Der öffentliche Ankläger - Das Theater an der Effingerstraße in Bern gräbt den fast vergessenen Dramatiker Fritz Hochwälder aus
Der Schlächter und die Schöne
von Charles Linsmayer
Bern, 2. Mai 2014. "Es sollte in einer Art von Teufelskomödie gezeigt werden, wie der Schrecken sich selbst das Haupt abschlägt", hat Fritz Hochwälder über sein 1948 in Stuttgart uraufgeführtes Stück "Der öffentliche Ankläger" gesagt. Im Theater an der Effingerstraße gelingt das gar nicht schlecht, steht für die Rolle von Antoine Fouquier-Tinville, "acusateur public" des Revolutionstribunals während der Französischen Revolution, mit Gilles Tschudi doch ein Schauspieler zur Verfügung, der den blutrünstigen Schlächter, mit dessen Unterschrift über 2000 Angeklagte, darunter Robbespierre, Danton und Marie-Antoinette, unter die Guillotine geschickt wurden, mit dem eiskalten Zynismus des selbstgerechten, sich als Instrument einer höheren Gerechtigkeit fühlenden Beamten spielt.
"Man führt durch, was einem befohlen wird", lautet seine Devise, und es ist höchst eindrücklich, mit welcher Geschmeidigkeit und Abgründigkeit Tschudi diesen Typus auf die Bühne bringt, der in allen totalitären Regimes anzutreffen ist. Mit einem Blick, einem süffisanten Lächeln, einer Handbewegung, einer bestimmten Körperhaltung übt er seine Macht aus, und die Szenen, wie er den in Ungnade gefallenen Richter Montané (Jan Zierold) und die gekauften Zeugen Fabricius (Nick-Robin Dietrich) und Héron (Robert Runer) auf erpresserische Weise zu einem getürkten Prozess und zu falschen Aussagen zwingt, sind Kabinettstücke einer demagogisch-erpresserischen Machtpolitik.
Gestrafft
Sieht man von Paris, wo "Das heilige Experiment" seit 2011 en suite gezeigt wird, einmal ab, so sind die einst weltweit gespielten Stücke von Fritz Hochwälder (1911-1986) praktisch von den Bühnen verschwunden. Zu unrecht, wie sich jetzt in Bern zeigt, wo Markus Keller "Der öffentliche Ankläger" um die Hälfte, auf 75 Minuten Aufführungsdauer verkürzt hat. Das nimmt ihm zwar etwas von seinem historischen Cachet – und damit vielleicht von seiner bedrohlichen Stimmung –, macht es aber zu einer von Episode zu Episode immer spannender werdenden Kriminalgeschichte und stellt den öffentlichen Ankläger Fouquin-Tinville und die Art und Weise, wie er seiner eigenen Intrige zum Opfer fällt, unangefochten ins Zentrum. Wer ihm dient, ist, wie Peter Bamler als Sekretär Grébeauval und Horst Krebs als Scharfrichter Sanson, eine abgerichtete, in seinem Bann stehende Kreatur, wird bei seinem Untergang nicht mit der Wimper zucken und dem Nachfolger ebenso devot zu Willen sein.
Leise aktualisiert
Gewachsen ist dem als unanfechtbar geltenden Taktiker einzig Thérésia Tallien, eine junge ehrgeizige Frau, die aus ganz und gar nicht uneigennützigen Beweggründen seinen Untergang herbeiführen will. Isabel Berghout spielt die Intrigantin als verführerische, geheimnisvoll lächelnde Schönheit, die auch mit Küssen nicht geizt, wenn es um die Erreichung ihrer Ziele geht, und es ist ein genialer Einfall der Regie, sie in Frisur und Aufmachung Julia Timoschenko gleichen zu lassen und so mit einem leisen Bezug auf die Ukraine anzudeuten, wie aktuell letztlich das von Hochwälder avisierte Thema ist, dass Gewalt, wenn sie an Stelle von Gesetz und Ordnung tritt, zum Selbstzweck wird und immer neues Unrecht und neue Gewalt zeugt.
Exakt nach Vorgabe
Eindringlich zeigt das, nachdem Fouquier-Tinville sich selbst zum Tod verurteilt hat und zur Guillotine geschleppt worden ist, die letzte Szene der Aufführung. Da stehen sich Thérésia Tallien und ihr Mann (Helge Herwerth), der bis fast zuletzt gemeint hat, selbst das Opfer der Intrige seiner Frau zu sein, voller Hass gegenüber und beschuldigen sich gegenseitig, den jeweils anderen aus dem Weg räumen zu wollen.
Hochwälders Stücke laufen – was für heutige Regisseure eher ein Problem als ein Vorteil ist – ab wie ein gut geschmiertes Räderwerk, und sie entfalten eine starke, zwingende Wirkung, wenn die Regie diesen Ablauf nicht stört oder unterbricht. Markus Keller und sein Ensemble bringen die allmähliche Steigerung und ihren Höhepunkt in der Aburteilung des blutrünstigen Juristen auch in der verknappten Fassung noch exakt nach Hochwälders Vorgabe zu packender Wirkung und wurden dafür vom Premierepublikum mit lang anhaltendem Applaus gefeiert.
Der öffentliche Ankläger
von Fritz Hochwälder
Regie: Markus Keller, Bühnenbild: Markus Keller / Peter Aeschbacher, Kostüme: Sybille Welti.
Mit: Gilles Tschudi, Helge Herwerth, Isabel Berghout, Peter Bamler, Jan Zierold, Nick Robin Dietrich, Robert Runer, Horst Krebs und Sebastian Gfeller.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause.
www.dastheater-effingerstr.ch
Mehr zu Fritz Hochwälder: Im April 2011 schrieb Charles Linsmayer über eine Inszenierung von Fritz Hochwäders Das heilige Experiment in Paris.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 18. September 2024 Ehemaliger Mainzer Intendant Peter Brenner gestorben
- 17. September 2024 Therese-Giehse-Preis für David Ruland
- 16. September 2024 Friedrich-Luft-Preis für "The Silence" von Falk Richter
- 16. September 2024 Martin-Linzer-Preis an Schlosstheater Moers
- 13. September 2024 Staatstheater Kassel: Geschäftsführer freigestellt
- 13. September 2024 Salzburg: Nuran David Calis wird Schauspieldirektor
- 12. September 2024 Heidelberg: Intendant Holger Schultze hört 2026 auf
- 12. September 2024 Auswahl des "Augenblick mal"-Festivals 2025 in Berlin
neueste kommentare >
-
Kleiner Mann, was nun?, Berlin Theatrale Wohltat
-
Therese-Giehse-Preis Glückwunsch
-
Kassler GF freigestellt Unverständnis
-
Therese-Giehse-Preis Unabhängig
-
Kassler GF freigestellt Obelix
-
Appell Fonds DaKü Dank!
-
Therese-Giehse-Preis 2024 nochmal gefragt
-
Therese-Giehse-Preis 2024 In der Nominierungs-Jury?
-
Blue Skies, Hamburg Theater und Wirklichkeit
-
Empusion, Lausitz Zweisprachige Ortsschilder
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Das glaube ich weniger, dass einer bei seiner Hinrichtung nicht mit der Wimper zuckt.
Lesen Sie bitte noch einmal richtig, es heißt im Text, dass unter anderen der Scharfrichter Sanson nicht mit der Wimper zucken wird, wenn sein Unterdrücker untergeht.
Sie haben Recht - jetzt sehe ich meinen Irrtum. Ja, beim schnellen
Überlesen - ich war nicht sehr konzentriert . . . Ich bitte um Vergebung!