Schmeiß dein Ego weg! - René Pollesch sucht die Sprache der Körper
Die Raupe in der Parklücke des Nichts
von Christian Rakow
Berlin, 12. Januar 2011. Man muss sich das Erlebnis dieses Abends vorstellen, wie den Besuch bei einem Zauberer am Ende einer langen Tournee: Wenn er seinen Zylinder lüftet, wird sich ein Schmetterling darunter in eine Raupe1 zurückverwandelt haben, lautet sein Versprechen. Und er lüftet den Zylinder, doch nichts da. Und er lüftet ihn abermals. Und wieder und wieder. Bis sich nach endlosen Versuchen doch eine große, alles umströmende Verzauberung ausbreitet. Nicht weil der Schmetterling wirklich zur Raupe geworden wäre. Sondern weil wir uns in dieses endlose Hutlüften verliebt haben, in das Beharren auf dem Denkmöglichen, in das verstiegene Wagnis, Zeit und Sein zu verkehren.
Soll heißen: Es gab schon Abende von René Pollesch in Berlin, die breiter und überraschender angelegt waren als dieser. Im letzten Januar zum Beispiel, als Fabian Hinrichs in Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang so auratisch wie schwerelos den gähnend leeren Raum der Volksbühne bespielte und ganz nebenher ein raffiniertes Theoriesample aus Robert Pfallers Interpassivitätsdenken und Jean-Luc Nancys Körperphilosophie vorstellte.
Physiker des Gedankens
Aus jener Beschäftigung sind im diesjährigen Neujahrsopener an der Volksbühne "Schmeiß dein Ego weg!" allein Nancys Reflexionen (nachlesbar im Essay "Corpus") übrig geblieben. Und deren Essenz wird uns mit fast schon monotoner Beharrlichkeit einmassiert: "Die Seele ist eine Außenbeziehung des Körpers mit sich selbst." Wer das Ego entsprechend fassen möchte, muss nicht in der Innerlichkeit, in den Tiefen der Psyche und in den romantisierenden Erzählungen von ihr wühlen. Diese Auffassung von Individualität darf getrost weggeschmissen werden. Im materialistischen Spin des Subjektdenkens zählen das Hier und Jetzt diesseits der Begriffe, die physische Präsenz, die Berührungen zwischen singulären, vergänglichen Körpern.
Bert Neumann hat diesem Versinnlichungsdiskurs einen prägnanten Raum errichtet. Die vertäfelten Seitenwände des Saals sind auf der Bühne reproduziert und schließen die Spielfläche kurz hinter der Rampe ab. Die virtuelle "vierte Wand" ist ganz Raumtrenner geworden. Dahinter (per Video einsehbar) schaut eine Kaminbehaglichkeit ein bisschen aus wie in Polleschs Boulevardstücken à la L'affaire Martin, davor ist's eine Reminiszenz an Diktatorengattinnen. Durch zwei Öffnungen in der Wand hindurch wandern acht jugendliche ChoristInnen in weißer Astro-Kluft sowie die Physiker des Gedankens: Christine Groß, Martin Wuttke und Margit Carstensen.
Verweigerungsvolle Liebesgeständnisse
Und sie bringen den Zauber. Er verdankt sich weniger dem gewohnt heiteren, virtuos staunensbereiten Zergrübeln des Vierte-Wand-Illusionismus. Und er gründet auch nur zum Teil darin, dass theatergeschichtliche Volten besonders viel Spaß machen, wenn die große Margit Carstensen erstmals bei Pollesch dabei ist, die in ihrer Arbeit mit Rainer Werner Fassbinder und zuletzt mit Christoph Schlingensief selbst Theatergeschichte geschrieben hat. (Und wohl noch nie hat jemand bei Pollesch den irrlichternd eloquenten Martin Wuttke so graziös als "zappelig" gemaßregelt).
Nein, es ist vor allem ein Abend, der langsam, aber stetig eine ganz eigene, seltene Intimität entwickelt. Die angeschrägten, verweigerungsvollen, sentimental-unsentimental monologisierten Liebesgeständnisse des René Pollesch gehören zum Berührendsten in der deutschen Dramatik. Lange hat man sie nicht so eindringlich vernommen wie im letzten Drittel dieses Stückes zwischen Wuttke und Carstensen. "Warum konnten wir uns nichts mehr sagen. Ja, ich weiß, du hast es versucht. Du hast mich mit deinem Motorroller verfolgt und wolltest mich sprechen und ich hab gewendet und woanders eingeparkt in das Nichts, in den Tod, keine Ahnung", richtet sich Wuttke still, doch ruhelos an Carstensen.
Das Heraustreten aus dem alten Ego und seinen gestanzten Selbstbegriffen um Liebe und Verwirklichung führt nicht in ein diskursumwölktes Nirwana. Führte es noch nie bei Pollesch. Es führt ins Miteinander der Akteure. Margit Carstensen bleibt in aller diskreten Anmut diese Pointe vorbehalten: "Die Sprache suchen die", sind ihre letzten Worte. Es ist die Sprache unter der Sprache. Die Sprache der Körper.
1 Die Raupe aus dem Intro entstammt einem Gedicht, das Margit Carstensen (im Rückgriff auf Woody Allen) vortrug, samt anschließendem Dialog:
"Carstensen: Ein Knabe fing einen Schmetterling / und als er am Abend nach Hause ging /
da sprach er zu sich: / Wie verhalte ich mich / und helfe den anderen Menschen? / Der Schmetterling aber hatte lautlos gehandelt / sich nach und nach in eine Raupe verwandelt / mit allerletzter Kraft.
Gross: Es hat Tiefe!
Carstensen: Gefällt es Dir wirklich?
Gross: Ja. Bis auf eine Kleinigkeit. Sie verwandeln sich nämlich vom Stadium der Raupe in das Stadium des Schmetterlings. Nicht umgekehrt.
Carstensen: Bist du sicher? Bist du ganz sicher? Verdammt! So ein Mist! Immer mach ich was falsch! Scheiße!"
Schmeiß dein Ego weg! (UA)
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne und Kostüme: Bert Neumann, Licht: Frank Novak, Video: Ute Schall, Dramaturgie: Aenne Quiñones.
Mit: Margit Carstensen, Christine Groß, Martin Wuttke, Chor: Jeremias Acheampong, Tim Fabian Bartel, Sarah Gailer, Silvana Schneider, Irina Sulaver, Marlon Tarnow, Marcus Tesch und Paula Thielecke.
www.volksbuehne-berlin.de
Drei Metaphern genügten René Pollesch diesmal, berichtet Eberhard Spreng auf Deutschlandradio Kultur (12.1.2010): die vierte Wand, der Körper und die Seele sowie "drittens, ein Chor mit futuristischem Dress aus die Vorderbühne und verkündet, dass man nicht den inneren Wert eines Geldscheins (seine Kaufkraft zum Beispiel) betrachten sollte, sondern lediglich seine papierene Oberfläche. Wir haben schon verstanden: Weg mit den Vorstellungen, den Projektionen, den Träumen und Hoffnungen! Es lebe das Material" Pollesch gehe es dabei "wie seinen Geldscheinen. Wo Geld nur noch durch Geld gedeckt ist, ist Pollesch nur noch nur Pollesch gedeckt und die Erinnerung an seine größere Taten."
Ganz anders Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (14.1.2010). Er versucht, Pollesch für Ahnungslose zu erklären und muss dafür mehr als einmal kräftig Luft holen. Ein Großteil des Theatervergnügens bestehe darin, Martin Wuttke, " galant in Uniform mit üppigen, goldfransigen Epauletten, dabei zu beobachten", wie er den Grundirrtum der Holz gewordenen aus der Welt schaffen wolle. "Wenn dann eine Stunde rum und der Abend fast aus ist, stellt die von Melancholie und Lebenserfahrung verschönerte Margit Carstensen die einfache Grundfrage: 'Sprechen, wir beide, wie soll das gehen?' Seit Pollesch Theater macht, versucht er, bevor er einfach losspricht, diese Frage zu beantworten. Er sagt viel damit. Es wird ihm nicht langweilig."
Einigermaßen enttäuscht hingegen ist Christine Wahl im Tagesspiegel (14.1.2010). Erwartungsfroh ob Titel und Besetzungsliste habe sich das Publikum in der Volksbühne eingefunden. Und ja, sicher: "Wenn Martin Wuttke sich in seiner antiquierten Uniform, die vermutlich aus dem Fundus für irgendeinen 'Hauptmann von Köpenick' stammt, von Margit Carstensen wegen seiner Zappeligkeit zurechtweisen lässt, hat das Charme und Unterhaltungswert." Aber Polleschs Text habe im Vorgänger-Abend "Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!" schärfer und witziger geklungen, auch Jean-Luc Nancys Theoreme zur Materialität von Körper und Seele seien von dort bereits bestens vertraut. Immerhin: Witz habe der Abend dann doch, auch "bemühen sich die schauspielerischen Hochkaräter nach Leibeskräften, das gewaltige Präsenzversprechen adäquat einzulösen" und gebe es mit Margit Carstensens neuem Ton zum Schluss ein "großes kleines Finale".
So weit, so lustig, dieser Pollesch-übliche Spott, meint Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (14.1.2010). " Kein Wunder, dass Martin Wuttkes Doktor Duval, der Neuankömmling in dieser verdrehten Welt, wie eine Ratte im Käfig auf der Suche nach einem Ausweg im Kreis rennt: Immer an der Wand lang. Kommentar der indignierten Salon-Diva und mit Abstand coolsten Bühnen-Bewohnerin Frau Luna, gespielt von der verehrungswürdigen Margit Carstensen, die ihrer Figur kühle Grandezza und eine wunderbar mokante stiff upper lipp schenkt: 'Sie zappeln.' Womit in diesem Augenblick vermutlich nicht nur der arme Martin Wuttke, sondern im Prinzip alle Schauspieler des konventionellen Theaters gemeint sein dürften." Etwas müde und routiniert sei das dennoch alles. In einer Schlussvolte dekuvriert Laudenbach Pollesch als "ein erfreulich wertekonservativer Regisseur, bei dem in guter Hochstapler-Manier noch Dialoge aus der 'Nackten Kanone' wie tiefsinnige Debatten über das Verhältnis zwischen Objekt und Subjekt klingen."
Begeisterter ist Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.1.2010): Uralte Themen treiben Pollesch um, und zunächst sieht auch Bazinger das übliche Pollesch-Theater. eloquent und witzig. "Aber dann beginnt Margit Carstensen als Luna ihren Schlussmonolog. Per Videokamera wird ihr unbestechliches Tragödinnengesicht wie eine Erscheinung hoch oben auf die Rückwand projiziert. Und während sie zu Martin Wuttke als Jacques spricht, der nach zweihundert Jahren aus dem künstlichen Tiefschlaf geweckt wurde, ist es, als spräche jetzt das Theater persönlich: von Euphorie und Erinnerung, Verlangen und Vergeblichkeit, Leben und Tod. Und von der Sprache, die es immer wieder für veränderte Wirklichkeiten zu erfinden gilt, um nicht zwischen Floskeln und Platituden verlorenzugehen." Dank ihrer brüchig bewegten, nervös grundierten Stimme, die sich von Satzteil zu Satzteil sammelt und streut, wachse die Uraufführung über sich hinaus. Ihr Fazit: "Das alles sieht lustig aus, ohne die Verzweiflung zu kaschieren, die melancholisch und zart unter den absurden Selbstvergewisserungen durchschimmert. Das Theater ist tot, sagt René Pollesch hier, es lebe das Theater."
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habe mal vor zwei jahren eine aufführung von ihm in der volksbühne erleiden dürfen- damals natürlich hochgelobt. kann mich beim besten willen nicht mehr an den titel erinnern.
und nun durfte ich gestern diesem pseudo-intellektuellem diskurs-klamauk beiwohnen.
immerhin machte es anfangs noch halbwegs laune, wuttke und carstensen zuzuschauen- aber reicht das?
da waren meine paar philosophiestunden in der oberstufe beim ersatzlehrer (eigentlich unterrichtete er sonst ausschließlich sport) erhellender.
ganz im ernst- da gehe ich lieber ins schlossparktheater oder in die oben erwähnte komödie am kudamm. da werde ich wenigstens noch ein bischen unter niveau unterhalten.
Renè Pollesch befindet sich seit geraumer Zeit im Loop der Kritik von Theatertheorien und findet nicht mehr heraus. Waren der perfekte Tag und gesellschaftliche Verblendungszusammenhang mit Fabian Hinrichs noch eine spannende und hoch philosophische Entlarvung des Theaters als Ort der perfekten Lüge und des schönen Scheins, wird man hier den Eindruck nicht los in einer Zeitmaschine mit eingelegtem Rückwärtsgang zu sitzen. Da helfen auch die beiden wohl besten Umsetzer der Polleschtheorien die stoische Christine Groß und der immer wuselnde Martin Wuttke nicht, Margit Carstensen bringt es auf den Punkt, unsere Körper leben, und das ist härter als jede Theorie.
Die Entäußerung des Leibes von seinem Ego kommt in der hiesigen ökonomischen Situation einem Suizid gleich. Ist das Ego doch der Motor, der uns mehr oder weniger durch diese wirtschaftliche Spielhölle treibt. Auf ihn zu verzichten, ist ein Attentat auf die eigene Existenz, dass jeder Grundlage auf ernsthaften Erfolg entbehrt.
Na schön, dann erklären Sie mir bitte mal, was ich mit meiner Ponyhofphilosophie nicht verstanden habe.
@ El-friede
Sie haben mal wieder die Ironie nicht erkannt. Das Zusammenspiel von Körper und Seele, also Äußerlichkeit und inneren Werten, bildet doch erst das Ego. Wie sollte man das nun wegwerfen können, ohne sich selbst aufzugeben? Das ist eher als Metapher zu verstehen, in einer Welt die zwischen Äußerlichkeit und inneren moralischen Werten hin- und herschwankt. So verstehe ich Pollesch, mal ganz einfach versucht zu erklären.
»Den deutschen Schriftstellern würde durchgängig die Einsicht zustatten kommen, dass man zwar, wo möglich, denken soll wie ein großer Geist, hingegen die selbe Sprache reden wie jeder Andere. Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge: aber sie machen es umgekehrt.«. Ja, lieber Herr Pollesch, und Sie Herr Rakow, machen es in guter deutscher Tradition leider genau umgekehrt. Und damit kann man nicht mehr als ein gut laufendes Kunstgewerbe betreiben. Und wenn der Rezensent den Autor, ihm treu ergeben, an eitel-kalkulierter Verschwurbeltheit noch zu übertreffen versucht, fällt mir nur noch Kurt Tucholsky ein: "das ist ihre Arbeit: Banalitäten aufzupusten wie die Kinderballons. Stich mit der Nadel der Vernunft hinein, und es bleibt ein runzliges Häufchen schlechter Grammatik." Viel Erfolg weiterhin, ist garantiert, denn "das Geheimnis des Erfolges besteht genau wie bei Hegel darin, dass jeder, der keck genug ist, auch mittun kann.".
@ 123: Geht es beim Wegschmeissen des Egos nicht vielmehr um den Aspekt der Rollenhaftigkeit des öffentlichen Auftritts? Dass man nicht jede Jobtätigkeit (auch die des Schauspielers), welcher man nachgeht, mit dem eigenen Ego belegen muss? Es ist eben nicht alles gleich Selbstverwirklichung, wie es uns diverse Castingshows und personal coaches suggerieren wollen. Besser ist vielleicht, demgegenüber einfach mal zu sagen: Nein, das bin nicht ich. Aber ich kann diese Rolle spielen. Und das macht dann vielleicht auch was mit mir, wie es immer so schön laienpsychologisierend heisst.
@ Stefan: Ich würde eher sagen, dass es Pollesch um den unauflösbaren Widerspruch zwischen Körper und Geist/Seele geht, was meines Erachtens aber nicht auf die Begriffe der äusseren und inneren Werte reduziert werden kann. Vielmehr kann ich mich nur als Ich wahr-nehmen, wenn ich mich über die Sprache gleichsam ex-zentrisch als Ich oder Selbst be-zeichne. Das, was ich nicht von mir abtrennen kann, kann ich auch nicht als Ich beschreiben. Das ist das begriffslose Sein meines Körpers, welcher sich zeigt bzw. spricht. Geste oder Habitus, darüber schreibt sich der Körper selbst in das Zeichenssystem des sprachlichen Diskurses ein. Ein Nashorn kann nicht sagen, dass es ein Schmetterling sei. Es ist und bleibt ein Nashorn, und zwar qua seiner symbolischen Be-Zeichnung als Nashorn. Ein Mensch mit einer großen Nase dagegen kann sich der Be-Zeichnung seiner selbst als Nashorn entheben und sich selbst als Schmetterling (oder Raupe oder Kosmonaut oder was auch immer) be-zeichnen. Also: Margit Carstensen, bitte sprechen Sie mir von der Liebe und ich werde dran glauben, dass Sie eine berührende Tragödin und Melancholikerin sind. Auch wenn das alles nur Theater ist.
Ich arbeite gelegentlich als Schauspieler. Und dort stellt sich stets die Frage, wie die Rolle mit meinem "Ich" verknüpft ist. Aber dies bleibt eben, was mich betrifft, ein Geheimniss. Ich bin nur mir selber in diesem Zusammenhang Rechenschaft schuldig.
Wie steht es denn um die Rollenhaftigkeit Ihres öffentlichen Auftritts hier ?
Jeder, wieso jeder....glauben Sie ihren Gedanken erst, wenn Sie das Kollektiv eingemeindet haben, wenn es einen absoluten Konsens gibt ?
Nun, der Schein kann in seinem Seinswesen eben so existent sein, wie dies leidliche Sein. Sicherlich, wer den Schein lebt, spielt mit seinem Leben. Aber dies tut das Sein auch.
Davon abgesehen, der Widerspruch zwischen Schein und Sein müsste meines Erachtens tatsächlich jeden betreffen und zwar folgendermaßen:
"Mehr Scheinen als Sein" bezieht sich auf die Theatralität der Repräsentation. Hier geht es um die Aufteilung der sozialen Rollen in der Gesellschaft. Beispiel: Adel und Klerus repräsentier(t)en im Sinne einer angenommenen Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
"Mehr Sein als Scheinen(-Wollen)" bezieht sich auf die Theatralität der Individuation, wonach jedes Individuum einen unverwechselbaren Charakter besitze.
Interessanter, weil auf eine mögliche permanente individuelle UND politische Veränderung verweisend, ist der Weg zwischen diesen beiden Polen, die Imagination dessen, was nicht oder noch nicht ist. Es geht hier um Kommunikation und Konfrontation, um den Prozess der Dialogizität bzw. um das Hervorbringen alternativer Selbst- und Weltentwürfe über das Spiel im Hier und Jetzt.
(Sehr geehrte El-friede, Sie haben Recht und Ihr Kommentar ist nunmehr veröffentlicht. Der Punkt Ihres Kommentars ist allerdings schon mehrfach in Variationen vorgetragen worden. Starke Redundanzen und der Drift in Zwiegespräche sind nicht im Interesse der breiten und konkreten Diskussion dieses Pollesch-Abends. Bitte haben Sie dafür Verständnis. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow für die Redaktion
"Außenweltbeweis" oder eine "Philosophische Letztbegründung" erbracht sein sollten.
Unter "Schmeiß Dein Ego weg" hätte ich mir allerdings auch ein wenig mehr versprochen als diesen auf "Corpus" beschränkten "Nachfolger" des Hinrichs-Abends, der genau vor einem Jahr einen Thread von über 250 Kommentaren zur Folge hatte, wenn ich nicht anhand der bisherigen Kritiken und Kommentare darauf vorbereitet gewesen wäre.
Ein wenig wird der Hinrichs-Abend, "Schau mir in die Augen gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang", durchaus kontrastiert, so "zerstörte" Hinrichs die Wand noch qua Zeugentkleidung und Zeugwurf ins Publikum (ich sah diesen Abend gerade zum Vergleichszwecke mit dem gestrigen am Montag), hier steht "diese Wand" kurz hinter der Rampe, so hieß es bei Hinrichs
"Befreien wir uns von den Dingen, die wir lieben": hier nun der "Versuch", sich selbst -möglicherweise in Richtung dieser Dinge-
gleichsam hinterherzuwerfen.
Wie gesagt und von zahlreichen KritikerInnen und Kritikern beschrieben bzw. hier diskutiert: das geschieht seitens des Trios Carstensen, Groß, Wuttke mit Charme und Qualität, nicht umsonst Frau Bazingers "Das Theater ist tot, es lebe das Theater", dennoch
bleibt auch bei mir der Eindruck des "Boulevardtheaters" vorherrschend.
Das "Phänomen Pollesch" wird weiter oben befragt: Nun ja, er ist bei jeder seiner Vorstellungen sehr leibhaftig zugegen, hin und wieder als Platzanweiser fungierend ..., will sagen:
es fasziniert schon, zu sehen, wie da ein Theatermacher ist, für den immer irgendwie Premiere zu sein scheint: das reißt mit und
begeistert (auch wenn ich mir fast sicher sein kann, daß dieses "Begeistert" nicht auf Gegenliebe stoßen dürfte beim "Überzeugungstäter" Pollesch).
Inhaltlich ist vieles schon zum Hinrichsabend gesagt worden; vermutlich müßte die "männliche weiße Hete" spätestens nach diesem jetzigen Abend noch konkretisiert werden in "männliche, weiße, wohlgestalte, sehen könnende Hete", denn ua. ist es der häßliche Sokrates, obschon wohl keine Hete, der uns das eingeimpft haben soll: das mit den "inneren Werten" - um selbst halt einen "Marktwert" zu haben.
Andererseits verbleibt Pollesch selbst spürbar in der "Augengeleitetheit" der klassischen abendländischen Philosophie -wie immer bei Pollesch: philosophische Willkür und Widersprüchlichkeiten-: wäre der Tastsinn für ihn maßgeblich, according zur Bestimmung "Körper", dann wäre es Asche mit dem
augengeleiteten Geldscheinbeispiel.
Nach dem Polleschverahren könnten wir die "Geschichte" auch so befragen: "Alle reden über das "Dritte Reich", aber wo ist es denn jetzt so, rein körperlich ... ?"
Naja, und ein bis zum Hals vollends Gelähmter, der hat halt die Fresse zu halten, wenn er sonst mit seinem Körper nichts anzufangen weiß, oder wie ?, oder halt "Lippe zu riskieren" ??
Die wohlgestalte Latexjugend jedenfalls hat zu der "Befreiung der Körper, der Rückkehr der Körper in die Körper" gewiß nicht annährend soviel beizusteuern wie die teilweise stark "übergewichtigen" (und staunenswert gelenkigen) Tanztheaterdarstellerinnen im Macrastheater vom Dienstag.
Immerhin hat Pollesch mit Hinrichs und Carstensen an beiden Abenden einen Schritt dahingehend getan, sein Anliegen mit anderen Spielweisen zu konfrontieren (ein wenig erinnerte mich Frau Carstensens Auftritt hier auch an den von Edith Clever in den "Zofen", und manchmal war mir, als schimmerte zwischen Wuttke, Groß, Carstensen und der Protokollantin im weißen Kittel ein wenig Thomas Bernhard-Atmosphäre hervor): der Hinrichsabend hatte durchaus etwas gekonnt Aufschwatzendes, Diktatorisches, Entmündigendes für mich im Peto, das problematisiert wurde; der jetzige Abend wirkt dagegen eher wie die Aufforderung, seine Liebe lieber rechtzeitig gestammelt zu gestehen als wie Dr. Rank in "Nora" damit erst kurz vor dem Ableben herauszukommen (auf einen Seitenhieb zu Wilhelm Reich und der "Panzerung" verzichte ich hier
der Kürze halber).
Kurz: Ist es nicht zynisch, hier quasi den Holocaust leugnen zu wollen, nur weil die Körper der Überlebenden nach und nach nicht mehr auf dieser Welt verweilen? In diesem Sinne geht es meines Erachtens vor allem um die auf (fotografischen) Dokumenten verwahrte Geschichtlichkeit der Gesichtlichkeit des menschlichen Subjekts. Auf Gesichtern lassen sich Spuren eines individuellen und unverwechselbaren Lebens ablesen. Menschliche Gesichter eröffnen den ästhetizistischen Blick hin auf das Ethische im Sinne der Frage "Wie wollen wir eigentlich leben"?
radikalen (Geschichts-) Skeptizismus hinausliefe, nicht auf eine Geschichtsrevision in Form zB. der "Holocaustleugnung", von den beiden Abenden her, die ich sah (am Montag und Donnerstag der vergangenen Woche), sind eher Signale zu vernehmen, die sich wenig um die Schrift als Verlängerung des Geistes in die Hand auf das Dokumentarmaterial des Papiers -den Schrift-Körper also- scheren:
jedenfalls nicht in bejahender oder besonders heraushebender Weise,
so daß es zumindestens von den beiden Abenden her gedacht keinen Anlaß für mich gibt, zu vermuten, daß es wohlgar vor allem (!) um die auf Dokumenten verwahrte Geschichtlichkeit der Gesichtlichkeit des menschlichen Subjekts geht in ihnen.
Die Reclamheftchen mit der "Iphigenie" fliegen umher (bei Hinrichs): "Bin ich daraus, bin ich aus denen (diesen überlieferten
Büchern), nein, ich bin nicht aus (m)einer Mutter, ich bin aus einem Geist", so ähnlich geht die Rede, desweiteren: Religion und Politik
haben sich aus den Körpern zurückgezogen !
Wohl kaum aus dem, was Sie hier "Schriftkörper" nennen und ganz zurecht für verteidigenswert erachten (wenn ich Sie dieses Mal recht verstehe)-gehören Gesetze über die "Entsorgung" von Leichen eigentlich nicht auch zu dieser Art Schriftkörper ??-: Bücher über Religion und Politik, erst recht wenn Dokumentarmaterial dazu geliefert wird, gehen bekanntlich weg wie
warme Semmeln; Pfallers Interpassivitätstheorie ist im übrigen gerade im Umfeld des Themas "Bewahrung der Archive und Museen"
entstanden (ich hörte dazu Pfallers Ausführungen im Leipziger Symposion "Wir sind niemals aktiv gewesen" im vergangenen Jahr),
gerade gegen das "Diktat der Nutzer- und Zugriffszahlen" und für die Qualität, jederzeit ein Museum, ein Archiv besuchen bzw. befragen zu können, gegen die Suchtdynamik der (interaktiven) immer höheren Quantitäten , für Qualität -Herr Pilz deutete es in seiner Kritik zum Hinrichs-Abend in impliziter Frageform im übrigen an, daß nicht recht deutlich werde, ob Pollesch die Interpassivitätstheorie wirklich durchdrungen habe-.
Nein, aus den Pollesch-Abenden wäre "Schriftkörper" und Schrift auf dem Körper in etwa gleichzusetzen mit der Zahl auf dem Geldschein, jenem Beispiel, das den jetzigen Abend prägt.
Freilich läßt Pollesch dann Herrn Wuttke so verschroben als nur möglich "zappeln" , ein Redeschwall wird von ihm bewältigt: "Hier ist die Seele, und Du siehst sie nicht, Du Sau !"
Irgendwie tritt zu dem Körper hier also auch noch ineins die Wuttkesprache und qua "Du siehst sie nicht" eine Ahnung davon, was es hieße, einer solchen Seele adäquat zu begegnen: und so rennt Wuttke dann auch gegen die vierte Wand und gegen die Herzwand seiner Angebeteten und unterscheidet sich bei seinen verzweifelten Attacken kaum noch von den Kafkafiguren, von denen her es im Hinrichsabend noch hieß :"Kafka fand ich immer arrogant, er sucht das Wesen, dabei gibt es nur die Körper, alles ist da." (ich zitiere frei, sorry): und Wuttke ? Stanzt sich geradezu den eigenen Redefluß in immer das eigene Fleisch (wie in Kafkas "Strafkolonie": "SCHRIFTKÖRPER") !
Irgendwie liefert "Schmeiß Dein Ego weg" hier eher so eine Art Schauspiel-Veranschaulichung (Bazinger: "Das Schauspiel ist tot, es lebe das Schauspiel !") von "Ich schau Dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang": die Ebenen Religion
(Wuttke), Ethik (8 Latexwesen), Ästhetik (Carstensen) werden hier in einer Farce über das traditionelle Schauspiel exemplifiziert,
anwesend: ein Publikum, eine Therapeutin (Groß), eine Protokollantin im weißen Kittel: "Wir sind drei, ihr seid drei, erbarmt Euch unser drei."
Ja, die Videoprojektion: Gedichte und Gesichtscreme, aufsagen beziehungsweise auftragen - das ist mir
natürlich nicht entgangen, muß allerdings dann meinerseits zurück-
fragen, wo da für Sie genau der Bezug zum von uns hier anvisierten
"Schriftkörper" liegt (bei Kafkas "Strafkolonie" (ein Exkurs vom Hinrichsabend ausgehend mag zudem das Thema "Festungshaftliteratur und Ergotherapie in Altersheimen mit einschließen, denn auch von daher war "Strafkolonie" als Beispiel von mir garnicht ganz unpassend gewählt, wie ich denke) dagegen ist das ebenso explizit wie -ich denke- der Bezug zu den beiden (!) Polleschabenden, ich bezog mich auf beide (zumal im Hinrichsabend der "arrogante Kafka" thematisiert wurde, keine Ahnung, ob das eigentlich an jedem dieser Hinrichsabende von "Schau mir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang" so passiert: wie zB. bei "Hunger" in Leipzig seinerzeit verfolgt, kann es da von Token zu Token durchaus zu bemerkenswerten Unterschieden kommen), evident (ein abgewandeltes Zitat Ihnen gegenüber aus dem jetzigen Abend, das mit "Sau" endet, erspare ich mir, zumal ich von Verbalinjurien eh nichts halte)).
Wir teilen keinen (halt) Sinn ! -wie oft haben gerade Sie das im
Hinrichsthread herausgestrichen !!
Das kommt bei Pollesch nun einmal sehr grundsätzlich, sehr in einer an
Monadologie erinnernden Art und Weise rüber - schlichtweg mit wenig Aussichten für einen schriftlich fixierten Gemeinsinnskörper.
Dennoch haben uns bis heute die fundamentalen Unterschiede -siehe Walnußbeispiel und Fehlerrätsellehrstück im Hinrichsabend- eines jeden Menschen mit seinem Nächsten bis in die kleinste Zellstruktur hinein wenig in unserer an der Alltagspraxis und -Erfahrung, im alltäglichen Erleben bewährten Ähnlichkeitsannahme erschüttert (ähnliches gilt, deswegen erwähnte ich diese weiter
oben, für einen ausstehenden Außenweltsbeweis bzw. eine philosophische Letztbegründung); Pollesch gelingt es jedoch immer wieder, mit Theaterabenden von gewohnten "Denk-" Pfaden ein Stück weit wegzuführen, Philosophie ist quasi ante portas.
Bert Neumann hat Pollesch eine kleine Salonlandschaft auf die Bühne gebaut, die der Zuschauer nur durch zwei Türen erahnen kann und hin und wieder - in Ausschnitten und aus unterschiedlichen Perspektiven - per Videoprojektion. Denn über die gesamte Bühnenbreite hat Neumann eine Wand gezogen, eine Kopie der Holzvertäfelung des Saales. Es ist, das erfahren wir bald, natürlich die berühmte vierte Wand des Theaters, die eines der beiden Hauptthemen des Stückes darstellt. Jenseits netter Anekdoten (ein Regisseur habe sie erfunden, weil er die Schauspieler nicht mehr sehen wollte), tendiert der Erkenntnisgewinn jedoch gegen null. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Theater, der Rolle des Zuschauers und eben jener der "vierten Wand" findet nicht statt.
Intensiver gestaltet sich die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Hauptthema des Stücks, der Auflösung des vermeintlichen Gegensatzes von Körper und Seele, außen und innen. Ein Innen gäbe es nicht, verkündet der in eine knallblaue Fantasieuniform gewandete Wuttke wiederholt, die Seele sei der Körper. "Da drinnen ist nichts", wird zum Mantra des Abends, gebetsmühlenartig und kaum variiert wiederholt, immer und immer wieder. Das ist nicht neu, die zu Grunde liegende Theorie spielte schon im Hinrichs-Abend eine Rolle. Zunächst ist das durchaus kurzweilig und unterhaltsam - wie die gesamten ersten zehn, fünfzehn Minuten. Das liegt vor allem an Wuttke, der "herumzappelt" (wofür er zuerst von Carstensen, später von Christine Groß gerügt wird), der indigniert aufschreit oder -grunzt, sich in sein Theoriegeflecht hereinsteigert, umso stärker, als Carstensens und Groß' Figuren anfangs von kepsis gekennzeichnet sind, der das vermeintliche Innen der im Körper verborgenen Seele darstellt, indem er sich, natürlich zappelnd, inmitten des weiß gekleideten Chores stellt.
Nur, das ist leider nicht abendfüllend, doch viel mehr hat Pollesch nicht zu bieten. Und so beginnt sih der abend zu schleppen, erhält eine Bleischwere, wenn er sich von Gespräch zu Gespräch wuchtet. Was zunächst eine Parodie Sokratischer Dialoge erhoffen lässt, wird bald für jene zum Déja Vu, die jemeils ein germanistisches Proseminar zu durchleiden hatten. Hier senkt sich die statische Versuchsanordnung als zentnerschweres Gewicht auf dn Abend, der sich nach den durchaus amüsanten ersten Minuten nicht von der Stelle bewegt, die Grundthesen immer wieder kaum verändert durchspielt. Wäre dies eine Sinfonie, verzichtete der Komponist komplett auf die Durchführung, sondern reihte Reprise an Reprise.
Doch während das Publikum zunehmend dahindämmert, bricht plötzllich so etwas wie Wahrhaftigkeit durch. Wenn nämlich die Erörteurung des Körper-Seele-Themas auf den großen Gleichmacher kommt, den Tod. Und plötzlich so stellen Wuttke und Carstensen fest, sind die eifachen Antworten keine mehr. Und selbst wenn sie noch gelten, erscheinen sie suf einmal seltsam banal. Wenn Carstensen am Ende mit stiller Eindringlichkeit von der Sprache der Körper spricht, wenn die Frage in den Raum tritt, wie der tote Körper in das sorgfältig errichtete Theoriegebäude passt - dann bricht die ganze Polleschsche Souveränität und ironische Spielfreude wie ein Kartenhaus zusammen, ganz unsentimental trotz kitschtriefender Musikuntermalung, und so erschütternd ehrlich wie sonst nichts an diesem sonst viel zu leichtgewichtigen Abend.
http://stage-and-screen.blogspot.com/
Männliche-weiße-wohlgestalte-sehenkönnende-heterosexuelle Anti-Inte oder Inte ?
Was soll denn jetzt bloß "markiert" werden, werter fondor ??
Und, wenn zB. Hinrichs im Vorgängerabend die Anti-Inte markiert, markiert er dann
nicht wieder (als eigentliche Inte) ganz im Verstellungssinne die Anti-Inte ???
So, wie Martin Wuttke hier immer im Kreis herum an der Bühnenwand entlangläuft, erinnert mich das irgendwie auch an einen Psychiatriepatienten in der geschlossenen Abteilung. Ja. Genau. Da vege-tieren die Körper vor sich hin. Und die laufen oft den ganzen Tag immer nur im Kreis rum. Schon die Gestaltung des Stationsraums ist wie ein Donut angelegt, mit einem Verwaltungsloch in der Mitte für die "Normalen", und drumherum laufen die "Wahnsinnigen". Die kommen da aber nicht raus. Genauso, wie die Schauspieler im Grunde nicht aus dem Theaterraum rauskommen. Aber die leben da doch trotzdem, oder? Andere wiederum müssen in geschlossenen Räumen leben.
Es bleibt die Frage: Was ist der Körper ohne ein ex-zentrisches, das heisst über das Denken und die Sprache gesetztes Selbst-Bewusstsein? In diesem Sinne empfand ich diesen Satz aus Polleschs "JFK" immer sehr treffend, welcher für mich eigentlich alles aussagt, was auch hier wieder u.a. verhandelt wird: "Aber wir haben uns doch in dem Phantasma. Da haben wir uns doch. Da lieben wir uns doch. Wenn wir uns mit Sätzen anfassen, die nicht unsere sind."
Der Begriff des Schablonen-Egos trifft übrigens ins Schwarze. Das erinnert mich sofort an Friederike Hellers "Antigone". Da produzieren die beiden Schauspieler auch permanent Ich-Schablonen, indem sie sich unter den vorher in die Luft geworfenen Glitzerstaub auf den Boden legen. Wenn sie dann wieder aufstehen, hinterlassen sie eine Art Schablonen-Ich, welches zudem noch irgendwie nach "Tatort" aussieht. Über ihr "wahres" Ich ist damit aber eben noch lange nichts ausgesagt. Das heisst: Man kann nicht sein, was man sein will. Aber man kann werden, was man ist (nach Nietzsche). Anders als beim "Tatort" klären bei Friederike Heller nun allerdings keine Kommissare und Rechtsanwälte den Konflikt zwischen Kreon und Antigone auf, sondern ein Therapeutengott. Ist ja auch alles nur Theater.