Die Opferung von Gorge Mastromas - In Lüneburg überzeugt Jakob Arnold mit Dennis Kellys Wirtschaftslehrstück
Kommen wir zum zwanglosen Teil des Abends
von Falk Schreiber
Lüneburg, 9. Februar 2019. Glatte Oberflächen. Wenn es eine Ästhetik des Spätkapitalismus gibt, dann sieht sie so aus: nichtssagende, teure Räume aus Holz, Glas, Stahl. Cornelia Brey hat für Dennis Kellys "Die Opferung von Gorge Mastromas" solch eine glatte Oberfläche ins Theater Lüneburg gebaut: eine leicht gemaserte Rückwand und ein Podest, das sich über den Orchestergraben ein Stück weit in den Zuschauerraum schiebt. Alles wirkt edel, kalt, ortlos, ähnlich wie Marie Roths Bühne für Ayad Akhtars Junk vergangenen April am Hamburger Schauspielhaus, ein Stück, das ebenso versucht, die Marktwirtschaft als sinnstiftendes System zu kritisieren. Und dabei mit Wucht gegen die (immerhin geschmackvoll gestaltete) Wand fährt.
Ökonomie und Herzschmerz
Kellys 2012 bei den Ruhrfestspielen uraufgeführtes Drama geht im Vergleich zu Akhtars Wirtschaftsparabel geschickter vor: "Die Opferung von Gorge Mastromas" ist ein Lehrstück im Brechtschen Sinne, beeinflusst von "Der gute Mensch von Sezuan" und entsprechend mit mehreren doppelten Diskursböden ausgestattet. Erzählt wird die Geschichte des Durchschnittsmenschen Gorge (Jan-Philip Walter Heinzel), durchschnittliche Kindheit, durchschnittliche Lieben, durchschnittlicher Job. Gorge verhält sich im Zweifel so, dass die Gesellschaft sein Verhalten moralisch als gut bewertet. Und fällt dabei immer wieder auf die Nase. Beispiel: Gorge lehnt den Blowjob der Schulschönheit ab, weil die betrunken nicht weiß, was sie tut.
Ein armer Kerl also, der eines Tages von einer aasigen Konkurrentin (Beate Weidenhammer) ein faustisches Angebot bekommt: Er soll seinen Chef (Matthias Herrmann) davon überzeugen, dass ein Verkauf der Firma die richtige Entscheidung ist, obwohl das tatsächlich den Ruin bedeuten würde. Gorge, dessen Gutherzigkeit man doch bedingungslos trauen kann, lügt seinen Chef an – und verkauft so seine Seele an den Erfolg.
Was nach Passepartout-Moral klingt, wird bei Kelly allerdings gebrochen durch den Einsatz einer kommentierenden Instanz, einer Art Chor. Die Geschichte von Gorge ist eine Geschichte, die Herzschmerz, Ökonomie, am Ende auch eine Kriminalhandlung streift. Diese Geschichte wird vom Chor allerdings vom Szenischen wegverlagert ins Gespräch mit dem Publikum. Wenn jemand umgebracht wird oder wenn sich jemand verliebt, dann hört man davon im Plauderton, statt dass es performt wird.
Fiese, kluge Performance
In Lüneburg hat der junge Regisseur Jakob Arnold den Chor auf die Darsteller der einzelnen Szenen aufgeteilt. Heißt: Die Schauspieler bleiben die ganze Zeit auf der Bühne, fallen aber immer wieder aus ihren Rollen, wenden sich ans Publikum und reflektieren das, was jenseits des Gezeigten passiert. Sechs Highperformer tauchen da auf, in gut geschnittenen, grauen Anzügen (glatte Oberflächen!), die sich gegenseitig die Erzählung zuwerfen, jovial, umgänglich, raffiniert. Heinzel mit der Skrupellosigkeit eines jungen Gerhard Schröder, Christoph Vetter mit koksgetriebener Begeisterungsfähigkeit, Philip Richert mit der Beiläufigkeit des "Ich bring' dir auch noch ein Bier mit, und, übrigens, hast du schon gehört …" Weidenhammer löst ihr Sakko, erleichtert, der Stress fällt von einem ab, kommen wir zum zwanglosen Teil des Abends. Und schon ist man dieser fiesen, klugen Performance auf den Leim gegangen: Zwanglos ist hier gar nichts, das hier ist Kapitalismus, und im Kapitalismus wird einem immer was verkauft. Und weil wir es in diesen Szenen mit Schauspielern zu tun haben, verkaufen die uns eine Erzählung.
Die im Grunde weit weniger originell ist als man denkt. Zumindest die tragische Wendung, der Abstieg Mastromas', ergibt nur deswegen Sinn, weil man ihn sich geschickt unterjubeln ließ: Dass nämlich dieser so raffinierte wie skrupellose Held mit seiner Untergebenen Louisa (Stefanie Schwab) ins Bett möchte, mag man noch glauben, dass er dafür aber eine leicht durchschaubare Lügengeschichte zusammenzimmert, funktioniert ausschließlich, weil dieser Abend als Ganzes so klug gebaut ist und weil man sich durch das Verkaufstalent der Inszenierung breitschlagen ließ, auch die abstruseste Storykonstruktion als irgendwie nachvollziehbar hinzunehmen.
Den Kapitalismus hat man mit "Die Opferung von Gorge Mastromas" noch nicht endgültig durchschaut – aber nach Arnolds so zurückhaltender wie hintergründiger Inszenierung hat man etwas übers Theater verstanden, etwas darüber, wie ein hochmotiviertes, talentiertes Ensemble einem eine Geschichte andrehen kann. Ich bring' noch ein Bier mit, ja?
Die Opferung von Gorge Mastromas
von Dennis Kelly
Deutsch von John Birke
Regie: Jakob Arnold, Ausstattung: Cornelia Brey, Dramaturgie: Hilke Bultmann.
Mit: Jan-Philip Walter Heinzel, Matthias Herrmann, Beate Weidenhammer, Stefanie Schwab, Philip Richert, Christoph Vetter.
Premiere: 8. Februar 2019
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-lueneburg.de
"Regie führt Jakob Arnold, er ist jung und wird als großes Talent gehandelt. Er stellt es unter Beweis", schreibt Hans-Martin Koch in der Landeszeitung für die Lüneburger Heide (12.2.2019). Arnold habe den Text des Erzählers auf das sechsköpfige Team verteilt und rhythmisiert. "Die Spieler formen einen Chor, der ans Theater der Antike erinnert. Sie erzählen den Lebensweg Gorges nicht nur, sondern kommentieren ihn mit kleinen Betonungen, Haltungen, Gesten." Die Konstellation habe zudem viel vom aus der Mode gekommenen Brechtschen Theater. "Der zweite Kniff, der einen wunderbar fokussierten Abend schafft: Arnold hat alles rausgeschmissen, was vom Text wegführen könnte." Kein Sound, keine Möbel außer einem Spielpodest mit gläsern glänzender Platte, die Zahl der Requisiten liege irgendwo bei fünf, "großartig ist dazu das so knappe wie zentrierende Licht". Fazit: "Eine ausgesprochen spannende Inszenierung, die nachklingt und zum Diskutieren lädt", "das spannendste Stück, das in dieser Spielzeit im Theater Lüneburg läuft".
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