Beziehungsknatsch in der Retrodisko

17. Dezember 2023. Nach den anhaltenden Missbrauchsvorwürfen gegen Woody Allen werden auch seine Filme nicht mehr so häufig für die Bühne adaptiert. In Mainz findet jetzt aber doch mal wieder die Tschechow- Adaption "Hannahs Schwestern" ihren Weg zurück ins Theater.

Von Wolfgang Reitzammer

"Hannah und ihre Schwestern" © Andreas Etter

Mainz, 17. Dezember 2023. In die Top 5 der besten Woody-Allen-Filme gehört neben "Der Stadtneurotiker", "Match Point", "Manhattan" und "Irrational Man" für viele auch sein 1986er-Werk "Hannah und ihre Schwestern". Daraus hat Jürgen Fischer schon Mitte der 90er Jahre eine deutsche Bühnenfassung mit 30 Szenen gestrickt, die nun im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz zu sehen ist. 

Als Regisseur fungiert Christian Brey, ein erfahrener Woodyologe und gleichzeitig ein anerkannter Experte für Leichtes und Komödiantisches. Bei dieser Produktion erliegt er aber über weite Strecken einem Missverständnis: Der skeptischen, ja fast ein bisschen zynischen Sicht Woody Allens auf die conditio humana und seinem notorischen Widerstand gegen die political correctness wird man nicht gerecht, wenn man das Stück als überdrehte, schrille Komödie im Rahmen einer 80er-Jahre-Retro-Disco und Kostümparty abfeiert. Eher würde man sich Momente von Beckettscher Absurdität und Tschechowscher Resignation wünschen.

Anspielungen an Tschechow

"Hannah und ihre Schwestern" war einer der ersten Filme, in dem sich Woody Allen nur eine Nebenrolle zuschrieb und stattdessen drei Frauen in den Mittelpunkt stellte. Hannah (Kruna Savić) ist der prinzipielle Gutmensch, "der so viel gibt und so wenig dafür verlangt", dessen Hilfsangebote aber oft als fürsorgliche Belagerung verstanden werden. Dagegen überwiegen bei der Schwester Holly (Maike Elena Schmidt) die Minderwertigkeitskomplexe: von Kokain-Episoden gezeichnet bleibt sie als Schauspielerin erfolglos, ist als Catering-Unternehmerin unzufrieden und bei Männern meist nur zweite Wahl. Schwester Lee (Lisa Eder) hat sich zeitweise in die kulturelle Erziehungs-Diktatur des Malers Frederick (Klaus Köhler) geflüchtet, kommt aber mit seiner elitären Misanthropie immer weniger zurecht. 

Die drei Schwestern: Lisa Eder, Kruna Savić, Maike Elena Schmidt © Andreas Etter  

Um dieses an Tschechows "Drei Schwestern" konstruierte Trio (man beachte den Namen "Stanislawski" für Hollys Projekt eines Catering-Service!) schwirren wiederum drei Männer: neben jenem Frederick noch Hannahs Ehemann Elliott (Vincent Doddema), der sich triebgesteuert an Lee ranmacht, dann aber reumütig zur Ehefrau zurückkehrt, und Hannahs Ex-Mann Mickey (Henner Momann als Woody-Allen-Wiedergänger mit passendem braunen Cord-Anzug), der fürs Fernsehen Comedy-Shows produziert, beim Kinderkriegen und bei Arztbesuchen aber nichts zu lachen hat und zunehmend in eine grundsätzliche Lebenskrise hineinrutscht. 

Alltagsprobleme der Oberschicht

So ist mit dieser komplizierten Familien-Aufstellung der Kosmos der frühen Allen-Welt in allen Facetten aufgeboten: Es geht um schwierige heterosexuelle Beziehungen, um religiöse Sinnsuche und um die Alltagsprobleme der mehr oder weniger gebildeten New Yorker Oberschicht – von A wie Alkohol über H wie Hypochondrie oder Hare Krishna bis T wie Thanksgiving-Rituale.

Hannah und ihre Schwestern 3 Andreas Etter uDie Männer zu den Schwestern: Klaus Köhler, Denis Larisch (im Hintergrund Lisa Eder) © Andreas Etter

Die vielfältigen Bezüge einiger Filmpersonen zur Bühne und Woody Allens Ironie-gesättigte Dialog-Akrobatik machen das Drehbuch (für das es seinerzeit einen voll berechtigten Oscar gab) tatsächlich theatertauglich. Norma und Evan, die Eltern der drei Schwestern (Iris Atzwanger und Martin Herrmann), die an dem Abend ein paar berührende Gesangs-Einlagen hinlegen, waren beide bekannte Schauspieler, Hannah selber hat neben ihrer Rolle als Ehe-, Hausfrau und Mutter immer wieder punktuelle Theater-Einsätze (als "Nora" oder als "Desdemona" – wie passend!). Holly schafft nach mehreren vergeigten Castings am Broadway immerhin ein TV-Drama-Script, das Mickey als "großartig" und "einfach toll" einstuft.

Liebe als Schlachtfeld

Ein auf den ersten Blick etwas biederes Bühnenbild (von Anette Hachmann und Elisa Limberg), über dem drei Styropor-Wolken schweben, schafft es immerhin, die zahlreichen Schauplätze des Originals temporeich in Szene zu setzen: eine Drehtür rotiert, zwei Türen und ein Fenster öffnen sich in den richtigen Momenten und transportieren so das Geschehen von den Dinner-Partys in der Wohnung von Hannah und Elliott zu Fredericks Loft, zu einem Fernsehstudio, in die Sprechzimmer von Ärzten und Psychotherapeuten, in eine Loge der Metropolitan Opera, in ein Hotelzimmer, einen Hard-Rock-Club und in den legendären New Yorker Jazz-Club Carlyle. 

Hannah und ihre Schwestern 1 Andreas Etter uEin Bühnenbild für eine temporeiche Inszenierung © Andreas Etter

Der unterlegte Soundtrack der 80er Jahre, mit dem Woody Allen sicher nicht viel anfangen könnte, illustriert einen Nebenaspekt des Stückes: "Love Is A Battlefield". Die eingeblendeten Video-Sequenzen (Christoph Schödel) verschwimmen auf den Konturen der Kulissen. Stimmiger erscheinen da schon die eingebauten Choreographien eines Jogging-Rundlaufs im Central Park, einer Hare-Krishna-Tanzeinlage und einer Verliebtheits-Pantomime zu dem Song "Only You". Am Ende finden sich die alten und neuen Paare wieder zur Truthahn-Party, und es gibt lebhaften Beifall vom Publikum.

Hannah und ihre Schwestern
Jürgen Fischer nach Woody Allen 
Regie: Christian Brey, Ausstattung: Anette Hachmann und Elisa Limberg, Video: Christoph Schödel, Licht: Ulrich Schneider, Dramaturgie: Boris C. Motzki.
Mit: Kruna Savić, Lisa Eder, Maike Elena Schmidt, Vincent Doddema, Klaus Köhler, Henner Momann, Carlotta Hein, Iris Atzwanger, Martin Herrmann, Leandra Enders, David T. Meyer, Denis Larisch.
Premiere am 16. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-mainz.de

 

Kritikenrundschau

Hingetupft, impressionistisch wie Woody Allen erzähle Christian Brey die Geschichten um die drei Schwestern, schreibt Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau (17.12.2023). "Die typische Allen-Schar, neurotische Intellektuelle und Liebesverwirrte, macht in Mainz (sich leicht nostalgisch anfühlende) Freude.

"Regisseur Christian Brey bleibt dicht an der Filmvorlage von Woody Allen, hat jedoch auf das Feintuning verzichtet", berichtet Hannegret Kullmann auf SWR2 (18.12.23). Zum Teil trügen die Schauspielerinnen und Schauspieler "viel zu dick auf", das Ergebnis sei "laut, bunt und schrill", urteilt die Kritikerin. "Für kurzweilige Unterhaltung ist in jedem Fall gesorgt, doch wirkt es, als hätte jemand den Lautstärkeregler zu weit
aufgedreht." Fazit: "Wer die nachdenkliche Stimmung und die Verletzlichkeit der
Figuren im Film mag, der wird sie hier vermissen."

Christian Brey und sein Team siedeln die Inszenierung in der Entstehungszeit des Films an, schreibt Matthias Bischoff in der FAZ (19.12.2023). "Die Ausstatter hatten sichtlich Spaß an der Auswahl dieser bizarren Retro-Modenschau." Natürlich sei es ein erlaubter Kunstgriff, das Stück auf diese Weise zu historisieren, "doch ausgerechnet bei diesem eher zeitlosen Stoff mutet das Verfahren höchst seltsam an. Denn niemals war Woody Allen näher bei den großen Gesellschafts-Tragikomödien Tschechows." Brey filtere allen Tiefsinn aus Woody Allen und mache aus dem zwischen Melancholie, Menschenstudie und Komik changierendem Film eine trashige Bühnen-Klamotte.

 

Kommentar schreiben