Eines langen Tages Reise in die Nacht - Schloßparktheater Berlin
Desaströse Gestalten
8. Januar 2023. In Eugene O'Neills klaustrophobischem Drama ist eine Familie zu betrachten, die sich an einem Tag zwischen Morgen und und Mitternacht zugrunde richtet. Am Berliner Schloßparktheater hat Torsten Fischer das berühmte Stück jetzt starbesetzt in Szene gesetzt.
Von Iven Yorick Fenker
8. Januar 2023. Der rote Teppich ist ausgerollt. Vor den Eingangssäulen werden Fotos gemacht. Das Schlossparktheater wird heute dem klassizistischen Stil, in dem es errichtet wurde, gerecht mit seinem Drang nach Prunk und Größe. Draußen ist es schon dunkel und das Publikum ist gekommen um "Eines langen Tages Reise in die Nacht" zu sehen. Das Drama um eine sich selbst zerfleischende Künstlerfamilie brachte Eugene O'Neill, dem Literaturnobelpreisträger von 1936, im Jahr 1957 posthum noch einen vierten Pulitzerpreis ein. Im teppichgedämpften Foyer sind der Premierentrubel und die Erwartungen jetzt groß auf diesen berühmten Text und das stark besetzte Ensemble.
Auf der Guckkastenbühne steigt bald Nebel auf, vom hinteren Bühnenende her leuchtet grelles Gegenlicht. Mittig steht ein graues Samtsofa, zur Linken ist eine schräge Spiegelwand gezogen. Links vorne an der Bühnenrampe ein lederner Sessel, davor ein Tablett mit einer Whiskyflasche und Gläsern. Das Licht kommt von mehreren Spots, die an der Decke hängen und jetzt aufblenden.
Zwangsgemeinschaft Familie
Dann treten die vier Spieler:innen auf, die Stars des Abends: Judith Rosmair spielt die morphiumsüchtige Mary Cavan Tyrone, Ehegattin des zwanghaft geizigen James Tyrone, gespielt von Peter Kremer. Tyrone ist ein grobschlächtiger Schauspieler mit Herz und neuerdings großzügigem Grundbesitz sowie weiterem Kapital. Dazu kommen die beiden Söhne des Paars: James Tyron Jr. (Igor Karbus), das Ebenbild seines Vaters und Schauspieler wie er, aber weniger ambitioniert, dafür ebenso alkoholkrank und aggressiv. Und an der linken Bühnenseite verhalten, immer wieder hustend, der an Tuberkulose erkrankte Edmund Tyrone (Fabian Stromberger). Sie treten auf und lassen ihre Präsenz wirken.
Es folgt eine unbeholfene, jedoch rührende Umarmung dieser Familie, bei der doch gleich klar wird, dass die Männer Mary festhalten. Eigentlich kein schlechtes Bild, auch wenn es sehr vordergründig ist. Denn es ist diese Zwangsgemeinschaft Familie, die sich wahrhaft liebt und verachtet zugleich. Ein durchaus verbreitetes Phänomen. In Berlin-Steglitz gelingt es dem Ensemble mit seinen ausdrucksstarken schauspielerischeren Fähigkeiten zu zeigen, was für Abgründe diese Zwangsgemeinschaft in den Figuren hinterlassen hat. Diese Keimzelle der Gesellschaft macht krank und kaputt.
James senior trägt dunkle Jeans ohne besonderen Schnitt, ein offenes hellblaues Hemd, die Krawatte locker um den Nacken gelegt, darunter das weiße Feinrippunterhemd. Man kann hier tatsächlich den problematischen Begriff verwenden: Wifebeater – denn später wird er seine Frau schlagen, so wie seine Kinder. Übrigens auch ausdrucksstark und mit spielerischen Fähigkeiten, in einer guten Choreografie realistisch reproduziert. Das ist zurecht kürzlich etwas aus der Mode gekommen auf den Theaterbühnen. Jedenfalls ist der Diskurs über Gewaltdarstellungen gesamtgesellschaftlich präsenter geworden.
Auch über die Notwenigkeit des M-Wortes, obgleich es in der Übersetzung von Michael Walter steht und eine Othello-Referenz ist, lässt sich streiten. Hier jedenfalls wird noch zugelangt. Wie der Senior so die Anderen. Sie sind grobschlächtig. Leider trifft das auch auf die Kostüme zu, die wirklich eine einfallslose Schnittstelle außerhalb der Zeit markieren.
Ungebrochene Brutalität
Die Inszenierung von Torsten Fischer setzt klar auf eine naturalistische Spielweise. Dabei verlässt er sich auf das breite Repertoire seiner Spieler:innen. Judith Rosmair bestimmt den Abend und brilliert in einer Rolle, die nicht viel hergibt an Selbstbestimmung. Interessant auch, dass sie im Gegensatz zu den Anderen nicht darauf angewiesen ist, wirklich permanent zu schreien. Was die drei Männer spielen sind die Machos mit den kurzen Zündschnuren und Leberzirrhose, die sich lieber ins Gesicht brüllen als ihre Gefühle zu artikulieren. Das mag zwar realistisch sein, gerät hier jedoch deutlich aus der Proportion.
Judith Rosmair spielt feiner. Ihre Mary ist eine beeindruckende Frau, die gegen alle Widerstände am eigenen Wohl interessiert bleibt. Jedoch schafft es auch Peter Kremer immer wieder, eindringliche Momente zu erschaffen, nur sind diese eben die, in denen er nicht schreit, sondern flüstert. Das geht bis ins Mark. Igor Karbus spielt mit breiter Brust und schafft es in seinem letzten Monolog auch noch die empfindsameren Töne anzuschlagen, womit Fabian Stromberger den ganzen Abend beschäftigt ist. Sein Husten hält ihn aber auch vom Krakeelen ab.
Die Inszenierung besteht in seinen kleinteiligen Choreografien, seinen genauestens gesetzten Abläufen, die zwar in Momenten etwas starr und sturr wirken, aber es doch, vielleicht gerade dadurch, schaffen Einfühlung zu ermöglichen in diese deprimierend desaströse Gestalten vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, aus den Vereinigten Amerikanischen Staaten vor dem ersten Weltkrieg. Das ist zuweilen wirklich berührend, über die gesamten kurzweiligen zwei Stunden geht diese ungebrochene Brutalität aber ganz schön auf die Nerven.
Eines langen Tages Reise in die Nacht
von Eugene O'Neill
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michael Walter
Regie: Torsten Fischer, Bühne & Kostüm: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos, Ton & Licht: Lukas Fletcher, Tobias Storbeck.
Mit: Peter Kremer, Judith Rosmair, Igor Karbus, Fabian Stromberger.
Premiere am 7. Januar 2023
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
www.schlossparktheater.de
Kritikenrundschau
Regisseur Torsten Fischer und sein Team "versuchen O’Neill beim Wort zu nehmen und schaffen ein psychologisch realistisches Setting für die fuselbefeuerte Zimmerschlacht der Tyrones", schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (9.1.2023). Die Spieler:innen gingen "mit viel Verve an die Arbeit", neigten allerdings dazu, "Lautstärke mit Ausdruckskraft zu verwechseln", urteilt der Kritiker. Aber: "Sei’s drum, das Premierenpublikum beklatscht den Abend glaubhaft begeistert."
"Torsten Fischer inszeniert diese Familienhölle als solides Erzähltheater mit einer geschickt verknappten Textfassung. Zwei Stunden dauert die zupackend verdichtete Aufführung, die unspektakulär, aber bewegend auf eine Wunde hinweist, die kein Wortschwall, kein Medikament, keine Emotion und kein Geld heilen können: Traurig enden die Irrwege der Liebe, auf denen die vier wie unerlöste Gespenster aus der realen Welt entfliehen", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.1.2023)
"Kaputte Familie, kaputte Typen. Und dennoch ein absolut sehenswerter, sensationeller Theaterabend", schreibt Ulrike Borowczyk in der Berliner Morgenpost (10.1.2023). "Torsten Fischer hat das düstere Drama nun im Schlosspark Theater atmosphärisch dicht und intensiv mit einem grandiosen Schauspieler-Quartett inszeniert. In knappen zwei Stunden leuchtet er die Familientragödie schonungslos bis in die letzten Winkel aus."
Die Inszenierung gelinge nur "so bedingt", berichtet Kritikerin Barbara Behrendt auf rbb24 (9.1.2023), obwohl die starke Kürzung des Stücks dem Stoff gut tue. Judith Rosmair ist für Behrendt "der Star des Abends". Auch mochte die Kritikerin, dass es in diesem "realistischen Kammerspiel" auch "symbolische Bilder" gebe. Oft seien die Szenen aber "zu demonstrativ". "Am stärksten ist der Abend - wie so oft im Theater - an seinen leisesten Stellen", resümiert die Kritikerin.
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Alle vier gehen gemeinsam unter. Vier Stunden dauerte Andrea Breths gewohnt originaltreue Inszenierung mit Bühnen- und Filmstars am Wiener Burgtheater, in Berlin-Steglitz wurde der Klassiker auf die Hälfte der Zeit gekürzt, bewahrt aber den Kern der Familienschlacht-Dynamik.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/01/11/eines-langen-tages-reise-in-die-nacht-schlosspark-theater-kritik/