Ab in die Kiste!

4. Dezember 2023. Showcase Beat Le Mot arbeiten weiter daran, die Trennung zwischen "Erwachsenen"- und "Kindertheater" aufzulösen. Ausgesucht haben sie sich dafür ausgerechnet das finstere Märchen vom Müller, der in seiner Mühle Menschen mahlt. Erstaunlicherweise kommt es dennoch zu kontemplativen Momenten.

Von Falk Schreiber

"Die schwarze Mühle" von Showcase Beat Le Mot auf Kampnagel in Hamburg © Dorothea Tuch

4. Dezember 2023. "Gottes Mühlen mahlen langsam / Mahlen aber trefflich fein", wusste der Barockdichter Friedrich von Logau. Im Hamburger Produktionshaus Kampnagel drehen sich zwei kleine Drehbühnen und erzeugen so eine stetige, kreisende Mahlbewegung. Und was da trefflich fein gemahlen wird, sind Menschen. Menschen, also: Zuschauer:innen, die sich in 13 sargähnliche Kisten stecken ließen, welche auf die Bühnen geschoben werden, sich eine Weile drehen, wieder herabgezogen und im Raum herumgeschoben werden. Ein Logistikballett, das von außen mit seiner Genauigkeit fasziniert und innerhalb der dunklen Kisten leichte Schwindelgefühle verursacht. Rund 50 Minuten geht das so bei Showcase Beat Le Mots "Die schwarze Mühle" – als ruhige, ernsthafte, zielstrebige und langsame Theaterabeit. Dann werden die Menschen aus den Kisten befreit, und die zweite Publikumshälfte übernimmt.

Erfolgreiche Erfolgsverweigerung

Showcase Beat Le Mot sind unter den Live-Art-Kollektiven, die in den Neunzigern von Gießen aus berühmt wurden, diejenigen, die sich dem ganz großen Erfolg am längsten verweigert haben. Ihre Arbeit war immer widerständiger, spröder, weniger auf ein Community-Gefühl setzend als die Stücke von She She Pop oder Gob Squad, entsprechend blieb die Gruppe ein wenig unter dem Radar. Bis 2007 die damalige Leitung des Berliner Theaters an der Parkaue in ihren installativen Arbeiten Impulse fürs Kindertheater entdeckte – mit "Der Räuber Hotzenplotz" erfanden sich Showcase Beat Le Mot neu und erschlossen sich darüber hinaus konsequent neue Publikumsschichten. Seither inszeniert die Gruppe immer wieder eigenwillige Kinderstücke, "Die Bremer Stadtmusikanten" 2010 an der Parkaue, "Der Teufel mit den drei goldenen Haaren" 2018 am Theater Freiburg, zuletzt eben "Die schwarze Mühle", im März 2023 am Berliner HAU, das jetzt gemeinsam mit einer "Hotzenplotz"-Neubefragung 16 Jahre später auf Kampnagel zu sehen ist.

Mühle2 Dorothea TuchKonsequentes Erschließen neuer Zielgruppen: Showcase Beat Le Mot in der "Schwarzen Mühle" © Dorothea Tuch

Jurij Brězans 1968 erschienenes Jugendbuch "Die schwarze Mühle" bezieht sich ebenso wie Otfried Preußlers zumindest in Westdeutschland bekannteres, drei Jahre später veröffentlichtes "Krabat" auf ein sorbisches Märchen, in dem ein mit schwarzer Magie begabter Müller den Schweiß seiner Gesellen zu Gold mahlt und diese nach und nach in Tiere verwandelt, in Raben und Wildschweine. Showcase Beat Le Mot erzählen diese Geschichte verhältnismäßig vorlagengetreu nach, tatsächlich als Märchen, dessen mit sonorer Stimme vorgetragener Text den Raum (und die Kisten) füllt. Und dazu spielt die Band Die Figur um die theatererfahrene Keyboarderin Barbara Morgenstern mal sphärische, mal handfeste Songs, die den Erkenntnisgewinn der gepeinigten Rabengesellen illustrieren: "You will know everything that I know / Everything anyone possibly knows."

Zwischen Panik und Dämmerzustand

Das ist klug gemacht, es ist märchenhaft, verrätselt, doch als man nach der Hälfte selbst in die Kiste gesteckt wird, stellt man fest, dass es die eigene Aufmerksamkeit auch ganz schön beansprucht – dem Stück lässt sich hier, im Dunkel, kaum noch folgen. Dafür verliert man auf eine interessante Weise jegliches Raumgefühl, man lässt mit sich geschehen, was geschieht, man versinkt in eine angenehme Passivität. Für Kinder aber ist das (anders als der subversive "Hotzenplotz"-Ansatz) nicht wirklich etwas – die Inszenierung produziert einerseits bewusst inhaltlichen Leerlauf, andererseits sind die Kisten tatsächlich beängstigend, so dass man eigentlich ständig zwischen Dämmern und Panik hin- und hergeworfen wird. Empfohlen wird das Stück ab zwölf Jahren, bei der Hamburger Premiere aber sind einige deutlich jüngere Kinder im Publikum.

Des Müllers Leibgericht

Kurz vor der Pause wird noch in einer vielleicht ein kleines bisschen zu lange ausgespielten Nummer (für die der auf Kampnagel regelmäßig präsente Magier Manuel Muerte verantwortlich zeichnet) des Müllers Leibgericht "Schwarze Tunke" herbeigezaubert, im Buch eine Mischung aus Schwarzbier und gestocktem Schweineblut, hier Brötchen mit Schokosoße – das hat einen Zug ins Kindgerechte, der dem faszinierenden Abend ansonsten fehlt. Auf Kampnagel wird "Die schwarze Mühle" gleichwohl in Vormittagsvorstellungen gespielt, aber vielleicht ist das ja auch ein Effekt des sehr speziellen Showcase Beat Le Mot-Theaters: dass einem die Trennung zwischen Jugend- und Erwachsenentheater zunehmend brüchig erscheint.

 

Die schwarze Mühle
nach dem Roman von Jurij Brězan
Idee, Umsetzung, Performance: Showcase Beat Le Mot, Musik: Die Figur (Barbara Morgenstern, Mike Majkowski, Viola Bornmann), Technische Leitung: Joscha Eckert, Kostüm: Clemens Leander, Illusion: Manuel Muerte, Künstlerische Mitarbeit: Christopher-Felix Hahn, Dear Guests: Ibrahim, Boye Diallo, Musti, Produktionsleitung: Olaf Nachtwey
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
Hamburger Premiere am 3. Dezember 2023

www.kampnagel.de

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