Bestien, wir Bestien - Bühnen Bern
Geht es mit der Gattung zu Ende?
11. Dezember 2022. Wird alles gut oder endet die Zivilisation in der Zerstörung? In ihrem neuen Stück stellt die preisgekrönte Dramatikerin Martina Clavadetscher zwei Szenarien einander gegenüber. Franziska Autzen inszeniert die Uraufführung des dystopischen Dramas, das im Milieu einer Frauensekte angesiedelt ist.
Von Valeria Heintges
11. Dezember 2022. Es ist herausfordernd, den Inhalt von Martina Clavadetschers neustem Bühnenwerk "Bestien, wir Bestien" kurz zusammenzufassen. Die Autorin gewann mit "Umständliche Rettung" den Essener Autorenpreis, war mit demselben Werk für den Heidelberger Stückemarkt nominiert und erhielt für ihren Roman "Erfindung des Ungehorsams" den Schweizer Buchpreis. "Bestien, wir Bestien" ist wieder eine Dystopie, für die die 43-Jährige eine gewisse Vorliebe hegt. "Zwei Bücher oder ein Theaterstück" hat sie das Werk im Untertitel genannt, das jetzt an den Bühnen Bern uraufgeführt wurde.
Freiheit als Zwang
Clavadetscher spielt parallel zwei gegensätzliche Gedankenexperimente durch: Im ersten Teil sind die Frauen von Schwangerschaft und Geburt befreit, leben in einem Kollektiv, huldigen Gaia und haben alle Umweltprobleme gelöst. Doch die Errungenschaft der Freiheit ist zum Zwang geworden; frau muss keine Kinder mehr bekommen, aber sie darf auch nicht. Darüber wird streng gewacht in dieser Priesterinnen-Sekte. Roma aber spürt den Wunsch zu gebären, die "weicheste Haut der Welt zu spüren", und sucht die alte Mombasa auf, die ihr – über merkwürdige elektrisch-esoterische Erinnerungswellen – das Gespür von "Blut und Milch und Samen und Tränen und Schleim" vermittelt. Doch die Wächterin Omaha macht ihr klar, dass sie das Kollektiv nur verlassen kann, wenn sie Mombasa verrät. Roma wird Omaha töten und mit Mombasa fliehen.
Feier des Kollektivs
Im zweiten Teil hat die Welt die Quittung bekommen, sozusagen. Die Umweltverschmutzung ist schuld, dass alle Frauen unfruchtbar geworden sind. Aber wo keine Kinder geboren werden und es den Forscherinnen nicht gelingt, eine andere Lösung finden, geht es mit der Gattung Homo Sapiens zu Ende. "Last Generation", im wörtlichen Sinne. Wieder findet sich eine Abweichlerin, diese ist auf natürlichem Wege schwanger geworden. Sie möchte aber ihr Kind nicht dem Kollektiv zur Verfügung stellen, sondern selbstbestimmt Mutter sein. Auch ihr wird klar gemacht, dass im Kollektiv die Gemeinschaft für das Individuum entscheidet. Wieder kann sich die Einzelne nur behaupten, wenn sie ihre Verfolgerin, in diesem Fall Chefin Amazonas, tötet.
Zwei Szenen hintereinander, mit gewissen Parallelen. Man kann, da auch die werdende Mutter zu einer Frau namens Mombasa flieht, von einem zyklischen Aufbau reden und das läge bei dem Thema ja nahe. Doch wirkt alles sehr konstruiert und papieren. Aktuelle Themen werden in ein neues Setting gesetzt, ohne dass dabei viel Erkenntnis gewonnen werden könnte. Die naive Feier des Kollektivs klingt zudem, als hätte hier jemand von den diversen Problemen des Sozialismus überhaupt nichts mitbekommen.
Franziska Autzen, Hausregisseurin am Theater Konstanz, wagt es in ihrem Berner Debüt und in der Uraufführungsinszenierung nicht, dem Werk den durchweg hohen Ton auszutreiben. Vielmehr sind die fünf Schauspielerinnen im ersten Teil in priesterähnliche Gewänder gehüllt (Kostüme Naomi Kean) und sprechen oft von der Rampe ins Publikum. Dadurch verschärft sich das Weihevolle, es wird auch zu selten mit Ironie unterlaufen oder mit Humor gebrochen.
Spannend wirken die zwei riesigen Fischreusen-artigen Netze, die Ute Radler auf die Bühne der Halle Vidmar 1 gebaut hat. Sie sind so groß, dass Jeanne Devos nur über eine Leiter aus ihnen herausklettern kann. Die Reusen, von grünem Licht beleuchtet, sind wie die Synapsen einer Zelle miteinander verbunden. Doch werden sie nicht stringent benutzt, sind mal Zeichen für die Membran, die laut Text das Kollektiv schützt, dann das Haus von Mombasa, in dem sich die beiden Frauen treffen. Ansonsten laufen die Darstellerinnen zwischen ihnen herum.
Dramatische Szenen
Im zweiten Teil sind die Netze verschwunden, die Frauen wirken jetzt wie Amazonen, mit kriegerischen Stiefeln und martialisch wirkenden, an den Seiten rasierten Frisuren. Sie betreten die Bühne über steile Treppen oder Leitern oder spielen hinter einem Plastikvorhang.
Der herausfordernde Text rutscht in Bern in Feiern der Mutterschaft oder der Kinder kräftig in Richtung Kitsch. Die Schauspielerinnen kämpfen wacker, aber ihre Figuren sind zu eindimensional, zu sehr auf eine bestimmte Rolle festgelegt – Wächterin, Chefin, rebellierendes Kollektivmitglied, Wissenschaftlerin, alte, weise Frau – als dass sie Futter für ihr Spiel fänden. Zu sehr ist ihr Text damit beschäftigt, Gedankenkonstrukte auszubreiten und zu erklären, wo die Konfliktlinien verlaufen.
Da müssen die Spielerinnen das Innenleben ihrer Figuren in Worten ausbreiten, statt es in dramatischen Szenen darzustellen. Es ist also weniger die Schuld von Luca Hass, Lucia Kotikova, Isabelle Menke oder Yohanna Schwertfeger, wenn ihr Spiel statisch wirkt. Einzig Jeanne Devos als Roma im ersten und im zweiten Teil als die Schwangere beschützende Wissenschaftlerin bekommt als mutige Widerständlerin Futter für ihr schauspielerisches Können.
Möglich, dass der Text gerettet werden könnte, wenn er den Bestien einen Doppelboden einzieht und das Pathetische austreibt. Vielleicht wären die Bestien biestiger – und interessanter.
Bestien, wir Bestien
von Martina Clavadetscher
Uraufführung
Regie: Franziska Autzen, Bühne: Ute Radler, Kostüme: Naomi Kean, Musik: Johannes Hofmann, Dramaturgie: Julia Fahle.
Mit: Jeanne Devos, Luca Hass, Lucia Kotikova, Isabelle Menke, Yohanna Schwertfeger.
Premiere am 10. Dezember 2022
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, eine Pause
buehnenbern.ch
Kritikenrundschau
"Martina Clavadetscher spricht in Zeiten, in denen das Recht auf Abtreibung gekippt wird und viele weiblich gelesene Personen weit entfernt sind von einem selbstbestimmten Leben, wichtige Themen an", schreibt Sarah Sartorius im Bund und in der Berner Zeitung (12.12.2022). Weniger Öko-Science-Fiction, mehr Jetzt hätte der Inszenierung allerdings gutgetan. Die Figuren blieben seltsam unnahbar, Prototypen statt Menschen aus Fleisch und Blut. "Zu oft sprechen sie als Gruppe oder wechseln in einer Szene zwischen Erzählerin und Protagonistin, sodass sie ungreifbar bleiben." Der dystopische zweite Teil mache immerhin mehr Spass als der erste Teil, "und das beeindruckende Frauenensemble kommt nun voll zur Geltung."
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