Richard III. - Matthias Fontheim lässt Shakespeares Personal in Matsch und Blut waten
Keine weiße Weste, nirgends
von Shirin Sojitrawalla
Mainz, 3. Februar 2010. Diesem Richard möchte man sich nicht entziehen. Zu wortwitzig ist er, zu unverschämt, zu verführerisch und zu scharfzüngig. Und auch wenn man in einem Moment denkt: was für ein hinterhältiges Aas!, ist man ihm im nächsten schon wieder hoffnungslos ergeben.
Dabei ist der Mann die nackte Bosheit, ein Arschloch vor dem Herrn, das alles hinwegschlachten lässt, nur um auf den Thron zu steigen. Doch die Schauspielerin Katharina Knap verkörpert ihn in Mainz mit hinreißender Hinterlist und betörendem Größenwahn, ist immer auch zielsicherer Wortfechter und hellwacher Anziehungspunkt. Dabei steht sie oftmals frech grinsend einfach nur da und bohrt helläugige Blicke ins Publikum.
Strategischer Strippenzieher-Streber
Spitzbübisch ist dieser Richard, koboldhaft und vieles mehr, wie es seine Rollenspielerei verlangt. Denn in erster Linie, vor aller Bösartigkeit noch, ist Richard III. ja ein überzeugender Schauspieler, der so gut ist, dass man nie weiß, wo das Spiel beginnt und wo es endet. Kurz: Der Mainzer Intendant und Regisseur Matthias Fontheim tat gut daran, Katharina Knap diese Titelrolle spielen zu lassen, auch wenn sich bestimmt manch ein männlicher Kollege gegrämt haben wird.
Fontheim verzichtet in seiner fast dreistündigen Inszenierung auf jedwede Musik, was die Konzentration auf das gesprochene Wort erleichtert. Gespielt wird die geschmeidig zeitgemäße Übersetzung von Elisabeth Plessen. Dabei ist es insbesondere eine Freude, dem teuflisch guten Gespann Richard und Buckingham zuzusehen und -zuhören. Lukas Piloty gibt letzteren als strategischen Strippenzieher-Streber, ein aalglatter Demagoge, der es mit Richard aufnehmen kann. Gemeinsam erobern sie die Krone.
Nur neun Schauspieler verkörpern das Personal des Stücks, wobei die Mehrfachbesetzungen an diesem Abend auch schon mal verwirren. Rekordhalter ist Tim Breyvogel, der nicht nur Clarence und König Edward spielt, sondern auch noch als Bote, Tyrell und Richmond auftritt und als dieser auch den Abend hübsch abmoderieren darf, aber dazu später.
Blut, Blut, Blut
Gespielt wird im Einheitsbühnenbild: im Hintergrund ragt eine hohe Aluminiumwand auf, davor stehen lange weiße Tische, hinter denen einfache weiße Plastikstühle stehen. Der Bühnenvordergrund ist mit Erdähnlichem übersät. Zu Beginn kommen alle Schauspieler gemeinsam hereingerannt und setzen sich in die für sie reservierte erste Reihe um gleich darauf mit Geschrei die Bühne zu erobern und übereinander herzufallen, bis alle mit Erde verschmutzt ihre Rollen einnehmen. Im weiteren Verlauf sprüht schönster Theaterregen von oben herab, sodass sich die Bühne in einen mit Matsch gefüllten Sandkasten verwandelt.
Das ist zwar lustig anzusehen, weil sich die Schauspieler zudem auch tüchtig mit dem Zeug beschmieren und bewerfen - dass Theaterblut in rauen Mengen ausgeschüttet wird, versteht sich wohl von selbst. Doch im Grunde genommen bringt der ganze Matsch das Stück keinen Zoll voran. Obendrein wirkt das alles doch sehr bei Gosch abgeschaut und deshalb uneigen und unoriginell.
Mit Schuld und Verderbnis besudelt
Am Ende sind alle Schauspieler über und über mit Schlamm bedeckt, hübsch dreckig irgendwie, aber wozu eigentlich? Nur um den schlichten Gedanken zu bebildern, dass sich alle mit Schuld und Verderbnis besudelt haben? Dass sie, um ihre Ziele zu erreichen, sich in den Schmutz begeben mussten? Keine weiße Weste nirgends?
Im letzten Bild entledigt sich der neue Herrscher Richmond dann seiner verdreckten Kleidung und zieht sich in aller Seelenruhe ein sauberes Hemd und eine saubere Hose wie ein sauberes Sakko und neue Schuhe an, um seinen Schlussmonolog zu sprechen. Selbstverständlich gelingt es ihm nicht, sich auf die Schnelle so gründlich reinzuwaschen, dass nicht auch die frisch gebügelten Klamotten den einen oder anderen Spritzer abbekämen. Trotzdem beendet er die Rosenkriege, die in Mainz die reinste Schlammschlacht sind.
Richard III.
von William Shakespeare
Deutsch von Elisabeth Plessen
Regie und Raum: Matthias Fontheim, Raumrealisation: Michael Rütz, Kostüme: Marc Thurow, Dramaturgie: Marie Rötzer.
Mit: Katharina Knap, Tim Breyvogel, Stefan Walz, Lisa Mies, Nicole Kersten, Lukas Piloty, Lorenz Klee, Marcus Mislin, Monika Dortschy.
www.staatstheater-mainz.de
Weiblich war auch die Titelheldin in Karin Beiers Inszenierung König Lear, die im September 2009 die Theatersaison in Köln eröffnet hat. Alle anderen Helden des Stücks übrigens auch, das für das nachtkritik-Theatertreffen 2010 nominiert worden ist.
Kritikenrundschau
Ohne das Durchwaten von knöcheltiefem Modder gehe an diesem Abend nichts. Den Sitten auf der Bühne sei das freilich ist eher abträglich. "Der kleinste Konflikt, und die Kontrahenten greifen unter sich und bewerfen sich mit Matsch", schreibt Jens Frederiksen in der Allgemeinen Zeitung (5.2.2010). Eine solche Flut aufmerksamkeitsheischender Materialen mache es für die Schauspieler schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden. "Dabei ist in Mainz genaues Hinsehen wichtig", denn als ungewöhnliches Konzept sei Katharina Knap zu bestaunen in der Rolle des skrupellosen Bösewichts Richard. "Sie verkleidet sich nicht einfach, gibt nicht den maskierten Menschenverächter mit präpariertem Klumpfuß und aufgeschnalltem Buckel. Nein: Schmal, klein, bubenhaft, ist sie der quicke Stegreifspieler, der mit Springteufelchen-Blick im Publikum nach Verbündeten sucht. Wie der Clown, der herzlos seiner Pointe nachspürt, berauscht sie sich allein am eigenen Witz." Dem übrigen Stückpersonal fehle diese teuflische Spielfreude. Aber nach der Pause, wenn Richard sein Ziel erreicht hat, verliere sich jeglicher Witz, und es siege die Erleichterung, den Abend unbeschadet überstanden zu haben.
Matthias Fontheim erzähle Shakespeares Richard III. in erster Linie über drei zentrale Requisiten: "Schlamm, Theaterblut und Regen", so Natascha Pflaumbaum im Deutschlandradio (3.2.2010). "Alles gibt es literweise auf der Bühne, alles vermischt sich mit den Menschen zu einem ekligen, konturlosen Brei." Das Versprechen, ein Bösewicht zu werden, löse Fontheim so drastisch ein, "dass man am Ende nur die zahlreichen blutgetränkten Morde im Gedächtnis behält und nicht so sehr die ganze Geschichte, der man auch zuhören können muss." Dass Fontheim die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum aufhebe, "schafft noch stärkeren Ekel. Natürlich ist das aufdringlich, man befürchtet Mitmachtheater, Exaltationen am falschen Ort und hohe Reinigungskosten als mögliche Konsequenz. Doch aufgezwungene Selbsterfahrung wäre zu viel und auch zu kitschig. Dazu ist das Spiel des Mainzer Ensembles schon orgiastisch genug. Zweifellos: ein auffälliger Theaterabend."
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Reine Laune der Regie oder tieferer Sinn?
Gibt es eine spezifische Lesart des Stücks, die ein solches Gendering nahe legt? Eine Tradition (wie z.B. bei den weiblichen Hamlet)?
Oder macht die Inszenierung damit einen neuen Interpretationshorizont auf - wenn ja, welchen?
Wäre schön, wenn die Kritikerin oder jmd., der's gesehen hat, nach der ausführlichen Beschreibung auch ein bisschen Analyse nachliefern könnte.
Mich hat es begeistert, dass sich die Schlammwerferei kein bisschen abnutzt... macht das nicht jeder jeden Tag? Ein herrliches Bild, dass auch die Zuschauer den ein oder anderen Klekser abbekamen und eifrig am Säubern waren.... ich finde das Bild der niemals weißen Weste erzählenswert.
Und natürlich wird kein Rosenkrieg beendet...auch nicht wenn sich einer einen weißen Anzug anzieht....in Mainz und auch sonstwo.
oh! schlamm!
Warum ausgerechnet die mädchenhafte Katharina Knap den fiesen Richard spielt, hat sich mir allerdings kein bisschen erschlossen. Das in der Kritik hier verwendete "koboldhaft" passt sehr gut zu ihr, aber ich hab ihr kein bisschen das Machtstreben abgenommen. Leider für mich eine Fehlbesetzung.
Der Matsch auf der Bühne hat sich schnell abgenutzt. Das ist zwar sehr schön, wenn Margarete in der Fluchszene damit schmeißt, aber dann es sich auch schon mit der Daseinsberechtigung. Das "mit Dreck besudelt sein" ist ja jetzt echt schnarchig plakativ und kalter Kaffee.
wir selbst haben das Stück in Mainz sehr genossen, die Stühle waren sehr bequem (zum schlafen). Das Stück war viel zu lang und theatralisch, auch die Idee mit dem Schlammwerfen war nach wenigen Minuten ausgelutscht. Schauspielerisch eigentlich gut, trotzdem konnte man sie oftmals nicht sehen da vom Oberrang der Blick auf die Bühne fast nicht möglich war.
Trotzdem danke für das Geld,den Schlaf und die Busreise.
Viele Grüße
Durchaus interessante Inszenierung mit ein wenig Komik und viel Dreck. Dass Richard von einer Frau gespielt wird, erkläre ich mir so: Dadurch entfällt seine Männlichkeit uns somit soll Richard "entstellt und hässlich" wirken.
Insgesamt gefiel mir das Stück recht gut, Geschrei-Passagen seitens Ann und anderen waren aber etwas zu lang und eintönig, der Matsch wurde bis zur letzten Sekunde ausgequetscht und überbenutzt.
Liebe grüße aus Neustadt,
Durch den Schlamm, Blut und Regen jedoch sehr interessant und noch nie dagewesen. Die sich steigernde Verschmutzung der Bühne trägt auch das Innere der Charaktere gut nach außen.
Durch die Pause auch nicht zu lang, wie andere behaupten. Besonderes beeindruckt waren wir von der weiblichen Besetzung Richards, die einen schönen Kontrast zu der Vergangenheit darstellt, in der Rollen nur von Männern gespielt werden durften. Darüber hinaus war ihre Schizophrenie und Zwiespältigkeit sehr gut dargestellt und man schwankte zwischen Liebe und Hass. Doch auch die anderen Schauspieler beeindruckten durch Facettenreichtum.
Zu guter Letzt möchten wir noch sagen, dass uns die ab und zu lustigen Stellen gefallen haben. Sie stellten einen Übergang zur Moderne dar, ebenso wie die Stühle und Kostüme.
Also, wir fanden das Stück im Endeffekt nicht schlecht allerdings fanden wird es zu lange.
Vor allem die Szenen in denen sich die Schauspieler im Schlamm wälzten und weinten oder jammerten fanden wir zu lange und zu ermüdend für das Plenum.Allerdings waren wir sehr amüsiert über die lustigen einwände von Buckingham oder König Edward!Dadurch das wir in unserem DS-Kurs das Stück schon vorbereitet hatten und die Personen bereits ein wenig kannten,war es für uns nicht mehr ganz so verwirrend.Allerdings können wir uns vorstellen, dass es seeeeeeeeeeehr schwer ist die Handlung nachzuvollziehen, wenn man nicht darauf vorbereitet ist.
Alles in allem war es ein schöner Theaterabend.
Danke un haut rein :-)
Gut besetzt war die Rolle des Richards durch eine Frau,so entstand ein Gegensatz zu den vorhergehenden Inszenierungen.Durch diese Frauenrolle wurde nicht das verkrüppelte Aussehen Richards in den Vordergrund gestellt, sondern sein Charakter und seine Emotionen.
Auch die Tatsache das zu Shakespears Zeiten alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden,stellt einen guten Kontrast zur Frauenbesetztung Richards da.
mit freundlichen Grüßen
Schüler des Leibniz-Gymnasiums
was zur hölle hat die elisabethanische theatergeschichte mit einer richard-inszenierung des 21. jahrhunderts zu tun? männer, die frauenrollen spielen; kontraste - eure lehrer sollten euch beibringen, wie man wissen so nutzt, dass es nutzt.