Sabrina Zwach moderiert mit Hasenzähnen eine 90-minütige Zitter-Party, "die hemmungslos assoziativ und radikal selbstreflexiv die Angst des Schauspielers vor dem Verschwinden beleuchtet." Das Spiel mit der Eitelkeit und Koketterie mit dem Volksbühnen-Image werde für Frisch zum roten Faden. Das Ganze sei: "Erschreckend gut".
Derweil gibt Katja Oskamp in der Berliner Zeitung (24.11.2007) ein Protokoll des Abends. Das liest sich so: "Herbert Fritsch macht double takes vor. Dann ist er kurz traurig, weil nur zwei Leute lachen, obwohl er sich solche Mühe gegeben hat. Sabrina Zwach bedient die technischen Geräte und wartet. Des öfteren sind laute Töne vom Band zu hören. Manchmal werden kleine Filme eingespielt, die davon handeln, wie Sabrina Zwach als Patientin zu Herbert Fritsch als Gynäkologe kommt und sich beide voreinander gruseln ... Herbert Fritsch rockt so richtig ab, und Sabrina Zwach macht ihm Vorwürfe, dass er wieder expressiv geworden sei. Manche Leute stehen auf und gehen aufs Klo. Herbert Fritsch sagt, er werde so lange warten (…)."
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War ein wunderbarer Abend, die Kritik ist unverschämt!
Ach, und sehr geehrte Frau Werner, das ist doch gut, wenn es auch funktioniert, ohne je Fritsch an der Volksbühne gesehen zu haben; ich hatte den Eindruck, ein nicht geringes Maß an Witz entsteht gerade aus der beschriebenen Differenz. Wenn's nicht stimmt: auch gut.
Herzlich, D. Pilz
(mit Grüßen an m. pfaff, der bitte nachlesen möge: es steht im Text, das "Zentrum" sei Fritsch, nicht, er sei allein auf der Bühne. Aber das nur am Rande.)