Licht frei Haus - Eike Hanemann inszeniert Thomas Melle auf der Wuppertaler Behelfsbühne
"... und 5 Minuten später ist man asozial"
von Sarah Heppekausen
Wuppertal, 22. Juni 2012. Ihr Lichtkegel ist winzig, aber die kleine Lampe schwenkt eifrig und beharrlich im Bühnendunkel. Es hat etwas Rührendes, dieses Anfangsbild in Eike Hannemanns Inszenierung von Thomas Melles "Licht frei Haus", und zugleich etwas Bezeichnendes. Diese Lampe und ihr Licht sind mickrig, behaupten aber große Signifikanz. Vielleicht präsentieren sie die Sonne von ihrem Aufgang bis zum Untergang, vielleicht den steten Wechsel der Jahreszeiten oder "ein wenig Licht für unseren Hinterhof!", wie es Hausbewohner Moritz im Stück fordert. Aber der Lampe Schein, ihr So-tun-als-ob, ist allzu offensichtlich.
Abstieg trifft auf Poesie
Regisseur Hannemann verweist in seiner Inszenierung konsequent auf die Skurrilitäten des Stücks. Bei Thomas Melle hausen vier Randexistenzen in einer Hinterhofgemeinschaft. Ihre Welt ist eng, aber ihre Sprache nicht. Da trifft sozialer Abstieg auf poetische Verse, Sondermüll auf Allegorien. Auch Hannemann hütet sich vor allzu viel Realismus, vor Alltagsabzeichnung und Klischeebedienung. Die kleine Bühne im Wuppertaler Schauspielhaus – die vor drei Jahren als Provisorium eingerichtet wurde, weil der Stadt das Geld für die Sanierung des Hauses fehlt – hat Birgit Stoessel in epischer Theatermanier mit Schildern ausgestattet: Hinterhof, Parterre, 1. Etage, Keller, Winter steht da zum Beispiel drauf.
In diesen Bereichen, die vorgeben Räume zu sein, wird reichlich Bier getrunken. Zumindest wird das behauptet, denn dass es alkoholfreies Bier ist, steht weiß auf rot auf den Flaschen und ist nicht zu übersehen. Geraucht wird mindestens so viel wie gesoffen, aber bloß Elektrozigaretten.
"Lauter Irre", sagt Heinz über seine Nachbarn, und schlurft selbst mit seinem Radio unterm Arm und der Vokuhila-Frisur durchs Treppenhaus, um die Gegensprechanlage kurzerhand kaputt zu schlagen. Groteske Züge tragen sie alle.
Sexspielchen mit der Urne
Lutz Wessel hustet sich als Heinz die frustrierte Seele aus dem kranken Leib. Seine Haare kämmt er nur für Agnes, die Neue im Haus. Frischfleisch und frisch schwanger. Juliane Pempelfort gibt Agnes manische Züge. Verantwortung ist bei ihr tagesformabhängig. Ihren Schwangerschaftsbauch stopft sie sich auf der Bühne unters Kleid. Dauerstudent, Dauerjobber und Dichter Moritz glaubt zunächst, das Baby sei von ihm. Gregor Henze spielt ihn als naiven Nerd mit Brille. Unter Tabletteneinwirkung schielt und windet er sich in "Fear and Loathing in Las Vegas"-reife Drogenräusche. Die deutlich jüngere Maresa Lühle spielt Margot und alt. Morgenmantel, gewellte Perücke, den Flaschenöffner an der Perlenkette um den Hals, leicht gekrümmter Rücken – und fertig ist eine Bühnen-Witwe. Sie ist die komischste Figur des Abends, treibt Sexspielchen mit der Urne ihres verstorbenen Mannes und grillt per Knopfdruck der Fernbedienung.
Mit diesen vier Verschrobenen und dem rosabehemdeten Sozialbeamten Stempel (Andreas Ramstein) lässt es sich gut amüsieren. Gegen den Feind von draußen vor dem Hinterhof solidarisieren sich die unterschiedlichen Nachbarn, bis zur gemeinsamen Horror-Freak-und-Flüsterstimmen-Show. Da spritzt der Ketchup und fliegt die Totenasche.
"Man bleibt liegen"
Eigentlich wollte Eike Hannemann zum Wuppertaler Saison-Ende die Uraufführung von Thomas Lehrs Roman "42" inszenieren. Aber der Text sei "zu sperrig", erklärten Regisseur und Dramaturg die Planänderung. "Licht frei Haus" nun ist ganz und gar nicht sperrig. Aber mehrschichtig allemal.
"Man bleibt liegen, schützt sich vorm Licht, raucht eine, isst eine Stulle, legt sich hin, bleibt liegen, der Fernseher spricht so schön – und fünf Minuten später ist man asozial", sagt Margot. Die schnodderige Beiläufigkeit fängt die Inszenierung gut auf. Melles Figuren verführen zur Leichtigkeit, zur Absurdität, zum Drüberhinweglachen. Das schützt sie vor moralischem Pathos. Aber in ihrer Sprache liegt auch eine Bitterkeit, die konkrete Angst vor dem Abriss des Hauses als Angst vor ihrem endgültigen Absturz. Hannemann setzt aber auf Spiel und Verweis. Weh tut das nicht.
Licht frei Haus
von Thomas Melle
Regie: Eike Hannemann, Bühne: Birgit Stoessel, Kostüme: Svea Kossack, Dramaturgie: Sven Kleine.
Mit: Gregor Henze, Juliane Pempelfort, Maresa Lühle, Lutz Wessel, Andreas Ramstein.
www.wuppertaler-buehnen.de
Mit "allerhand psychischen Macken" habe Autor Thomas Melle seine Figuren ausgestattet, meint Veronika Pantel in der Westdeutschen Zeitung (25.6.2012). Eike Hannemann inszeniere "Licht frei Haus" aber "durchaus nicht nur als vergnügliche Parodie, sondern als bittere Farce." Das Lachen bleibe "oft im Halse stecken – zu real wirken die Figuren in ihrer Verlorenheit. Nur die poetische und oft allegorische, an Metaphern reiche Sprache Melles macht bewusst, dass keineswegs nur Realität abgebildet wird."
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