Tom auf dem Lande - Stadttheater Bremerhaven
Zwischen Bett und Sarg
10. Februar 2024. Guillaume kommt bei einem Autounfall ums Leben. Lebensgefährte Tom reist in die Provinz zur Beerdigung: In eine andere Welt mit anderen Werten, und in ein Netz aus Lüge und Abhängigkeit. Frank Auerbach hat Michel Marc Bouchards Psychothriller als packendes Kammerspiel ohne Happy End inszeniert.
Von Andreas Schnell
10. Februar 2024. "Tom vom Lande" erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer Werbeagentur arbeitet und Männer liebt. Vor allem einen, der jetzt bei einem Unfall ums Leben kam. Zur Beisetzung fährt Tom in das Dorf, aus dem der Geliebte stammt. Dort trifft er auf Mauern aus Hass, Ignoranz und Verdrängung. Seine Trauer kann er nur camoufliert ausdrücken. Ein spannendes, dichtes Kammerspiel ohne Happy End. Frank Auerbach, Mitglied des Bremerhavener Schauspielensembles, der immer mal wieder auf den Regiestuhl wechselt, hat es nun in einer straffen Spielfassung inszeniert.
Zwischen Himmel und Hölle
Die Roadtrip-Romantik, die Ludger Nowaks Musik noch in den ersten Szenen per Slide-Gitarre suggeriert, tritt allzu schnell zurück hinter brutale Gewalt, wie man sie seit den Stücken von Franz Xaver Kroetz oder Martin Sperr kennt. Allerdings ist diese Gewalt nicht ungebrochen. Francis, der Bruder des Toten, der zunächst Heteronormativität und Homophobie in Reinkultur zu verkörpern scheint, erweist sich bald als brüchiger Charakter.
Eifrig ist er zwar darauf bedacht, die Familie zu retten, die jetzt nur noch in der Schwundstufe Mutter und Sohn existiert. Zugleich entdeckt er Gefühle für Tom, von dessen Verhältnis zu seinem toten Bruder er weiß. Nicht die einzige Mauer, die an diesem Abend einstürzen wird. Tom wiederum entflieht dieser Hölle nicht so schnell wie möglich, sondern meint, im Leben auf dem Land und in dieser Familie tatsächlich so etwas wie Wahrheit und Erfüllung finden zu können.
Innere Qualen
Die Bühne von Julius E. Böhm fängt die den Weiten des Landlebens innewohnende Enge in einem schäbigen Wellblechverhau ein, der sich als so fragil erweist, wie sich die Fiktion dieses Familienidylls bald erweist. Und ganz konkret zum Resonanzraum wird, wenn es im sozialen Gefüge scheppert. Ein paar Autoreifen bilden das zentrale Requisit, sind je nach Bedarf Sarg, Tisch, Bett und Toilettenschüssel.
Justus Henke zeigt die inneren Qualen von Tom sehr körperlich. Sein explosiver Gegenspieler Francis ist bei Karsten Zinser zunächst und bis zum Ende ein Ausbund an verhärteter Brutalität, die in grellem Kontrast steht zu seinem erstaunlich eleganten Hüftschwüngen in einer der schönsten Szenen dieses Abends: Francis, vor dem, wie er sagt, die Frauen im Dorf Angst haben, seit er einen jungen Mann grausam entstellt hat, erinnert sich an seinen Tanzunterricht und zeigt Tom, wie man Rumba tanzt.
Einstürzende Fassaden
Ein Kuss der beiden Männer folgt. Klar, dass es für Francis nun brandgefährlich wird. Schließlich muss er ständig zwischen seinen Bedürfnissen, der herrschenden Moral und dem vermitteln, was er für die Interessen seiner strenggläubigen Mutter hält, von Isabel Zeumer als eindrucksvoll gefühlskarge Frau gespielt. Sara, die der namenlose Geliebte Toms seiner Mutter einst als Freundin Ellen präsentiert hatte, bringt schließlich die verschiedenen Lügengebäude zum Einsturz. Auch das von Tom, der damit konfrontiert wird, dass sein Freund offenbar noch eine Reihe anderer Liebschaften pflegte.
Dass es dabei nicht allein um die prekäre Lage des schwulen Begehrens geht, sondern die wirkmächtigen Normen für alle, also auch die Heterosexuellen, verheerend sind, arbeitet Auerbach in einer sehenswerten Inszenierung mit leichtem Hang zum Overacting überzeugend und rasant heraus.
Tom auf dem Lande
von Michel Marc Bouchard
Regie: Frank Auerbach, Bühne und Video: Julius E. Böhm, Kostüme: Viola Schütze, Musik: Ludger Nowak, Einstudierung Tanz: Alfonso Palencia, Bobby M. Briscoe, Dramaturgie: Elisabeth Kerschbaumer.
Mit: Justus Henke, Isabel Zeumer, Karsten Zinser, Anna Caterina Fadda.
Premiere am 9. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
stadttheaterbremerhaven.de
Kritikenrundschau
"Das Stück stellt Fragen, auch unangenehme, und regt zum Nachdenken an", so Mirjam Benecke auf Bremen zwei (12.2.24). Den Darstellenden "gebürt Lob", findet die Kritikerin. "Ihnen ist es bei der Premiere auf jeden Fall gelungen, die Fragen ihrer Figuren überzeugend zu stellen."
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