Das Ministerium - Staatstheater Wiesbaden
Schlammschlacht im Kunstbetrieb
16. September 2023. Am Staatstheater Wiesbaden zofft es derzeit, und zwar richtig. Gestern hatte nun dort "Das Ministerium" Premiere. Das Stück aus der Feder von Clemens Bechtel und David Gieselmann treibt mit den kulturpolitischen Verhältnissen seinen realsatirischen Spaß und wirkt doch bitterernst, Hundekot-Attacke inklusive.
Von Shirin Sojitrawalla
16. September 2023. Am Wiesbadener Staatstheater gärt es. Wer da jeweils spinnt, Intendant oder geschäftsführender Direktor, ist von Außen nicht immer klar zu sehen. Von unhaltbaren Zuständen sprechen inzwischen alle. Stadt und Land beauftragten zur neuen Spielzeit, der letzten des jetzigen Intendanten, eine Unternehmensberatung, um die Strukturen des Theaters zu analysieren und Verbesserungsvorschläge für Prozesse und Abläufe zu unterbreiten. Eine Pressmitteilung des Theaters konterte das mit dem Hinweis auf Wahlkampfgetöse – schließlich sind am 8. Oktober Landtagswahlen in Hessen – sowie der Einladung zur gestrigen Premiere.
Damit nicht genug: Der Schauspieldirektor des Hauses und eine Dramaturgin veröffentlichten einen Brief, in dem sie eine weitere Zusammenarbeit mit dem geschäftsführenden Direktor des Theaters als nicht mehr für möglich erachten. Stadt und Land reagieren mit der Ankündigung, den neuen Intendantinnen ein "gesundes Staatstheater Wiesbaden" zu übergeben. Realsatire auf Staatskosten. Kein bisschen komisch.
Die Landespolitik ließ sich zwar nicht blicken bei der Premiere des neuen Stücks "Das Ministerium", sonst aber waren alle Genannten da. Geboten wurde ein sogenanntes Political aus der Schmiede Clemens Bechtel & David Gieselmann, die vor ein paar Jahren schon mit "Casino" die Machenschaften der Wiesbadener Kommunalpolitik aufspießten. Diesmal steht eine Politikerin im Mittelpunkt ihres Interesses, die offensichtlich entlang der Biografie der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Grüne), entworfen wurde. Nicht eins zu eins, sondern mit Prisen Baerbock, Faeser, Kramp-Karrenbauer und weiteren.
Ähnlichkeiten rein zufällig
Im Stück ist sie Ministerin in Rheinland-Pfalz, die vielleicht von Robert (!) als Kulturstaatsministerin nach Berlin beordert werden soll. Ansonsten reibt sie sich zwischen Ehe- und Familienleben, den Anforderungen der Mediengesellschaft und allem sonst auf. Maria Luisa Kerkhoff spielt sie in eng anliegenden Hosenanzügen als nichtssagende Person, die ausschaut, als sei sie soeben aus dem Boulevardtheater geflohen. Nach fast jedem Satz haut sie ihre Hände auf die seitlichen Oberschenkel, nicht nur Ausdruck mangelnden gestischen Vokabulars, sondern auch Sätzen geschuldet, die sich nach dieser Art der Untermauerung sehnen.
Inhaltlich gibt der Abend nicht viel und alles her: Ein Museumsdirektor, der Ivo Stehental heißt, eine Verballhornung von Uwe Eric Laufenberg, zeigt eine Ausstellung zum Thema "Das Nichts". Dafür hagelt es Kritik und den Vorwurf antisemitischer Bildsprache (Wink mit dem Holzhammer in Richtung documenta fifteen). Später rächt sich Stehental an einem Kritiker, in dem er ihm Hundekacke ins Gesicht schmiert, was natürlich auf die Causa Goecke/Hüster anspielt, wobei anspielt ein zu zartes Wort ist, denn bald schon ist die Kacke überall. Stehental verteilt sie munter auf Bühne und Leinwand, und die Ministerin und eine befreundete Journalistin schlammcatchen dann aufs Zickigste darin herum.
Interviews und viele Handys am Ohr
Kein Höhepunkt an diesem ziemlich lahmen Abend. Dabei gibt es ein paar hübsche Pointen, und für die Erwähnung von Kulturpolitikern, die keine Ahnung von Kultur haben, brandet kurz Szenenapplaus auf. Zu Beginn werden improvisierte und einstudierte Interviews mit dem Publikum und dem Ensemble zum Thema Wut geführt. Nicht sehr erhellend, aber ein lockerer Einstieg in den Abend.
Selbiges gilt für manch videounterstützte Szene, etwa die mit den wandernden Kröten, die ein apokalyptisches Versprechen setzt, das die Tochter der Ministerin mit "Fuck Money" in die Tat umsetzt. Dazwischen stehen Schauspielerinnen und Schauspieler sehr oft mit dem Handy am Ohr auf der Bühne und tun so als ob. Richtig zu Ende gedacht scheint das nicht. Zum Schluss wandern alle lange stehempfangmäßig in der Gegend herum, verteilen und mampfen Merci-Schokolade und warten auf den erlösenden Schlusspunkt.
Richtig unterhaltsam oder brisant ist das nicht. Ist auch schwierig angesichts der realen Umstände. Brachiale Selbstironie hilft da auch nicht weiter. Wenn dieser Text erscheint, überschlagen sich die Zeitungsmeldungen vermutlich schon wieder mit neuen Verlautbarungen.
Egomanen unter sich
Einmal ist in "Das Ministerium" von zwei aufeinander losgehenden Egomanen die Rede. Wohl wahr. Den Museumsdirektor im Stück mit Namen Stehental verschlägt es am Ende nach Sindelfingen. Mal schauen, wohin es die Herren im Hessischen Staatstheater Wiesbaden noch schaffen. Davon abgesehen, ist dem Haus zu wünschen, dass es wieder mit sehenswertem Theater für Schlagzeilen sorgt.
Das Ministerium
von Clemens Bechtel und David Gieselmann
Regie: Clemens Bechtel, Bühne Till Kuhnert, Kostüme Vesna Hiltmann, Video und Musik: Alex Halka, Dramaturgie: Marie Johannsen.
Mit: Marie Luisa Kerkhoff, Tobias Lutze, Martin Plass, Lena Hilsdorf, Evelyn M. Faber, Felix Strüven, Nils Willers, Vera Hannah Schmidtke, Rosa Klischat/Klara Bollendorf, Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden.
Premiere am 15. September 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-wiesbaden.de
Kritikenrundschau
"Nimmt man 'Das Ministerium' als Hilferuf ernst, kann man nur darüber staunen, wie die Leitung eines keineswegs mickrigen Staatstheaters sich und die Beschäftigen am Haus in eine derart hilflose Position bringen konnte, dass sie ihr Leid via Theaterstück in die Welt rufen müssen", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (18.9.2023). "Schaut man sich 'Das Ministerium' (...) als Theaterstück an, ist es ein recht lahmer und pauschaler Abend. So viel Pikantes lässt sich über die gemeinte Kulturministerium anscheinend nicht sagen."
"Immerhin nähert sich das Bühnenbild am Ende der an F-Worten reichen Sprache an, deren Kraftausdrücke aber nicht dazu beitragen, auch dem Stück Kraft zu verleihen. Wut scheint, anders als im Stück behauptet, halt doch nicht gar so viel kreative Energie freizusetzen", schreibt Eva-Maria Magel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (€, 18.9.2023). "Angeblich hat es den politischen Zeitgeist, die Niederungen der Politik und den Druck der Selbstdarstellung satirisch darstellen sollen. Davon ist außer einigen kleinen Pointen nicht mehr viel zu merken in einer ebenso zähen wie plumpen Handlung ohne rechten Höhepunkt, deren Darsteller Mühe haben, diese papiernen Figuren mit ihren klischeehaften Sätzen irgendwie lebendig zu machen."
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nachtkritikvorschau
Ob richtig, unterhaltsam oder brisant, darüber gibt es wohl sehr verschiedene Meinungen.
Die Wahlen in Hessen laufen, die Ministerin für Wissenschaft und Kunst hat sich anscheinend für Wissenschaft und Kunst nicht stark gemacht, sondern hat ihre Karriere im „Nicht Handeln“ befördern wollen, wirbt aber jetzt auf ihren Wahlplakaten mit „Mut zu machen“.
Traurig.
Vielleicht ist das einfach nicht richtig, und auch nicht unterhaltsam.
Brisant ist es aber doch.