Seelenlöcher und andere Leerstellen

von Brigitta Niederhauser

Basel, 6. März 2008. Das war einmal, als die Liebe eine Himmelsmacht war. Wie das Geld das höchste aller Gefühle in der Hitparade der Sehnsüchte von Platz 1 verdrängt hat, davon singt der Londoner Autor Dennis Kelly mit "Liebe und Geld" ein gar schaurig nüchternes Lied. Sein kläglicher Held David ist ein kleiner britischer Lehrer, der in die Telekommunikationsbranche aufgestiegen ist und sich in einem Promotionsseminar in eine Sandrine verliebt hat.

Die nun schreibt ihm aus Frankreich so wunderbar fehlerhafte E-Mails, die unter seinen Panzer kriechen und ihn dort berühren, wo einmal sein Herz war. Aber sie verstummt, als David ihr verrät, was er aus seinem Herzen gemacht hat und der Frau, der es einmal gehörte. Schulden hatte die Frau, und David träumte von einem schicken Auto. Unerfüllbar sind die Wünsche, die sich mit ihren Tentakeln an seinem Herzen festgesaugt haben.

In der Welt der Preisschilder

Wie heftig dieser unstillbare Hunger nagt in einer Welt, wo alles Begehrenswerte mit Preisschildern ausgestattet ist, skizziert der 37-jährige Autor in sieben fragmentarischen, nur lose miteinander verbundenen Szenen. David und seine Frau Jess sind nicht die einzigen, die von den permanenten Versuchungen der immer schöneren Konsumwelt gezeichnet sind. Da ist Davids Exfreundin Val, die ihn demütigt und zum professionellen Schwanzlutschen anstiftet, da sind Jess’ Eltern, die es nicht ertragen, dass das pompöse Mausoleum einer reichen Griechin das Grab ihrer Tochter verschattet, und da ist eine Debbie, die sich an Rachefeldzügen gegen ihren Chef aufgeilt, die sie mit Mäuseinnereien pflastert.

Verätzt sind sie alle, vom Geld und seinen Verheißungen. Kelly zeichnet ihre Beschädigungen aber nicht mit dem Moralfinger nach. Seine distanzierte Bestandsaufnahme ist vielmehr die Dokumentation eines chemischen Prozesses. Das Protokoll einer Kettenreaktion, die sich nicht stoppen lässt.

Entsprechend atemlos setzt Elias Perrig am Schauspielhaus Basel die deutschsprachige Erstaufführung an. Allgegenwärtig sind die Begierden auf der klaustrophobisch engen, schiefen Bühne (von Beate Fassnacht), um die herum lauter Abgründe klaffen. Sein David schwitzt sich Frust und Angst mit Bodybuilding aus dem Leib. Andrea Bettini läuft in der Rolle des David bereits in der ersten Szene zu einer beeindruckenden Hochform auf und bringt das Kunststück fertig, dass man ihn trotz der immer verstörenderen Entblößungen – die aber nie ins Exhibitionistische abdriften – mag.

Nur lässt Kelly seinen trostlosen Helden leider selbst irgendwann ziemlich unvermittelt im Stich. Als hätte er das Interesse an ihm verloren, wendet er sich den anderen Figuren zu, ohne Jess, ihre Eltern und Debbie jedoch mit jener Tiefenschärfe auszustatten, mit der David zu Beginn des Stücks überzeugt.

Auf dem Laufsteg der Hoffnungslosigkeit

Elias Perrig ist nicht darauf aus, diese Defizite in Kellys Stück aufzufangen, so wenig wie er die Unverbindlichkeit zu entkräften versucht, die den Umgang der Figuren untereinander prägt und die das Stück ohne vorhergehende Lektüre ziemlich schwer verständlich macht. Im Gegenteil. Der Regisseur rüstet jene beiden Szenen auf, in denen Kelly zur Reflexion ansetzt und sein Bühnenpersonal mit pseudophilosophischen Überlegungen zu stabilisieren versucht. Da fallen dann Kautschuksätze wie "und du weißt, das ist deine Chance, die Welt streckt dir die Hand entgegen, verbindet sich mit dir, öffnet dir die Tür, nur für Sekunden, nur für Sekunden, na gut, vielleicht nicht, aber so fühlt es sich an, ein Gefühl wie...."

Munter poliert Dennis Kelly die Oberflächlichkeit der Figuren mit solchen Plattitüden, wuchert mit Banalitäten, und Perrig haut da noch einen drauf, wenn er seine Schauspielerinnen und Schauspieler (Barbara Lotzmann, Jörg Schröder, Carina Braunschmidt, Bastian Semm, Inga Eickemeier, Steve Karier, Mavie Hörbiger) aufdrehen lässt in diesem von Talkshows, Bar- und Vernissagebesuchen vertrauten Geschwätz, mit dem manisch versucht wird, Seelenlöcher und andere Leerstellen zu stopfen. So elegant das Schauspielteam diese Worthülsen auf dem Laufsteg der Hoffnungslosigkeit vorführt, sie lassen einen kalt, und zu laut bleibt den ganzen Abend Sandrines Schweigen, auf das David Kelly keine Antwort formuliert und Elias Perrig kein stimmiges Echo findet.

 

Liebe und Geld
von Dennis Kelly (DEA)
deutsch von John Birke
Regie: Elias Perrig, Bühne: Beate Fassnacht, Kostüme: Charlotte Sonja Willi, Musik: Biber Gulatz. Mit: Andrea Bettini, Barbara Lotzmann, Jörg Schröder, Carina Braunschmidt, Bastian Semm, Inga Eickemeier, Steve Karier.

www.theaterbasel.ch

 

Kritikenrundschau

Zuerst findet Matthias Heine in der Welt (8.3.2008) noch freundliche Worte für den Autor von "Liebe und Geld": Dennis Kelly habe "ein mit dem ein Jahr jüngeren Simon Stephens vergleichbares Talent, alltagsnahe Typen zu schaffen, denen eine zugespitzte Verzweiflung im Nacken sitzt." Später, wenn’s um das konkrete Stück geht, hört sich das schon anders an: "Doch die Anekdoten wirken grob miteinander vernäht wie bei einem Dramen-Frankenstein. Alles schmeckt ein bisschen aufdringlich nach den Erzähltechniken, die offenbar in den britischen Dramenschulen und Stückeschreiberworkshops gelehrt werden." Wie man in Beate Fassnachts Bühnenbild jederzeit sehe, "dass im Abgrund bloß die Unterbühne liegt", so erkenne man "auch beim Stück allzu deutlich das ganze Strickmuster." Das Stück sei "immer immer dann am stärksten, wenn irgendjemand ... ein schmutziges Geheimnis von sich preisgibt. Die Baseler Schauspieler machen aus diesen Episoden regelmäßig kleine Glanznummern."

"Was uns der englische Dramatiker Dennis Kelly mit seinem Stück 'Liebe und Geld' vorlegt", meint Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (8.3.), sei "ein umgekehrter Krimi", der die Verstrickungen der Untat, "so plakativ wie raffiniert, in den Eingeweiden und Hauptschlagadern des Gesellschaftskörpers" suche. Und Kelly fokussiere "entschieden auf den Intimbereich" und zeige "ausweglose Rituale der Unterwerfung. Das ist in seinem träfen [sic!] Gegenwartsslang schrecklich unterhaltsam." Schauspielchef Elias Perrig inszeniere "diese deutschsprachige Erstaufführung auf der Bühne des Basler Schauspielhauses als gefundenes Fressen für ein glänzend disponiertes Ensemble. Die Dialoge kommen präzis, schneidend und lächelnd – wie beim Messerwerfen." Starker Schlussapplaus für "neunzig Minuten kurzweiliges Schauspielertheater."

Für Martin Halter, der in der Frankfurter Allgemeinen (10.3.) schreibt, ist Kelly "so etwas wie der Dostojewski unter den jungen britischen Dramatikern: Der religiöse Mystiker eines Fernseh- und Konsumzeitalters, das selbst Religion zu einer Option auf dem Markt der Möglichkeiten macht." In "Liebe und Geld" taste sich Kelly "weit in jene Grenzregionen vor, wo man metaphysische Schuld mit Schulden, Credo mit Kredit, Bonität mit Gutsein verwechselt", das Stück sei Liebestragödie und metaphysischer Thriller. Kelly kann dabei poetisch, aber auch derb und manchmal auch plakativ werden.“ Aber es werde "nie Kitsch oder Heidenmission: Er bleibt barmherzig, heiter und zuversichtlich, verurteilt niemanden und gibt die Hoffnung nicht auf." Zu Elias Perrigs Regieleistung findet sich bei Halter nur eine einzige kurze Bemerkung: "Kelly erzählt Davids Geschichte vom Ende her, und Elias Perrig folgt ihm darin."

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