Hilfe die Herdmanns kommen - David Gieselmann bearbeitet Barbara Robinsons Jugendbuchklassiker für das Junge Schauspiel Hannover
Gekapertes Krippenspiel
von Jan Fischer
Hannover, 1. Dezember 2012. Draußen riecht es nach Glögg. Und gegrilltem Lachs. Das finnische Weihnachtsdorf, ein Teil des Hannoveraner Weihnachtsmarktes, ist ganz dicht herangekrochen an den Eingang des Ballhof Eins, dort, wo das Junge Schauspiel Hannover residiert. Die Premiere von "Hilfe, die Herdmanns kommen" erreicht nur, wer es durch das Gewimmel von Menschen und den Nebel aus Gewürzgerüchen schafft. "Hilfe, die Herdmanns kommen" ist eine Weihnachtsgeschichte, und genau, wie diejenigen, die zuviel Glögg getrunken haben mit ihrer Lautstärke nicht zur besinnlichen Stimmung zwischen Gewürzduft und Lichterglanz passen wollen, hat auch "Hilfe, die Herdmanns kommen" eine eingebaute Kitschbremse.
Streetworker in Bethlehem
Die Kitschbremse sind die Herdmanns selbst. Barbara Robinson veröffentlichte 1971 ihr Jugendbuch über die – politisch nicht korrekt ausgedrückt – asoziale Familie Herdmann, deren Kinder das Krippenspiel in der Kirche übernehmen und die alte, ausgeleierte Geschichte in ihre Welt transportieren, die Welt von Sozialfürsorge und der Idee, dass Maria einen Schinken besser gebrauchen könne als Myrrhe. Aus dieser Spannung, diesen kleinen Absurditäten, mit denen der Kitsch der Weihnachtsgeschichte belagert wird, bis sich ein neuer, tieferer Sinn herausschält, von dem die Protagonisten gar nicht mehr wussten, dass sie ihn hatte, ergibt sich die Pointe des Buches. Aber eben auch die Bremse für den üblichen Weihnachtskitsch.
David Gieselmann hat versucht, "Hilfe, die Herdmanns kommen" für das Junge Schauspiel aus den 70ern in die Jetztzeit zu holen, die Herdmanns in die Welt von Hartz IV und Streetworkern zu stecken, aber er stupst die Geschichte nur leicht an – Hedwig Herdmann, beispielsweise, singt bei der Aufführung des Krippenspiels als Verkündigungsengel den Song "Engel" von Rammstein, begleitet auf Blockflöten – aber er bleibt im Großen und Ganzen der Vorlage treu. Nur dort, wo sich im Laufe der Jahre allzu viel Muff darüber gelegt hat, ist die Sprache etwas modernisiert und geglättet.
Asoziale übernehmen das bürgerliche Allerheiligste
Die größte Änderung sind die Herdmann-Jungs, die von David Müller und Fabian Baumgarten mit viel Energie gespielt werden wie zwei dieser Eckensteher-Jungs, ständig sich gegenseitig anschreiend, ständig dabei, sich zu prügeln, ständig verwickelt in pubertäre Territorialkämpfe, in ihrer ganz eigenen Chemie verstrickt. Genau wie Eugenia Herdmann und Tina, das nette, brave Mädchen und Erzählerin der Geschichte, die im Laufe des Stückes lernen, sich gegenseitig besser zu verstehen und deren behutsame, vorsichtige Annäherung Lisa Spicksche und Christine Diensberg mit kaum mehr als Gesichtsausdrücken und Blicken hinbekommen.
Das größte Problem an "Hilfe, die Herdmanns kommen" ist der Spagat, den das Stück leisten muss und will: Kippt es zu sehr in Richtung realistisches Sozialdrama, ist es keine Weihnachtsgeschichte mehr. Kippt es zu sehr in Richtung Wohlfühl-Weihnachtsgeschichte, wird es kitschig und langweilig. Mehr noch als die Buchvorlage versucht "Hilfe, die Herdmanns kommen" am Jungen Schauspiel Hannover diesen Spagat über Witze und Pointen hinzubekommen. Die Schauspieler tun ihr bestes dazu, überdrehen ihre Rollen und kehren die Absurdität dieser Situation heraus, dass da eine Asozialenfamilie, entsprungen aus dem RTL2-Nachtmittagprogramm, das Allerheiligste bürgerliche Krippenspiel kapert.
He, Euch ist ein Kind geboren!
Und obwohl das im ersten Teil des Stückes auch funktioniert, funkelt der Witz erst so richtig im zweiten Teil, nach der Pause, als der Pfarrer, gespielt von Henning Hartmann, jeden Zuschauer einzeln mit Handschlag begrüßt, Gesangbücher austeilt und mit dem Publikum einen Weihnachtsgottesdienst mit Mitsingen abhält. Das von den Herdmanns gekaperte Krippenspiel entfaltet sich dann als Spiel im Spiel und kann damit kompromisslos werden in all seiner Überdrehtheit und Absurdität. Und wenn Hedwig Herdmann zum krönenden Abschluss dem Publikum den Satz "He! Euch ist ein Kind geboren!" anschreit, dann, ja, dann könnten fast Weihnachtsgefühle aufkommen, und obwohl draußen dann der Weihnachtsmarkt schon geschlossen hat, riecht es doch noch ein bisschen nach Glögg.
Hilfe, die Herdmanns kommen
von Barbara Robinson
bearbeitet von David Gieselmann
Regie: Hanna Müller, Bühne: Anna Sörensen, Kostüm: Lucie Travnickova, Musik: Martin Engelbach.
Mit: Philippe Goos, Christine Diensberg, David Müller, Fabian Baumgarten, Anne Bontemps, Lisa Spicksche, Sandro Tajou, Henning Hartmann, Bettina Grahs.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
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"Ein rundum gelungener Auftritt", so schätzt Agnes Beckmann den Abend für die Hannoversche Allgemeine Zeitung (3.12.2012) ein, und registriert: "Minutenlanger Applaus, Lachen und Jubel nach der Premiere". Zum Ablauf: Nach einem "hektischen ersten Akt betreten die Premieren-Zuschauer bei feierlichem Glockengeläut den warm erleuchteten Theaterraum" und werden zum Mitsingen eines Weihnachtsliedes angehalten. "Im zweiten Teil des Abends glänzt Christine Diensberg, die Eugenia und Maria spielt, mit ihrer schnoddrigen Art."
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