Die Unscheinbaren - Luzerner Theater
Tag der offenen Gangsterhöhlentür
von Maximilian Pahl
Luzern, 17. April 2019. Vorbereitend wird die Skepsis des Zuschauers mobilisiert. Bevor die "Gangsterhöhle" des Regisseurs Franz von Strolchen öffnet, beschwört Dramaturg Gábor Thury "kriminelle Energien". Unter anderem beobachte man "verdächtig viele" weiße Lieferwagen in der Gegend, nebst anderen dubiosen Vorkommnissen rund um die Box auf dem Theaterplatz. Rein faktisch liegt da eine piekfeine, verkehrsberuhigte und maximal schweizerische Altstadt an einem idyllisch frühlingshaften Abend. Das Publikum wechselt vom Theater-Foyer aus langsam die Straßenseite, wo Christian Baus den Eingang zur Gangsterhöhle bewacht. Er ermahnt uns dazu, unauffällig zu bleiben: "Tun Sie so, als würden Sie nicht hereinkommen, aber kommen Sie trotzdem herein – das ist der Trick."
Drinnen jammt schon Amadeus Fries an Schlagzeug und Synthesizern in gebrochener Rhythmik, und wir bekommen Sitzpolster ausgeteilt, um es uns in der Lagerhalle bequem zu machen. Hier haben Lieferboten in UPS-Uniform Feierabend und tüfteln am kleinkriminellen Nebenverdienst, dem sogenannten "White-Van-Speaker-Scam", welchen auch wir laut Ankündigung heute erlernen sollen.
How to become kleinkriminell
Es sei ein weltweit durchgeführter Trick, eine ziemlich sichere Sache, erklärt Baus. Er spricht davon, wie wir am Ende selbst "da raus gehen werden", um leichtgläubigen Schnäppchenjägern gefälschte Stereoanlagen anzudrehen. Man habe andernfalls jetzt noch die Gelegenheit zu gehen, sagt er und teilt die manifestorischen Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus ("Das ist keine Sekte", "Realität ist ein Konstrukt", "Wir sind Subunternehmer einer kriminellen Handlung."). "Wir meinen's scheiß ernst!" versichert Baus, aber niemand protestiert oder zeigt Bedenken. Und Baus scheint beinahe enttäuscht, dass sich die installative Workshop-Performance nicht von selbst zu einer konfrontativen Situation entwickelt.
Nur: Konfrontation womit? Es geht in der Folge viel um nützliche Klischees und Vorverurteilungen, darum, wie wir die richtigen Opfer wählen und Vertrauenswürdigkeit vortäuschen können. Letzeres erklärt Baus' Komplizin Natasa Stork, an deren Beispiel außerdem deutlich gemacht wird, dass auch in kriminellen Gangs Rassismus grassiert. Baus führt als westeuropäischer Phänotyp die Bande an, sein Lieferant entpuppt sich als Betriebstoiletten-Wichser, der die Kollegin und ihr "ungarisches Gesicht" aus gewissen Filmchen kennt. Die "Lektionen" werden live und in aufgezeichneten Videos vorgetragen, die schwarz-weißen Film-Sequenzen bilden zusammen mit der Live-Musik die interessantere Seite des Abends.
Stellvertretende Bestrafung
Der Workshop hingegen geschieht auf diese theatral geschützte Art des Miteinbeziehens, es gibt viele Suggestivfragen und keine wirklich momenthafte Interaktion. Franz von Strolchen ist schon öfter nach dem Prinzip verfahren, Dokumentation und Fiktion (Texte dieses Mal von Christian Winkler) zu verschränken, hier aber tut das beiden Ebenen nicht gut.
Weder lernen wir wie angekündigt etwas über die titelgebenden "Unscheinbaren", welche am Steuer der ominösen weißen Lieferwagen sitzen (bzw. nur in Mischa Christens begleitendem Fotobuch). Noch wird die Stereotypenbildung weiter untersucht, und am allerwenigsten stellt sich irgendein Gefühl der situativen Gefahr oder wird die kriminelle Energie der "Gangster" ansteckend. Dazu passiert alles zu zögerlich und behutsam, die Inszenierung wird bald vorhersehbar und damit als Performance entschärft. Der Scam, da er nun endlich von einem Zuschauer in der Fußgängerzone erfolglos ausprobiert wird, bleibt dann auch nichts als eine schnell wieder abgebrochene Übung.
Zum Schluss wird die Komplizin Wiebke Kayser stellvertretend für uns alle bestraft, weil wir die exakten Antworten auf Baus' Testfragen nicht kennen. Über ein Starter-Kabel wird sie mit Strom versetzt. Dazu wird nach einem Rolls Royce nun auch noch ein weißer Lieferwagen hineingefahren. Wenn Kayser dann spielt, als würde es wirklich schmerzen und wenn sie schließlich im Kofferraum verstummt, dann soll das wohl ein Einschreiten des Publikums provozieren, führt aber nur zu Belustigung. Weil selbst die Inszenierungsbrüche dermaßen inszeniert sind, bleibt am Ende der Eindruck, einem zahmen Skandalräuber in seine Theaterbude gefolgt zu sein – der darauf aufpassen muss, dass er sich mit einer derart ungefährlichen Produktion nicht die kriminelle Geschäftsgrundlage entzieht.
Die Unscheinbaren
Gangsterperformance von Franz von Strolchen mit Texten von Christian Winkler
Regie, Kostüme und Videodesign: Franz von Strolchen, Bühne: Jens Burde, Musik: Amadeus Fries, Dramaturgie: Gábor Thury, Licht: Ronnie Hermann und David Clormann.
Mit: Christian Baus, Ivica Dimitrijevic, Wiebke Kayser, Natasa Stork, Amadeus Fries.
Premiere am 17. April 2019
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.luzernertheater.ch
Kritikenrundschau
"Die vier Schauspieler aus West- und Osteuropa spielen (...) am lebendigen Exempel reflektiert mit kulturellen Klischees, Fiktion und Dokumentation. Es sind diese mehrschichtigen Szenen, stimmungsvoll getragen auch vom Livemusiker Amadeus Fries an Schlagzeug und Synthie, die in 'Die Unscheinbaren' am spannendsten sind", schreibt Céline Graf von der Luzerner Zeitung (18.4.2019). Das löse aber das Dilemma dieser Inszenierung nicht. "Emotionale Ausbrüche und Konflikte zwischen den Protagonisten verpuffen zu schnell, bevor sie einen tieferen Eindruck hinterlassen können. Denn das Publikum muss gleichzeitig stets animiert werden, schliesslich spielt es ja mit." Das Beklemmungspotential mancher Szenen werde nicht genügend genutzt.
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